Abbas ernennt neue Regierung ... ... Hanija schert sich nicht drum
15.06.2007, 06:39 UhrMit dem militärischen Sieg der Hamas im Gazastreifen und der Einsetzung einer Notstandsregierung durch die Fatah hat sich die Spaltung der Palästinensergebiete in zwei getrennte Einheiten vertieft. Präsident Mahmud Abbas von der gemäßigten Fatah bestimmte den Wirtschaftsexperten Salam Fajad zum neuen Regierungschef. Der zuvor von Abbas abgesetzte bisherige Ministerpräsident Ismail Hanija von der radikal-islamischen Hamas lehnte jedoch seine Entlassung ab. Damit sind faktisch in Gaza und im Westjordanland verfeindete palästinensische Gruppierungen an der Macht.
Die EU und die USA haben Palästinenser-Präsident Abbas in der Auseinandersetzung demonstrativ den Rücken gestärkt und die Hamas aufgefordert, die Absetzung der bisherigen Einheitsregierung zu akzeptieren. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte sich zugleich skeptisch über eine internationale Friedenstruppe in Gaza, der auch anderswo kaum Chancen gegeben wurden. In der "Frankfurter Rundschau" schloss er auch langfristig eine europäische Beteiligung an einer solchen Truppe aus.
Ruhigere Lage – zahlreiche Plünderungen
Nach den blutigen Kämpfen in dieser Woche mit mindestens 85 Toten beruhigte sich die Lage zunächst. Es gab im Zentrum von Gaza keine Schießereien mehr. Menschen kehrten auf die Straßen zurück. Hamas-Führer Hanija forderte seine Milizen auf, Ruhe und Ordnung durchzusetzen. Augenzeugen berichteten aber über zahlreiche Plünderungen. Hamas-Milizen setzten zahlreiche Fatah-Führer fest, erklärten dann aber eine Amnestie. Mehrere hundert Fatah-Anhänger flohen nach Ägypten.
Hamas kontrolliert gesamten Gazastreifen
Die Hamas kontrolliert nach Angaben von Augenzeugen und des Hamas-Rundfunks auch den Amtssitz von Abbas in Gaza. Fatah-Anhänger, die das Gebäude gehalten hatten, hätten sich kampflos ergeben, hieß es. Damit brachte Hamas den gesamten Gazastreifen unter seine Kontrolle.
Hanija will im Amt bleiben
Hamas-Sprecher Ismail Radwan sagte, die Hamas lehne die Ernennung Fajads zum Chef einer Übergangsregierung ab. Hanija sagte bei einer Pressekonferenz, seine Regierung werde als Regierung der nationalen Einheit im Amt bleiben. Seine Amtsenthebung und die Ausrufung des Notstands durch Abbas seien "überhastet" gewesen. Die Hamas wolle aber keinen separaten Staat im Gazastreifen ohne eine Einbeziehung des Westjordanlandes ausrufen, sagte Hanija. Fatah und Hamas hatten im März eine Koalition geschlossen, um einen monatelangen blutigen Machtkampf der beiden rivalisierenden Organisationen zu beenden.
Unterstützung aus Washington
Die USA unterstützten die Entscheidung von Abbas, die palästinensische Einheitsregierung aufzulösen und den Ausnahmezustand zu verhängen. Abbas habe seine gesetzlichen Vollmachten als Präsident der Autonomiebehörde und Führer der Palästinenser ausgeübt, sagte Außenministerin Condoleezza Rice in Washington. Niemand werde die Palästinenser im Gazastreifen einer "Terrororganisation" und deren extremistischsten Elementen ausliefern, sagte Außenamtssprecher Sean McCormack.
EU stärkt Abbas den Rücken
In Berlin sagte Außenamtssprecher Martin Jäger: "Die (deutsche EU-)Präsidentschaft unterstützt nachdrücklich die im Einklang mit dem palästinensischen Grundgesetz stehende Entscheidung von Präsident Abbas, die Regierung aufzulösen und eine Notstandsregierung für die palästinensischen Gebiete einzusetzen." Diese Entscheidung müsse von allen akzeptiert werden und ein Übergreifen der Gewalt auf das Westjordanland verhindert werden.
Humanitäre Hilfe möglich
Die zwischenzeitlich etwas verbesserte Sicherheitslage im Gazastreifen erlaubt nach Einschätzung der EU-Kommission wieder humanitäre Hilfe. Nach Angaben eines Kommissionssprechers sind unter anderem das Rote Kreuz und die Hilfsorganisation Care zur Wiederaufnahme der Arbeit bereit. Die Lage im Gaza-Streifen werde Hauptthema des EU-Außenministertreffens in Luxemburg sein, kündigten Diplomaten in Brüssel an. Die Minister werden die schon seit längerem geplante Zusammenkunft mit Israels Außenministerin Zipi Liwni für eine Diskussion über die Situation nutzen.
In der arabischen Welt ist der militärische Erfolg der radikal-islamischen Hamas gegen die Fatah im Gazastreifen mit Entsetzen und Sorge aufgenommen worden. Bei einer Sondersitzung der Arabischen Liga, wollten die Außenminister in Kairo darüber beraten, wie man die rivalisierenden Palästinenser-Fraktionen doch noch zu einer politischen Einigung bewegen könnte.
Von Carsten Hoffmann und Thomas Lanig, dpa
Quelle: ntv.de