Kosovo-Kriegsverbrechen Hauptangeklagter frei
26.02.2009, 18:14 UhrZehn Jahre nach der Vertreibung Hunderttausender Kosovo-Albaner durch serbische Truppen ist der damalige serbische Präsident Milan Milutinovic von einer Verantwortung für die Gräueltaten freigesprochen worden. Fünf andere Angeklagte, die einst ebenfalls zum Regime des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic gehört hatten, wurden jedoch vom UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien zu Gefängnisstrafen zwischen 15 und 22 Jahren verurteilt.
Nicht hinreichend bewiesen
Sie wurden damit für ihre jeweilige Rolle bei der von serbischen und jugoslawischen Truppen systematisch betriebenen Terrorkampagne gegen Kosovo-Albaner bestraft. Das eigens zur Verfolgung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien geschaffene UN-Sondertribunal sah aber die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen Milutinovic (66) als nicht hinreichend bewiesen an, erklärte Richter Lord Iain Bonomy. Milutinovic habe offenbar "keine direkte Kontrolle" über Truppen gehabt, die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübten.
Hohe Strafen für Militärs
Zu jeweils 22 Jahren wurden der frühere serbische Geheimdienstchef Sreten Lukic (53), der ehemalige stellvertretende Ministerpräsident Jugoslawiens Niko Sainovic (60) und der serbische Armee-Kommandeur Nebosa Pavkovic (62) verurteilt. Gefängnisstrafen von 15 Jahren erhielten der frühere Verteidigungsminister Dragoljub Ojdanic (67) und der Kommandeur Vladimir Lazarevic (59).
Tod und Vertreibung nach System
Ziel der Gräueltaten im Kosovo sei es gewesen, die serbische Kontrolle über die Provinz gegen teils militante albanische Unabhängigkeitsbestrebungen durchzusetzen, sagte der Richter. Auch Milosevic war dafür vor dem UN-Tribunal angeklagt, jedoch 2006 in der Untersuchungshaft in Den Haag gestorben. Während der 1998 begonnenen Terrorkampagne wurden nach UN-Schätzungen etwa 800.000 Menschen vertrieben und Tausende getötet. Erst nach drei Monate andauernden Luftangriffen durch die NATO im sogenannten Kosovokrieg von März bis Juni 1999 zogen sich die jugoslawisch-serbischen Truppen aus der Provinz zurück.
Die Staatsanwaltschaft hatte allen sechs Angeklagten persönliche Verantwortung vorgeworfen und Haftstrafen zwischen 20 Jahren und lebenslänglich gefordert. Im gesamten Kosovo hätten die von ihnen maßgeblich kontrollierten jugoslawisch-serbischen Truppen "systematisch Städte und Dörfer beschossen, Häuser und Bauernwirtschaften niedergebrannt, kulturelle und religiöse Einrichtungen zerstört, kosovo-albanische Zivilisten ermordet und Frauen vergewaltigt".
Milosevic als "Oberster Kommandeur"
"Tatsächlich war es aber Milosevic selbst, der oft sogar "Oberster Kommandeur" genannt wurde, der die eigentliche Kontrolle (über die serbischen Truppen) während der NATO-Angriffe ausübte", sagte Bonomy. Die Angeklagten seien sich in unterschiedlich hohem Maße der Tatsache bewusst gewesen, dass während der Albaner-Vertreibung im Kosovo massiv Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt wurden, hätten diese aber nicht in allen ihnen vorgeworfenen Fällen tatsächlich zu verantworten. Dementsprechend sei das Strafmaß unterschiedlich bemessen worden.
Hunderte Anklagen
Die Staatsanwaltschaft hatte in dem Verfahren, das im Juli 2006 begann, mehr als 110 Zeugen aufgeboten. Insgesamt wurden vor dem UN-Tribunal bislang 161 Menschen – zumeist Serben – wegen mutmaßlicher Verbrechen während der Kriege im früheren Jugoslawien angeklagt. 116 Fälle wurden inzwischen abgeschlossen.
Karadzic muss noch warten
Der prominenteste Angeklagte ist derzeit der ehemalige Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic. Mit der Eröffnung des Prozesses gegen ihn wird in der zweiten Hälfte des Jahres gerechnet. Karadzics damaliger Militärchef Ratko Mladic ist hingegen immer noch flüchtig. Von seiner Verhaftung und Auslieferung nach Den Haag macht die EU eine eventuelle Aufnahme Serbiens in den Staatenbund abhängig.
Kosovo jetzt unabhängig
Das nach dem Krieg von den UN verwaltete Kosovo hat sich am 17. Februar vergangenen Jahres für unabhängig erklärt, was bislang durch 55 der 192 UN-Mitgliedstaaten anerkannt wurde. Die Regierung Serbiens lehnt dies strikt ab. An der im Kosovo stationierten internationalen Friedenstruppe KFOR beteiligt sich unter Führung der NATO auch die Bundeswehr.
Quelle: ntv.de