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Lohnt sich Arbeit noch? Heil: Wer wegen Bürgergeld kündigt, ist "bescheuert"

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"Löhne hoch, Arbeitszeit runter: Keinen Bock mehr auf Leistung?", fragt Louis Klamroth seine Gäste.

"Löhne hoch, Arbeitszeit runter: Keinen Bock mehr auf Leistung?", fragt Louis Klamroth seine Gäste.

(Foto: WDR/Oliver Ziebe)

In der Stahlindustrie laufen die Tarifverhandlungen. Die IG Metall fordert eine Vier-Tage-Woche - bei vollem Lohnausgleich. Ist das zeitgemäß? Bei "Hart aber fair" diskutieren die Gäste darüber, wie viel Arbeitszeit wir uns leisten wollen - und ob sich Arbeit überhaupt noch lohnt.

Immer mehr Menschen vor allem im Niedriglohnbereich stellen sich im Moment die Frage, ob sich Arbeit für sie lohnt. Immerhin wird im Januar das Bürgergeld erhöht, und bei nicht wenigen Menschen entsteht der Eindruck, man könne mit staatlicher Unterstützung besser leben. Aber stimmt das wirklich?

Hendrik Armbrust ist Dachdeckermeister und leitet einen Handwerksbetrieb mit 35 Mitarbeitern. Bei ihm verdienen die Beschäftigten deutlich mehr als den Mindestlohn. Würde er den bezahlen, fände er keine Mitarbeiter, sagt er bei "Hart aber fair". Dort diskutieren die Gäste am Montagabend darüber, wie sich die Arbeitszeiten in den nächsten Jahren verändern werden. "Die arbeitende Bevölkerung kommt sich bei der Erhöhung des Bürgergeldes irgendwie veräppelt vor", sagt Armbrust. Tatsächlich steigt im Januar das Bürgergeld überraschend deutlich. Singlehaushalte sollen dann 12 Prozent mehr Geld bekommen - 563 Euro. Grund sind die gestiegenen Lebenshaltungskosten, sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD, betont aber auch: "Wir haben eine ganze Menge dafür getan, dass sich Arbeit lohnt." So habe der Bund den Mindestlohn erhöht sowie Beiträge und Steuern für Geringverdiener gesenkt. Und: "Wir haben das Wohngeld und das Kindergeld erhöht für fleißige Leute." Es sei nicht klug, sich ausschließlich auf das Bürgergeld zu konzentrieren, statt zu arbeiten. Das Bürgergeld sichere das Existenzminimum, und das sei eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts.

Dass Arbeit mehr Geld bringt als staatliche Unterstützung, räumt auch Michael Hüther ein. Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) weist aber auch auf die Vergünstigungen hin, die Bürgergeldempfänger bekommen, bei Tickets für Veranstaltungen zum Beispiel. Darüber, dass der Staat Wohnungsmiete, Heizung und Strom ganz oder anteilig bezahlt, spricht er gar nicht. Der Unterschied zwischen Verdienst und Bürgergeld sei für Geringverdiener zu niedrig. "Wenn sie beispielsweise bisher zehn Stunden gearbeitet haben und wollen in eine Vollzeit von 38 Stunden, dann ist es so, dass sie von den zusätzlichen Stunden jeweils ein verfügbares Einkommen von zwei Euro nur spüren", sagt Hüther. Tatsächlich haben auch Experten der ARD ausgerechnet, dass der Durchschnittslohn zwischen einem Aufstocker mit zehn Stunden Arbeit und einem Beschäftigten mit 37,5 Wochenstunden im Durchschnitt bei unter 2,50 Euro pro zusätzlicher Stunde liegt.

Dennoch warnt Arbeitsminister Heil davor, einen Job zu kündigen, um Bürgergeld zu bekommen."Jemand, der so bescheuert ist, wegen des Bürgergeldes zu kündigen, der bekommt erstmal kein Bürgergeld, der kriegt erst einmal eine Sperre beim Arbeitslosengeld", sagt Heil. Tatsächlich bekommen Menschen, die mehr als zwölf Monate gearbeitet und in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, nach der selbst eingereichten Kündigung erst einmal drei Monate lang kein Geld. Danach gibt es Arbeitslosengeld 1, das mindestens 60 Prozent des bisherigen Nettoverdienstes umfasst. Liegt der Betrag unter dem Existenzminimum, kann er aufgestockt werden. Erst nach einem Jahr gibt es Bürgergeld. Das dient dazu, die Zeit bis zu einer Jobaufnahme zu überbrücken. "Und wenn man nicht mitwirkt, gibt es nach wie vor auch Leistungsminderungen", sagt Heil.

Vier-Tage-Woche nicht Lösung für alle Unternehmen

Seit Jahren diskutieren Politik, Gewerkschaften und Arbeitgeber über die Möglichkeiten der Arbeitszeitsenkung. Viele Arbeitnehmer würden sich darüber freuen: Eine bessere Work-Life-Balance könnte weniger Stress bedeuten. Denn Fakt ist: In den letzten Jahren sind zwar die Erkrankungen von Arbeitnehmern durch Unfälle am Arbeitsplatz deutlich gesunken, dafür ist ein Anstieg psychischer Erkrankungen zu verzeichnen.

In den am Montag begonnenen Tarifverhandlungen in der Stahlindustrie geht es vor allem um eine Senkung der Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich. Dort werde schon jetzt weniger gearbeitet als in anderen Branchen, erklärt IG-Metall-Chefin Christiane Benner. Die Gewerkschafterin setzt sich für die Senkung der aktuell 35 Wochenstunden betragenden Arbeitszeit auf 32 Stunden ein. Sie begründet das mit dem Transformationsprozess in der Stahlbranche, der in den nächsten Jahren spürbar werde. Die Branche könne durch kürzere Arbeitszeiten attraktiver werden und so mehr Fachkräfte gewinnen.

"Das ist ein verheerendes Signal", sagt IW-Direktor Hüther über die Forderungen der IG Metall: "Die Transformation zur Klimaneutralität wird uns viel, viel mehr Arbeit abverlangen." So werde man in Zukunft mehr Menschen brauchen, die Elektrolyseure bedienen. Elektrolyseure sind Vorrichtungen, mit denen durch Strom eine chemische Reaktion herbeigeführt wird und die man zum Beispiel zur Herstellung von Wasserstoff benutzen kann. Es gibt jedoch Experten, die davon ausgehen, dass durch die Umstellung von Koks auf Wasserstoff bei der Stahlherstellung die Zahl der Arbeitskräfte in der Stahlindustrie deutlich sinken wird.

"Ich glaube nicht, dass die Vier-Tage-Woche die Lösung für alle Unternehmen und alle Betriebe in Deutschland ist", sagt Unternehmensberaterin Ronja Ebeling bei "Hart aber fair". Dennoch sei es wichtig, über neue Arbeitszeitmodelle zu reden. Hier könnte Arbeitsminister Heil eine Lösung haben: flexiblere Lebensarbeitszeiten. Er sagt: "Es muss mal die Möglichkeit geben, voll reinzuklotzen, es muss die Möglichkeit geben, sich mehr mit der Familie zu beschäftigen. Es gibt die Notwendigkeit, sich weiterzubilden oder Angehörige zu pflegen." Diese Flexibilität im Erwerbsverlauf müsse zwischen den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern ausgehandelt werden, den passenden Rahmen dazu müsse der Staat setzen.

Quelle: ntv.de

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