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"Wir werden alle töten" Kostete die Hetze den Blogger Tatarski das Leben?

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Das "Street Food Café" zeigt nach dem Anschlag Spuren der Verwüstung.

Das "Street Food Café" zeigt nach dem Anschlag Spuren der Verwüstung.

(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

Militärblogger Wladlen Tatarski stirbt bei einem Mordanschlag in einem Petersburger Café. In seinen Blogs kritisierte er offen das russische Militär und war als Hetzer gegen die Ukraine Ehrengast im Kreml. Der Anschlag zeigt: Beide Haltungen könnten in Russland gefährlich sein.

"Wir werden alle besiegen, wir werden alle töten, wir werden alle berauben, die man berauben sollte", sagt Wladlen Tatarski, als er den Kreml verlässt. "Alles wird so sein, wie wir das mögen." Es ist der 30. September 2022, der Militärblogger, der bürgerlich Maksim Fomin heißt, hat gerade einen angenehmen Termin hinter sich: als Ehrengast bei Russlands Präsident Wladimir Putin, der das Dekret zum Annexionsversuch von vier in Teilen besetzten ukrainischen Gebieten unterschrieb und dazu eine längere Rede hielt.

Ein halbes Jahr ist das Video alt, das ihn, einen der radikalsten Unterstützer des Angriffskrieges gegen die Ukraine, beim Verlassen des Kreml zeigt. Seit Sonntag wird der Film, der zu den abwegigsten Dokumenten russischer Kriegspropaganda gehört, wieder viel im Internet geteilt. Denn seit Sonntag ist Wladlen Tatarski nicht mehr am Leben.

Der Sprengstoff war in einer Büste

Der Blogger starb bei einer Explosion in einem Sankt Petersburger Café, das dem Gründer der Söldnertruppe Wagner, Jewgenij Prigoschin, gehört. Eigentlich sollte der 40-Jährige dort den Teilnehmern des sogenannten Diskussionsclubs "Cyberfront Z" von seinen Erfahrungen berichten. Gegen Ende explodierte wohl eine Büste, die Tatarski zuvor von einer Besucherin überreicht worden war. Die Frau, die unter Petersburger Feministinnen bekannte Darja Trepowa, wurde am Montag festgenommen und behauptet, sie sei reingelegt worden. Ob sie davon wusste, dass sich in der Bürste Sprengstoff befand, ist eine zentrale, bislang offene Frage.

Die offizielle Sichtweise Russlands lautet, der Mord an Maksim Fomin wurde von ukrainischen Geheimdiensten in Auftrag gegeben, mit Beteiligung des Netzes der Stiftung für Korruptionsbekämpfung. Diese Stiftung gehört dem inhaftierten russischen Oppositionellen Alexej Nawalny, dessen Anhängerin Trepowa sein soll. Bei einer Antikriegsdemo am 24. Februar 2022 soll sie kurz festgenommen worden sein. In der Ukraine wird dagegen auf Konflikte innerhalb Russlands verwiesen.

Die meisten der kursierenden Versionen können nach heutigem Stand nicht pauschal als unwahrscheinlich abgestempelt werden. Bei einigen Aktionen wie etwa der Sprengung der Krim-Brücke - einer Attacke, die enormen Organisationsaufwand erforderte - wird nicht grundlos ukrainische Beteiligung vermutet. Dass die Ukraine auf die eine oder andere Art mit dem Mord an Darja Dugina, der Tochter des rechten Publizisten Aleksandr Dugin, im letzten August etwas zu tun hatte, ist auch nicht gänzlich auszuschließen.

Jedoch ist es tatsächlich so, dass Tatarski, der zuletzt immer näher an Prigoschin heranrückte, sich mit seiner Kritik an der russischen Militärführung und Generälen nicht nur Freunde, sondern auch reichlich Feinde machte. Eine Hintergrundaktion der radikalen Teile der russischen Opposition wäre ebenfalls eine Möglichkeit. Die vom Kreml behauptete Beteiligung der Strukturen um Putins Erzfeind Nawalny wirkt aber herbeifantasiert, während Prigoschin selbst, der einen langen Konflikt mit dem russischen Verteidigungsministerium pflegt, an der Beseitigung Tatarskis wohl kein Interesse haben dürfte.

In Prigoschins Café kann man zu Tode kommen

Wer auch immer hinter dem Mord an Tatarski stecken sollte - allein, dass dieses Attentat stattfand, ist bemerkenswert. Der Vorfall zeigt eindrücklich, dass russische Propagandisten und andere laute Kriegsbefürworter im eigenen Land nicht unbedingt sicher sind. Sogar in einem Café, das Jewgenij Prigoschin gehört, mitten in Sankt Petersburg, kann man zu Tode kommen. Das erinnert daran, dass der von Russland begonnene Angriffskrieg nicht nur in direkten Grenzregionen zur Ukraine spürbar ist, sondern auch tief im Hinterland. Auch dort wird er spürbar bleiben.

Das Beispiel Tatarskis, der durch den Krieg eine Sternstunde erlebte und plötzlich deutlich mehr als eine halbe Million Menschen im Messengerdienst Telegram erreichte, reiht sich ein in die Schicksale vieler, die einst beim Kampf an der Seite der sogenannten prorussischen Separatisten im Donbass dem interessierten Publikum bekannt wurden. Eine Reihe von Feldherrn bis hin zum ehemaligen Chef der selbsternannten "Volksrepublik Donezk", Aleksandr Sachartschenko, wurde seit Kriegsausbruch im Frühjahr 2014 umgebracht. Donezk, Luhansk und Moskau haben bei solchen Vorfällen stets auf Kiew verwiesen, doch der Verdacht liegt nahe, dass vor allem Russland an der Beseitigung von kaum kontrollierbaren, oft extravagant auftretenden Kommandeuren interessiert war.

Für den selbst aus dem Donbass stammenden Tatarski war der Krieg im Osten der Ukraine einst Schlüssel zur Freiheit. Im Dezember 2011 war er für einen Raubüberfall auf eine Bank zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden, konnte jedoch im August 2014 am Rande der Kämpfe fliehen. Bis 2019 hat Tatarski sowohl in Donezk als auch in Luhansk gekämpft, bis er nach Moskau zog, mit dem Militärbloggen anfing und einige Bücher zu seinen Erfahrungen im Donbass veröffentlichte. Mit Beginn der vollumfänglichen Invasion kehrte Fomin in die Ukraine zurück und half neben seiner Kommunikationstätigkeit, Militärdrohnen zu fliegen.

Radikaler als die russische Linie vorgibt

Trotz seiner äußerst zweifelhaften Vergangenheit wurde Tatarski zu einer der zentralen Figuren der Gruppe, die in Russland "Kriegsreporter" genannt wird. Dabei geht es kaum um wirkliche Journalisten, sondern um Blogger, die zum einen noch etwas radikaler auftreten, als die staatliche russische Linie es vorgibt.

Zum anderen betrachten sie die Lage vor Ort und Probleme an der Front kritischer, als das Staatsfernsehen es tut. Das gehört wohl zu den Gründen, warum sich auch Putin gelegentlich mit den "Kriegsreportern" traf. Beim Rückzug der Russen aus der Region Charkiw im letzten Herbst waren "Kriegsreporter" beinahe die einzigen, die im Vorfeld vor den Problemen der russischen Armee warnten. Tatarski, der stets und direkt zur Auslöschung des ukrainischen Staates aufrief, wird Putin nicht mehr treffen können.

(Dieser Artikel wurde am Montag, 03. April 2023 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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