Politik

Ukrainer sprechen über den Krieg "Hier im Keller hockend waren wir Zombies"

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Das Dorf Jahidne war im Winter 2022 russisch besetzt. Die im Schulkeller eingesperrten Dorfbewohner zählten die Tage an einer Tür: 27.

Das Dorf Jahidne war im Winter 2022 russisch besetzt. Die im Schulkeller eingesperrten Dorfbewohner zählten die Tage an einer Tür: 27.

(Foto: Niemeyer)

Ein ganzes Land im Kampf um sein Leben. Sieben Menschen in der Ukraine sprechen über das, was der Krieg ihnen genommen hat. Und darüber, was ihnen Kraft gibt zum Weitermachen - wenn Hoffnung manchmal ein zu großes Wort ist.

Maksim - über Verlust

Maksim beim Muskelaufbau.

Maksim beim Muskelaufbau.

(Foto: Niemeyer)

Die Beine hat mir eine Drohne weggeschossen. Wir waren nahe Saporischschja stationiert. Ein Kamerad wurde getroffen und ich versuchte, ihn zu bergen. Da kam so eine kleine, russische First-Person-View-Drohne angeflogen und die Sprengladung hat mich erwischt. An dem Tag waren die Kämpfe so heftig, dass ich neun Stunden da lag, bis mich jemand evakuieren konnte. Vorher war es zu gefährlich. Durch den Zeitverlust bei der Rettung musste die Amputation so weit oben angesetzt werden, dass ich meine Beine komplett verloren habe.

Maksim - vom Weitermachen

In meinem Land tobt Krieg. Meine Berufung ist der Kampf für unsere Freiheit und den will ich weiterführen, in meiner alten Kompanie. An die Phantomschmerzen habe ich mich gewöhnt. Demnächst werden die beiden Prothesen geliefert, dann muss ich natürlich erstmal trainieren. Jetzt schon baue ich Arm-, Schulter- und Bauch-Muskulatur auf, täglich am Barren. Auch mit dieser Verletzung bin ich noch immer, auch offiziell, Teil meiner Fronteinheit und halte Kontakt mit den Kameraden. Dort sehe ich meine Zukunft.

Anna - über Verlust

Anna arbeitet derzeit als Lehrerin in Odessa.

Anna arbeitet derzeit als Lehrerin in Odessa.

(Foto: Niemeyer)

Ich komme aus Awdijiwka. Mein Heim habe ich an die Russen verloren. Ich kenne aktuelle Bilder von dort, unser Haus existiert nicht mehr. Also eigentlich ist alles zerstört, was ich besaß. Einige Freunde, auch Verwandte sind gefallen - meine Cousins zum Beispiel. Jetzt lebe ich hier in Odessa mit meinen zwei Kindern, meinem Mann, meiner Mutter und der Oma. Ich arbeite als Lehrerin, wir versuchen einfach weiterzuleben.

Anna - vom Weitermachen

Hoffnung finde ich in den Augen meiner Kinder. Für sie gebe ich nicht auf, auch wenn es so viel Kraft kostet. Sie sollen eine Zukunft haben.

Ivan - über Verlust

Ivan aus Jahidne hat 27 Tage Keller überlebt.

Ivan aus Jahidne hat 27 Tage Keller überlebt.

(Foto: Niemeyer)

Mein Dorf stand im Winter 2022 für 27 Tage unter russischer Besatzung und wir Bewohner waren im Keller unter der Schule eingesperrt. Diese Zeit hat mich krank gemacht - die vier Wochen ohne frische Luft, ohne Licht oder Wärmequelle. Wir waren in einem Raum mit 37 Leuten eingepfercht, ständig tropfte das Kondenswasser von der Decke, immer war man feucht und kalt. Die Babys haben am meisten gelitten, ihnen fehlte der Sauerstoff. Einige der Kleinen sind gestorben in diesen vier Wochen und mir hat die Zeit im Keller das Herz ruiniert, ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Meine Familie hat den Keller überlebt, aber mir hat er die Gesundheit genommen.

Ivan - vom Weitermachen

Unser Dorf liegt sehr nah an Kiew, darum sehen wir über uns am Himmel jeden Tag russische Raketen und Drohnen, die auf die Hauptstadt fliegen. Viele davon werden hier abgeschossen. Ich hoffe auf den Sieg. Das ist das, was wir brauchen. Während der Zeit im Keller gab es eigentlich nichts, was uns Hoffnung gemacht hat. Während der Besatzung, hier im Keller hockend, haben wir nur noch existiert. Wir waren Zombies.

Oleksandra - über Verlust

Oleksandra aus Kiew baut an Wochenenden mit Dorfbewohnern ihre Häuser wieder auf.

Oleksandra aus Kiew baut an Wochenenden mit Dorfbewohnern ihre Häuser wieder auf.

(Foto: Niemeyer)

Was ich verloren habe, ist meine Lebenseinstellung - eine, die viele Leute in Europa sicher noch haben. Wir sind aufgewachsen mit der Vorstellung, dass Krieg eigentlich undenkbar ist. Ich hatte Pläne für die Zukunft, ganz normale Ideen für mein Leben. Davon ist nichts übrig. In den ersten Monaten des Krieges hatte ich das Gefühl: "Sie haben mein Leben gestohlen". Mir ist nichts körperlich Schlimmes passiert, meine Familie war kurz unter Besatzung, hat das aber überlebt, trotzdem hatte ich dieses Gefühl, dass mein Leben gestohlen wurde. Erst mit der Zeit habe ich es geschafft, unsere neue Wirklichkeit zu akzeptieren. Ich denke jetzt nicht einmal mehr: "Nach dem Krieg wird alles wie zuvor." Es wird nie wieder sein wie früher und das ist okay für mich.

Oleksandra - vom Weitermachen

Ich glaube, der Ausdruck "Hoffnung" passt nicht zu dem Leben, das ich gerade führe. Wenn man mich fragt, was mir Hoffnung macht, dann denke ich: "Hoffnung - hab ich die überhaupt?" Das heißt nicht, dass ich total hoffnungslos bin, es heißt nur, dass das Wort zu groß ist. Ich habe nichts, was mir Hoffnung macht, aber ich habe ein paar Dinge, an die ich denken kann, wenn es zu hart wird. Ich denke dann an die Freunde, die schon gestorben sind. Einige gute, mutige, junge Leute, die das Leben vor sich hatten. Der einzige Respekt, den ich ihnen noch erweisen kann, ist, nicht zu zergehen in Trauer und Sehnsucht, sondern zu versuchen, ihre Lücke zu füllen. Weiterzumachen, um das Opfer wert zu sein, das sie erbracht haben für uns. Denn sie sind gestorben, damit wir leben und weitermachen. Am Ende geht es nicht um Hoffnung, sondern nur darum, all dem einen Sinn zu geben.

Olga - über Verlust

Olga hat nun wieder ein eigenes Haus.

Olga hat nun wieder ein eigenes Haus.

(Foto: Niemeyer)

Die russischen Besatzer haben mir mein Heim genommen. Als sie in unser Dorf kamen, fuhren sie bei mir am Fenster vorbei. Anfangs konnte ich noch die Erschütterung bei jedem einzelnen Panzer wahrnehmen. Irgendwann waren so viele hier, dass es nur noch ein einziges Getöse war. Wir haben uns in Kellern versteckt. Mein Haus haben sie komplett abgebrannt, nichts war mehr übrig.

Olga - vom Weitermachen

Ich hätte nie gedacht, dass ich so schnell wieder ein Haus zum Leben haben würde, das gibt mir Kraft. Diese jungen Leute von "Repair Together" standen eines Tages plötzlich hier im Dorf. Man könne sich Leute zum Helfen bestellen, hieß es. Ich habe die Gruppe mit den roten Bändchen zugeteilt bekommen und als Erstes dachte ich: "Mein Gott, sind die dünn, und dann so viele Mädchen!" Ehrlich gesagt habe ich nicht viel erwartet. Aber die haben gearbeitet wie verrückt und jetzt steht mein Haus schon und ich bin eingezogen. Diese Jungen und Mädchen - sie sind wie eine Familie für mich.

Valeriya - über Verlust

Valeriya dreht Filme und managt andere Künstler.

Valeriya dreht Filme und managt andere Künstler.

(Foto: Niemeyer)

2024 ist das zehnte Jahr, in dem ich nicht nach Hause kann, weil ich aus dem Oblast Donezk stamme und der ist seit jetzt zehn Jahren russisch besetzt. Für mich hat der Krieg also nicht vor zwei Jahren begonnen, sondern vor einer Dekade. Was ich verloren habe? Meine Heimat.

Valeriya - vom Weitermachen

Als die Großinvasion vor zwei Jahren begann, hätte ich ins Ausland gehen können. Aber ich kannte die Erfahrung aus den Kriegsjahren zuvor und habe entschieden, hier in der Ukraine zu bleiben. Hoffnung macht mir die Möglichkeit, mein Land in einem globalen Kontext zu zeigen. Ich helfe Kulturprojekten, sich zu präsentieren, sich auch auszutauschen mit Künstlern aus anderen Ländern. Darauf konzentriere ich mich. Das ist meine Mission.

Eine Dorfbewohnerin - über Verlust

Sie freute sich über den Besuch im Ort.

Sie freute sich über den Besuch im Ort.

(Foto: Niemeyer)

Verloren habe ich Freunde und Verwandte im Krieg. Und meine innere Ruhe.

und vom Weitermachen
Mein Glaube an den Sieg macht mir Hoffnung. Die Zuversicht, dass die Ukraine frei sein wird.

Aufgezeichnet in Kiew, Johidne, Lukaschiwka und Odessa von Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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