"Geistige Unbeweglichkeit" Historiker-Brandbrief wühlt SPD auf
29.03.2024, 00:16 Uhr Artikel anhören
Willkürlich, erratisch, faktisch falsch: Bundeskanzler Scholz und SPD-Fraktionschef Mützenich kommen in der Bewertung von fünf Historikern schlecht weg.
(Foto: picture alliance/dpa)
Fünf namhafte Historiker mahnen die SPD zu mehr Wehrhaftigkeit in ihrer Russlandpolitik. Während Bundeskanzler Scholz seine Zögerlichkeit als Besonnenheit darstellt, fordern mehrere Abgeordnete eine Auseinandersetzung mit dem Brandbrief. Auch SPD-Chef Klingbeil sieht Handlungsbedarf.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Haushaltsexperte Andreas Schwarz hat gegenüber dem "Spiegel" dafür plädiert, sich mit der Kritik von fünf Historikerinnen und Historikern an der Ukrainepolitik der Partei ernsthaft auseinanderzusetzen: "Den Brief sollte man ernst nehmen. Wir müssen ihn in Partei und Gesellschaft diskutieren. Ein Blick in die Geschichtsbücher sollte uns Mahnung sein", sagte der Sozialdemokrat dem Blatt. Schwarz gehört zu den wenigen Sozialdemokraten im Bundestag, die den Marschflugkörper "Taurus" für Kiew fordern. Putin sei "ein brutaler Diktator", der auf das Recht des Stärkeren setze, sagte Schwarz weiter. "Daher sollte die westliche Welt ihm mit Geschlossenheit, mit Härte und auch Stärke begegnen. Nur so bekommt man ihn an den Verhandlungstisch."
Der frühere Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels, der Mitglied der SPD-Grundwertekommission ist, forderte ebenfalls, den Brief als Anregung zu sehen. "Wir müssen die Debatte über unser Verhältnis zu Russland weiterführen", sagte Bartels dem Magazin. Man fange aber nicht bei null an. Denn auf dem SPD-Parteitag im Dezember sei der "kluge Beschluss" gefasst worden, "dass wir die Sicherheit Europas vor Russland organisieren müssen - statt wie früher, gemeinsam mit Russland". Zugleich mahnte Bartels: "Es gibt aber auch noch altes Denken in der Partei und bei manchen eine geistige Unbeweglichkeit." Einige würden nicht realisieren, "dass die Situation eine ganz andere ist als zu Zeiten Willy Brandts".
Nach "Spiegel"-Informationen ist SPD-Parteichef Lars Klingbeil bereits auf die Verfasser des Brandbriefs zugegangen. Ende April will er sich demnach mit den fünf Historikern treffen. Auch die beiden Chefs des sogenannten Geschichtsforums der SPD, Kristina Meyer und Bernd Rother, sollen an dem Termin teilnehmen. Zwei der fünf Mitunterzeichner - die Kieler Historikerin Martina Winkler und ihr Kollege Jan C. Behrends aus Frankfurt (Oder) - sind selbst Mitglieder dieser SPD-Institution.
Frontalangriff auf Scholz
Am Dienstag war ein Brief von fünf renommierten, SPD-nahen Historikern an die Partei öffentlich geworden, der den aktuellen Kurs von Kanzler und Partei im Umgang mit Russland scharf kritisiert. Olaf Scholz lasse die "nötige Klarheit und unzweideutige Solidarität vermissen", wenn es darum gehe, dass die Ukraine den Krieg nicht verlieren dürfe. In der Frage von Waffenlieferungen seien die von Kanzler, Fraktions- und Parteispitzen vorgetragenen Begründungen "immer wieder willkürlich, erratisch und nicht selten faktisch falsch", hieß es in dem Brief.
Der SPD-Außenexperte Michael Roth hatte zuletzt seinen Rückzug aus der Politik auch mit dem Ukraine-Kurs seiner Partei begründet. Roth, der seit 2021 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages ist, sprach von einem schleichenden Entfremdungsprozess von der SPD. Er sei leidenschaftlicher Sozialdemokrat, sagte er. "Aber im letzten Jahr habe ich gemerkt, dass ich mit unseren Sitzungen immer mehr fremdele, dass mich die Gremien stören, die Stimmung darin." Er fügte hinzu: "Wenn die Tür zum Fraktionssaal aufging, hatte ich zuletzt den Eindruck, ich steige in einen Kühlschrank."
Quelle: ntv.de, mau