Politik

Das Land und die sozialistische Parteiseele Hollande tanzt auf dem Drahtseil

Schwierige sozialistische Zweckgemeinschaft: Präsident François Hollande mit Premierminister Manuel Valls.

Schwierige sozialistische Zweckgemeinschaft: Präsident François Hollande mit Premierminister Manuel Valls.

(Foto: dpa)

Die Franzosen sind überhaupt nicht glücklich mit ihrem Präsidenten. François Hollande tritt die Flucht nach vorn an und will nun die Probleme richtig anpacken - mit einem Premier, der ihm gefährlich werden könnte.

La Grande Nation, was ist aus dir geworden? Sogar im kleinen Lettland, das erst zu Jahresbeginn dem Euroraum beigetreten ist, regt sich Unmut: "Frankreichs Präsident François Hollande hat wiederholt gesagt, dass er einen Plan zur Wiederbelebung seiner Wirtschaft hat - tatsächlich passiert ist aber nichts", sagte Andris Vilks vor geraumer Zeit verärgert. Und er setzte noch einen drauf: "Taten, Taten, woran es ihnen mangelt, sind Taten."

Kritik aus dem kleinen Lettland an die Grande Nation: Andris Vilks.

Kritik aus dem kleinen Lettland an die Grande Nation: Andris Vilks.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der lettische Finanzminister legt den Finger auf di e klaffende französische Wunde. Das kann er auch, denn die Regierung in Riga hat, um den begehrten Euro ins baltische Land zu bekommen, ihrem Volk in den vergangenen Jahren viel zugemutet. Es wurde gespart und gestrichen. An soziale Wohltaten ist in dem baltischen Staat noch immer nicht zu denken. Insofern ist Vilks Ärger über den großen Partner im Westen nur allzu verständlich.

Aus der europäischen Lokomotive Frankreich ist zweifellos ein großer europäischer Problemfall geworden. Hollande ist mit seinem wichtigsten Ziel gescheitert, bereits Ende des abgelaufenen Jahres den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu stoppen. Das Gegenteil ist der Fall: Anfang dieses Jahres steigt die Zahl der Arbeitslosen weiter und erreicht im Februar den Rekord von 3,35 Millionen. Die Quote liegt klar über der Zehn-Prozent-Marke - ein Desaster für den sozialistischen Präsidenten. In Deutschland mit seinen mehr als 80 Millionen Einwohnern sind zahlenmäßig deutlich weniger Menschen ohne Job als in Frankreich mit seinen knapp 66 Millionen.

Konsolidierung des Staatshaushalts nötig

Die wirtschaftliche Misere schlägt sich für Hollande auch in schlechte Umfragewerte nieder. Der 59-Jährige ist der unbeliebteste Präsident der V. Republik, er ist momentan bei seinem Volk unten durch. Die jüngste Quittung gab es bei den jüngsten Kommunalwahlen, die Sozialisten verloren Dutzende Gemeinden - zumeist an die konservative UMP, dessen Präsidenten Nicolas Sarkozy Hollande 2012 aus dem Élysée-Palast gedrängt hatte. Der rechtsextreme Front National etabliert sich in Frankreich als dritte politische Kraft. Die Aufbruchstimmung, wenn es sie denn je gab, ist nun endgültig dahin. Es ist eine Crux für Hollande: Die UMP, deren Staatschefs Jacques Chirac und Sarkozy sich auch nicht gerade durch großen Reformeifer hervorgetan haben, "sonnt" sich in den Misserfolgen des amtierenden Staatschefs.    

Stark wachsendes Staatsdefizit.

Stark wachsendes Staatsdefizit.

(Foto: picture alliance / dpa)

Denn Frankreichs Staatsdefizit wächst und wächst. In den vergangenen zehn Jahren hat es sich fast verdoppelt. Schob die Republik 2003 noch einen Schuldenberg von rund 1 Billion Euro vor sich her, so sind es - befördert durch die Finanzkrise - 2013 bereits 1,95 Billionen Euro. Der mittlerweile geschasste Premierminister Jean-Marc Ayrault sagte für das laufende Jahr eine Staatsverschuldung von 95,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts voraus - 2003 waren es 60 Prozent. Bei der Senkung der Neuverschuldung gewährte die EU-Kommission Frankreich bereits einen Aufschub bis 2015.

Der neue Finanzminister Michel Sapin deutete bereits an, dass Paris über den Zeitplan neu verhandeln könnte - in Brüssel und vor allem in Berlin stößt sein vorsichtiger Vorstoß bereits auf Widerstand. Mit dem Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz, der auch sozialdemokratischer Kandidat für den Posten des EU-Kommissionschefs ist, hat er in dieser Frage allerdings einen wichtigen Verbündeten. Der Internationale Währungsfonds (IWF) macht den Franzosen Mut. Er rechnet damit, dass sie im nächsten Jahr die Drei-Prozent-Marke erreichen könnten. Im Gegensatz zu den EU-Partnern honoriert der Fonds die französischen Konsolidierungsbemühungen. Diese benötigten nun einmal ihre Zeit.

Valls will handeln

Denn: Wie andere europäische Krisenstaaten steckt auch Frankreich in einem Dilemma zwischen Haushaltsdisziplin und ebenfalls nötigen Wachstumsimpulsen. Dabei muss die Pariser Regierung tätig werden, um der angeschlagenen Wirtschaft auf die Beine zu helfen. Hollande setzt deshalb nun auf den von ihm nicht so geliebten Manuel Valls. Der neue Premierminister, der sich so gar nicht als Sozialist, sondern mehr als Sozialdemokrat sieht, soll den französischen Dampfer wieder flott machen.

Premierminister Valls benötigt einen größeren Gestaltungsraum.

Premierminister Valls benötigt einen größeren Gestaltungsraum.

(Foto: AP)

Und Valls Pläne suggerieren den von den Partn ern angemahnten Tatendrang. Von 2015 bis 2017 will seine Regierung rund 50 Milliarden Euro einsparen. Firmen sollen über niedrigere Lohnkosten um 30 Milliarden Euro entlastet werden. Zudem plant der neue Premier im Zeitraum von 2016 bis 2020 eine Senkung der Körperschaftssteuer von 33 auf 28 Prozent. Zur Gegenfinanzierung sagt der ehemalige Innenminister allerdings nichts Konkretes. Dementsprechend skeptisch sind die Wirtschaftsfachleute, die in dem Regierungspaket noch nicht den durchschlagenden Effekt sehen. Ihrer Meinung wird die Lage auf dem französischen Arbeitsmarkt auch weiter angespannt bleiben.

Valls soll nun anpacken, wozu sein Vorgänger Ayrault, der von Hollande an der kurzen Leine gehalten wurde, nicht in der Lage gewesen war beziehungsweise sein konnte. Die Frage ist, ob der gemäß der französischen Verfassung mächtige Präsident seinem neuen Regierungschef über längere Zeit größere Freiheiten bei der Gestaltung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik einräumt. Das 30-Milliarden-Euro-Entlastungspaket hatte Hollande bereits vor Wochen - also noch vor den Kommunalwahlen - angekündigt. Die geplanten niedrigeren Lohnkosten bedeuten die Befreiung der Unternehmen von Teilen der Sozialabgaben.

Kräftig flatternde Flügel

Das ruft aber die mächtigen Gewerkschaften, den linken Flügel von Hollandes Parti Socialiste (PS) und andere linke Gruppierungen auf den Plan. So sorgte ein Treffen Hollandes mit maßgeblich an der deutschen Agenda 2010 beteiligten Ex-VW-Personalvorstand Peter Hartz für Wirbel in Paris. Hollandes radikal-sozialistischer Gegenspieler bei der Präsidentenwahl 2012, Jean-Luc Mélenchon, nennt den deutschen Manager gar einen "unausstehlichen Typen". Der Élysée beeilte sich dementsprechend mit der Erklärung, Hartz werde nicht in die französische Arbeitsmarktreform eingebunden.

Hollande befindet sich in der Zwickmühle. Ihm kann nicht daran gelegen sein, dass der zum rechten PS-Flügel gehörende Valls scheitert. Das würde ihn bei den Franzosen endgültig diskreditieren. Weil in Frankreich der Staatspräsident die Richtlinienkompetenz besitzt, färbt die Arbeit seines Regierungschefs unmittelbar auf ihn ab. Andererseits erwächst Hollande mit einem erfolgreichen Premierminister Valls, der einem zahlenmäßig stark abgespeckten Kabinett vorsteht, im eigenen politischen Lager ein ernstzunehmender Konkurrent um die Präsidentschaft 2017.

So müssen sich beide, Hollande und der ihm laut Verfassung der V. Republik direkt unterstellte Valls, zusammenraufen. Frankreich benötigt Taten und kein politisches Geplänkel, wirtschaftlichen Aufschwung und keine Grabenkämpfe. Die Frage ist nur, ob Frankreichs Sozialisten in der Lage sind, diesen Spagat, der auch soziale Zumutungen beinhaltet, zu vollziehen.

Vielleicht lohnt sich für Hollande und die Seinen einmal der Blick über den Rhein nach Osten. Hierzulande hat sich die Schwesterpartei zumeist immer wieder an dem Grundsatz orientiert, wonach erst das Land und dann die Partei kommt. In Deutschland hat die SPD-Seele phasenweise sehr darunter gelitten. Dies wird auch den französischen Sozialisten nicht erspart bleiben.

Quelle: ntv.de

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