Alte Atommeiler IPPNW befürchtet Risse
23.09.2010, 13:41 Uhr
Trafohäuser des Atomkraftwerks Krümmel.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW befürchtet Risse in der Bodenschweißnaht von Reaktordruckgefäßen. Atommeiler wie Brunsbüttel und Krümmel hätten "gravierende Konstruktionsmängel". Die Kieler Atomaufsicht warnt indes vor einer Absenkung der Sicherheitsstandards in Kernkraftwerken durch das geplante neue Atomgesetz.
Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW hat vor dem möglichen Bersten von Reaktordruckbehältern in einigen deutschen Atomkraftwerken in Folge von "gravierenden Konstruktionsfehlern" gewarnt. Die Schweißnähte in älteren Siedewasserreaktoren der sogenannten Baureihe 69 seien nach aktuellen Berechnungen eines "unabhängigen Instituts für Bruchmechanik" teils höheren Belastungen ausgesetzt als erlaubt, teilte IPPNW mit. Bei Störfällen könne es zum Bruch der Nähte am Reaktordruckbehälter kommen, was zum Versagen der Kraftwerkskühlung und einer Kernschmelze führen könne.
Atommeiler der deutschen Baureihe 69 stehen in Brunsbüttel und Krümmel in Schleswig-Holstein, Isar 1 in Bayern sowie Philippsburg 1 in Baden-Württemberg. Sie gelten bei Atomkritikern aufgrund ihrer Konstruktionsweise vor allem im Bodenbereich des Reaktordruckbehälters seit langem als potenziell anfällig. In den Druckbehältern strömt Wasser um die Brennstäbe und wird durch die Hitze der atomaren Kettenreaktion unter hohem Druck auf fast 300 Grad Celsius erwärmt. Der dabei entstehende Wasserdampf treibt Turbinen zur Stromerzeugung an.

Die untergehende Sonne steht hinter den Kühltürmen des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld.
(Foto: picture alliance / dpa)
Nach Darstellung der IPPNW haben neue Untersuchungen nun den Verdacht bestätigt, dass die Schweißnähte des Reaktordruckbehälters vor allem im kritischen Bodenbereich höheren Belastungen ausgesetzt seien als eigentlich erlaubt. Die Spannungen erreichten Werte von 325 Newton je Quadratmillimeter, wobei laut Genehmigung lediglich 177 Newton und gemäß TÜV-Vorgaben höchstens bis zu 280 Newton je Quadratmillimeter zulässig seien.
"Konstruktion mit Problemzone"
Durch langjährige Beanspruchungen während des Betriebs leide nach Meinung von Experten das Material zusätzlich, erklärte die Ärzte-Organisation. Das bedeute auch, dass "es mit zunehmender Wahrscheinlichkeit zu einem Riss in der Bodenschweißnaht des Reaktordruckgefäßes kommen kann". Auch Manfred Zehn, Professor an der Technischen Universität Berlin, äußerte Zweifel an der Sicherheit. "Dieser Reaktordruckbehälter ist eine Konstruktion mit Problemzone", sagte Zehn laut Magazin "Spiegel". Zehn hatte die Belastungen der Druckbehälter am Computer simuliert.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung will die Laufzeiten von Atomkraftwerken um durchschnittlich zwölf Jahre verlängern, indem sie die im Atomausstieg von 2002 vereinbarten Reststrommengen vergrößert, die jedes deutsche Akw noch produzieren darf.
Atomaufsicht besorgt
Die Kieler Atomaufsicht wirft indes Umweltminister Norbert Röttgen vor, mit seinem Entwurf für ein Sicherheitsstandards in Kernkraftwerken abzusenken. Die geplante Regelung könnte "im Ergebnis möglicherweise zu einer Absenkung des verfassungsrechtlich gebotenen hohen Schutzniveaus führen", zitieren "Financial Times Deutschland" und "Süddeutsche Zeitung aus einem Brief des zuständigen parteilosen Landesjustizministers Emil Schmalfuß an den CDU-Minister.
Röttgen hatte bisher von einem höheren Sicherheitsniveau gesprochen und darauf verwiesen, dass zusätzlich zur Schadensvorsorge eine "weitere Vorsorge gegen Risiken" durch die Kraftwerksbetreiber vorgesehen sei. Die "FTD" zitiert aus dem Gesetzentwurf, der Betreiber habe "entsprechend dem fortschreitenden Stand von Wissenschaft und Technik dafür zu sorgen, dass die Sicherheitsvorkehrungen verwirklicht werden, die jeweils entwickelt, geeignet und angemessen sind, um (...) einen nicht nur geringfügigen Beitrag zur weiteren Vorsorge gegen Risiken für die Allgemeinheit zu leisten". Welche Vorkehrungen das konkret sind, darüber sollen laut Zeitung das Bundesumweltministerium und die zuständige Landesbehörde entscheiden.
Schmalfuß moniere, dass der Passus "zu einer Abschwächung der nach dem gültigen Atomgesetz bestehenden, weitreichenden Pflichten der Betreiber" führen könnte, berichtet die "SZ". Der Rechtsschutz Dritter werde durch das Gesetz eingeschränkt. Dies sei "gänzlich inakzeptabel".
Bundesregierung: Genug Platz für Atommüll
Die Bundesregierung sieht indes vorerst keine Platzprobleme bei der Unterbringung radioaktiver Abfälle. Trotz der geplanten längeren Atomlaufzeiten seien weitere Zwischenlager weder notwendig noch geplant - dies geht aus einer Antwort der Regierung auf eine kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion hervor, die dem "Hamburger Abendblatt" vorliegt.
Auf die Frage, wie es bei einem Laufzeit-Plus um die Kapazitäten der Atommüll-Zwischenlager Biblis, Brokdorf, Grafenrheinfeld, Gundremmingen und Krümmel bestellt sei, heißt es in der Stellungnahme: Im Falle einer Verlängerung um zehn Jahre bei vollem Leistungsbetrieb würde bei keinem der genannten Zwischenlager die genehmigte Gesamtmasse innerhalb der Betriebszeit der Reaktoren erreicht. Lediglich für das in Stilllegung befindliche Kernkraftwerk Obrigheim sei die Errichtung eines Zwischenlagers beantragt worden, heißt es. Darüber hinaus seien der Bundesregierung keine Pläne bekannt, vorhandene Zwischenlager auszubauen oder neue einzurichten.
Sylvia Kotting-Uhl, die atompolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, hält die Angaben der schwarz-gelben Regierung für nicht plausibel: "Ich bezweifle diese Aussagen und wundere mich, dass das Bundesumweltministerium sie nicht richtig belegt. Nach unseren Berechnungen wären beispielsweise die Kapazitäten von Biblis sehr früh erschöpft."
Unterdessen droht der Bundesregierung ein herber Rückschlag bei der Entsorgung von Atommüll. Der Start des dringend benötigten neuen Lagers für schwach und mittelradioaktiven Atommüll, Schacht Konrad, könnte sich um fünf Jahre verzögern.
Quelle: ntv.de, dpa