Interview mit Thilo Sarrazin "Ich bin für Religionsfreiheit"
16.11.2013, 14:24 Uhr
Thilo Sarrazin sorgte mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" für Kontroversen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Thilo Sarrazin ist Mitglied der SPD, war von 2002 bis 2009 Finanzsenator in Berlin und anschließend gut anderthalb Jahre Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank. Mit seinen Thesen zur Einwanderung und zum Euro hat er sich auch in seiner eigenen Partei alles andere als Freunde gemacht. Andererseits hat er aber auch Zuspruch erhalten. n-tv.de sprach mit Thilo Sarrazin über die "Festung Europa", den Euro, Eva Hermann und eine mögliche Koalition der Sozialdemokraten mit der Linken.
n-tv.de: Wie stehen Sie zu möglichen Koalitionen unter Einschluss der Partei "Die Linke"?
Thilo Sarrazin: "Die Linke" zählt zu den demokratischen Parteien, eine Koalition mit ihr muss deshalb nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Ob sie den nötigen Pragmatismus zu einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene aufbringt, muss die Zukunft erweisen.
Ihr jüngstes Buch heißt "Europa braucht den Euro nicht". Als Sie in Berlin Finanzsenator und später dann Bundesbanker waren, haben Sie den Euro akzeptiert. Heute aber …
Meine Position hat sich nie geändert. Ich bin auch kein fanatischer Gegner des Euro. In meinem Buch zum Euro habe ich schlichtweg analysiert, dass und weshalb Europa ihn nicht braucht. Dieser Ansicht war ich schon immer. Mein erstes Buch zu dem Thema heißt "Der Euro - Chance oder Abenteuer?" und ist 1997 erschienen!
Sie loben Gerhard Schröder als großen Reformer. Was meinen wohl die mehr als sechs Millionen Hartz-IV-Empfänger dazu? Davon mehr als anderthalb Millionen Kinder? Und was die 13 Millionen Menschen, die in nicht-sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen stehen?
Wenn Sie so etwas sagen, dann müssen Sie sich erst die Bedingungen vorher und nachher anschauen. Der Umfang der Beschäftigung in Deutschland hat sich seit Beginn der Reformen deutlich erhöht, ganz egal, woran Sie es messen. Ob an der Anzahl der Arbeitsstunden, der Beschäftigtenzahl oder dem Rückgang der Arbeitslosenquoten. Die Reformen haben Deutschland wirtschaftlich gut getan und die Arbeitsmarktpotentiale besser ausgeschöpft.
Sie wollen noch im November zusammen mit Eva Hermann, die sich bekanntlich lobend über die Familienpolitik der Nazis ausgelassen hatte, auf einem Kongress in Leipzig sprechen. Haben Sie als Sozialdemokrat keine Berührungsängste?
Ich rede zu meinem eigenen Thema. Ich rede nicht zu dem von Eva Hermann. Auch wenn ich den Thesen von Eva Hermann distanziert gegenüberstehe, habe ich kein Problem auf demselben Kongress zu sprechen wie sie. Sie hat übrigens auch nie die Familienpolitik der Nazis gelobt. Das ist eine dieser üblen Verleumdungen. Auch Peter Scholl-Latour, den ich gut kenne, wird auf dem Kongress sprechen. Wir haben auch keine Angst voreinander. Ich werde in jedem Fall meine Position vertreten.
Und wie sieht die aus?
Das werde ich Ihnen doch nicht schon vorher sagen!
Die Konferenz findet in Leipzig statt. Dort soll die erste Moschee in den neuen Bundesländern gebaut werden. Das wird in Leipzig sehr kontrovers diskutiert. Fürchten Sie nicht, dass die Konferenz in diesem Zusammenhang manipuliert werden kann?
Ich bin für Religionsfreiheit. Das bedeutet, dass Glaubensrichtungen aller Art in Deutschland die Möglichkeiten haben müssen, sich Gotteshäuser zu erbauen. Diese müssen natürlich städtebaulichen Vorgaben genügen. Kriminelle Aktivitäten dürfen dort nicht stattfinden. Bei uns können Mormonen ebenso Gotteshäuser errichten wie die Zeugen Jehovas oder Hindus und selbstverständlich auch Muslime. Alles andere wäre eine völlig falsche Diskussion.
In der EU wird nach dem jüngsten Flüchtlingsdrama vor Lampedusa über eine Vereinheitlichung der Einwanderungspolitik diskutiert. Würden Sie in der Vereinheitlichung einen Vorteil sehen?
Das kommt darauf an, in welche Richtung die Einwanderungspolitik vereinheitlicht wird. Wenn Sie in die falsche Richtung vereinheitlicht wird, käme es zu einer Katastrophe. In die richtige Richtung vereinheitlicht, wäre es ein Vorteil. Die Flüchtlinge aus Afrika gelangen durch kriminelle Schlepperbanden nach Europa. Die Banden werden bezahlt von der Sozialhilfe und den Arbeitslöhnen der Flüchtlinge, die sich bereits in Europa aufhalten. Dieser Geldstrom würde versiegen, wenn Flüchtlinge – mit Ausnahme von politischen Asylanten – keine Hilfen mehr bezögen, sei es in Form staatlicher Zuschüsse oder in Form von Arbeitseinkommen. Ich bin für eine ausreichende Kontrolle des Mittelmeeres und der übrigen Außengrenzen der EU. Zudem muss jeder dorthin zurückgeschickt werden, wo er herkam. Also nicht in sein Heimatland, was man oft ja auch gar nicht feststellen kann. Vielmehr muss ein Schiff, das aus Libyen kommt, genau dort wieder hingebracht werden. So etwas kann man heute mit Satelliten ohne Weiteres verfolgen. Dann müssen Libyer, Marokkaner oder Tunesier, wenn sie die Flüchtlinge nicht im eigenen Land haben wollen, dafür sorgen, dass sie erst gar nicht zu ihnen kommen. Wenn man ein solches Regime hätte, würde das Schlepperwesen mangels Finanzierung in relativ kurzer Zeit zusammenbrechen.
Das wäre dann die "Festung Europa".
Was heißt "Festung Europa"? Sie werden doch Ihr Haus auch absichern und haben vielleicht sogar eine Alarmanlage, die Tür wird abgeschlossen. Darum wohnen Sie doch nicht in einer Festung. Jedes Land hat das Recht, über sein Territorium zu bestimmen, so wie Sie das Recht haben zu bestimmen, wer Sie auf Ihrem Grundstück besucht. Man muss sich absichern. Kulturen, die sich abgesichert hatten, haben lange überlebt. Das Römische Reich hätte 400 Jahre weniger gedauert und seine besten Zeiten gar nicht erlebt, hätte es nicht den Limes gegeben, der sich von England bis zum Schwarzen Meer hinzog. China hätte seine Kultur nicht entwickeln können ohne die Chinesische Mauer. Übrigens hat China heute auch kein nennenswertes Einwanderungsproblem. In das Land kommt niemand, den die Chinesen dort nicht haben wollen. Das ist exakt die Art, wie man Einwanderungsthemen behandeln muss: Jene Einwanderer zulassen, die man haben will, und bei denen, die man nicht will, dafür sorgen, dass sie draußen bleiben.
Können Sie sich vorstellen, noch einmal in die Politik zurückzugehen?
Damit habe ich 2009 abgeschlossen.
Also nur noch Autor und Redner.
Genau. Autor und Redner.
Mit Thilo Sarrazin sprach Manfred Bleskin.
Quelle: ntv.de