Politik

"Zicklein in der Milch seiner Mutter" Iftar bei Ali

Busfahrer Ali lädt zum Fastenbrechen.

Busfahrer Ali lädt zum Fastenbrechen.

Israel, wie es nicht im Reiseführer steht: Ein Fastenbrechen-Mahl bei Ali, einem Schwyzerdütsch sprechenden Beduinen, inmitten einer biblischen Landschaft. Dabei sind auch Alis Cousins aus Eliteeinheiten der israelischen Armee sowie ein Onkel, der Stimmen für den konservativen Außenminister Lieberman sammelt.

Busfahrer Ali hat zum Iftar eingeladen. Das tägliche Fastenbrechen ist für Moslems während des Ramadan-Monats ein großes Gaumenfest. Die Einladung ist zudem eine große Ehre. Sie auszuschlagen, käme einer Beleidigung gleich. Bei Ali ist es üblich, an einem Abend während des Fastenmonats jene zum Festessen einzuladen, bei denen er selbst im Laufe des Jahres eingekehrt ist.

Ali ist Beduine, also ein Nomade. "Meine Familie zählt 8000 Mitglieder", sagt er und meint damit seinen ganzen Stamm. Der stets lächelnde Mann mit dem großen Bauch arbeitet für das israelische Reisebüro Keshet. Das hat sich auf Bildungsreisen spezialisiert, vor allem für Touristen aus Deutschland und der Schweiz. Die Brüder Jaron und Mosche Gabay arbeiten für Keshet, sie stammen aus der Schweiz. Und Busfahrer Ali war mit einer Schweizerin verheiratet. So kommt es, dass der Beduine neben seiner Muttersprache Arabisch, Hebräisch, Englisch und waschechtes Schwyzerdütsch spricht.

Besuch bei Jodfat

Die Autofahrt von Jerusalem dauert drei Stunden. Das letzte Stück führt einige Kilometer über einen holprigen Feldweg mit vielen Felsbrocken zu Alis kleinem Steinhaus, ins Tal zu Füßen des historischen Hügels von Jodfat im Norden Israels.

Die Tante beim Zubereiten des Salats.

Die Tante beim Zubereiten des Salats.

Die Sonne steht noch hoch am Himmel. Junge Männer bauen Tische auf und stellen Plastikstühle dazu. In dem Steinhaus, das nur aus zwei Zimmern besteht, sitzt Alis Tante barfüßig mit dem traditionellen gestickten Beduinengewand bekleidet auf dem steinernen Fußboden und schnippelt Tomaten für den Salat. In der Ecke steht ein riesiger Bottich aus Aluminium mit einer weißlichen Suppe. Obgleich es eigentlich verboten ist, bei Tageslicht zu essen, füllt Ali mit einer riesigen Kelle kleine Schüsseln. "Das ist Zicklein in der Milch seiner Mutter", sagt er stolz. Zwei Stunden lang rühren die Frauen ein Gemisch aus Ziegenmilch und Schafsjoghurt über dem offenen Feuer, bis eine köstliche säuerliche Suppe herauskommt, in der kleine Stückchen Lammfett und -fleisch schwimmen. Das war einst eine Opferspeise für den Gott Baal. Bis heute gilt es bei Moslems im Orient eine Festspeise.

Die Juden wollten sich von den - in ihren Augen - Heiden absetzen und führten wegen diesem Götteropfer ihre strikte Trennkost ein – koscheres Essen. In frommen jüdischen Häusern gibt es deshalb zwei Waschbecken in der Küche sowie separates Geschirr und Besteck für "Milchiges" und "Fleischiges". Oft auch zwei Kühlschränke, um Milch- und Fleischprodukte getrennt aufbewahren zu können.

Vertriebene Beduinen

Ali führt seine Gäste hinaus zu einem einfachen Zelt aus Holzstangen und alten Decken. Darin kochen Tanten auf Bunsenbrennern mit riesigen Gasflammen Berge von Lammfleisch, Rindergulasch und schütten in einen Topf mit Jasminreis Zimt, Kardamom, Kreuzkümmel und Pinienkerne. "Neulich verklagte uns der Jüdische Nationalfond (KKL), weil ich neben dem Haus ein Zelt errichtet hatte", erzählt Ali verbittert, während er sich seine Schirmmütze mit dem KKL-Wappen zurechtrückt. Weil das Haus auf den Namen seines Stammes im Grundbuch eingetragen ist, konnten die Behörden ihn aber nicht vertreiben.

Fast der gesamte Stamm Alis wurde bereits in ein Nachbartal umgesiedelt, denn die Regierung will das Tal zu Füßen von Jodfat möglichst in unberührtem Naturzustand belassen. In Jodfat gab es vor fast 2000 Jahren eine Schlacht jüdischer Aufständischer gegen die römischen Besatzer, erklärt Ali, "wie in Gamla auf den Golanhöhen und Massada am Toten Meer".

Erste essen, dann beten

Als die Sonne untergeht, kommen rund 60 geladene Gäste. Nur Männer. Erst sitzen sie auf einem mit Teppichen ausgelegten Feld vor dem Haus. Sobald aber die Sonne hinter den Bergen verschwunden ist, eilen sie auf die Betonfläche zu ihrer Seite und versammeln sich um die brechend vollgeladenen Tische mit riesigen Platten von Fleisch, Reis und duftenden Fladenbroten aus dem Gasofen. Auf die Minute genau essen die Männer zehn Minuten lang. Mit den Fingern stopfen sie sich Fleischstücke in den Mund. Nach zehn Minuten ist das Mahl aber vorbei. Nun stehen, hocken und verbeugen sich die 60 Männer in Reih und Glied ohne Schuhe auf der Teppichfläche, während einer mit lauter Stimme die traditionellen Gebete vorsingt.

Nach dem Gebet kommen die Juden Moshe und Jaron mit einigen jungen Beduinen ins Gespräch. Sie fachsimpeln. In welcher Einheit dienst du? Wo hast du im Libanon 2006 gekämpft? Und warst du dann mit Deiner Einheit in Gaza? "Ich habe am Kontrollpunkt Rachelsgrab bei Bethlehem gedient." Die jungen Männer tauschen Erinnerungen ihrer Armeezeit aus. Beduinen werden wie Juden zum israelischen Militär eingezogen und dienen meist in Eliteeinheiten wie "Duchifat", einem Bataillon gepanzerter Infanterie, das "hoch-qualifizierte" Sicherheitsoperationen in der palästinensischen Stadt Ramallah durchführt.

Die Sache mit Lieberman

Inzwischen ist es dunkel geworden. Ein Schluck Beduinen-Kaffee wird gereicht. "Vorsicht", warnt Ali. "Eine Nacht lang kochen wir drei Kilo Kaffeebohnen, um einen Liter Kaffee zu gewinnen." Ein schmächtiger Mann namens Ibrahim gesellt sich dazu. "Ich bin der Stimmensammler für Avigdor Lieberman", sagt er. "Kein anderer israelischer Politiker tut so viel für die Araber", sagt er. "Es ist eine reine Lüge, dass der Rassist sei", behauptet Ibrahim über den Außenminister. Lieberman ist in Israel als Hardliner umstritten, während seines Wahlkampfes schlug er etwa vor, alle Araber aus Israel zu vertreiben. Von etwa 50.000 wahlberechtigten Beduinen haben laut Ibrahim 11.000 für Liebermans "Israel, unser Haus" Partei gestimmt. Das Gespräch läuft gut, Ibrahim verabredet sich mit Mosche und Jaron zu einem Treffen mit Lieberman in Jerusalem.

Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm

Ehe wir Ali verlassen, wird die Beduinen-Geschirrspülmaschine in Gang gesetzt. Berge schmutzigen Geschirrs stehen aufgestapelt auf der Betonfläche. Eine Frau spritzt mit einem Gartenschlauch alles ab, während Ali uns zum Abschied noch riesige Plastikbehälter mit Reis und der Zicklein-Suppe mitgibt.

Quelle: ntv.de

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