Politik

Gesprächsbedarf mit Erdogan Integrationsdebatte kocht

Nach der Warnung des türkischen Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan vor zu großer Anpassung der in Deutschland lebenden Türken kocht die Integrationsdebatte wieder hoch. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vermied zwar eine direkte Bewertung der Äußerungen Erdogans, sagte aber nach einer Präsidiumssitzung in Hamburg, "dass wir über das Integrationsverständnis auch mit dem türkischen Ministerpräsidenten noch weiter diskutieren müssen". Integration bedeute, sich in die Lebensweise eines Landes hineinzufinden. Wer die deutsche Staatsbürgerschaft besitze, sei Staatsbürger ohne Abstriche. "Die Loyalität gehört dann dem deutschen Staat", betonte die CDU-Vorsitzende. Das heiße nicht, auf eigenen kulturellen Hintergrund zu verzichten.

Erdogan hatte vor rund 16.000 überwiegend türkischen Zuhörern am Sonntag in Köln vor einer Assimilierung gewarnt. Zugleich betonte er aber auch, wie wichtig das Erlernen der deutschen Sprache sei. Merkel begrüßte diese Äußerungen, unterstrich allerdings, das dauerhafte Leben in einem Land bringe es auch mit sich, die Gewohnheiten in diesem Land anzunehmen. "Deshalb, denke ich, sind wir hier noch nicht am Ende der Diskussion."

Die Kanzlerin betonte, bei Problemen türkischstämmiger junger Leute in Deutschland "bin ich ihre Bundeskanzlerin". Sie seien genauso wichtig wie jeder, "der sich schon seit 500 Jahren als deutschstämmig bezeichnet". Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck mahnte, beide Seiten seien aufgefordert deutlich zu machen, "dass wir zusammengehören". Mit den Integrationsbemühungen verbinde die deutsche Seite keinesfalls den Anspruch, " dass Menschen, die aus der Türkei zu uns gekommen sind, ihre kulturelle oder religiöse Integrität aufgeben müssen"

Bayerns Europaminister Markus Söder hielt Erdogan vor, ihm gehe es einzig darum, Politik von Ankara aus zu machen. Er halte es für möglich, dass Erdogan mit seinen Äußerungen den Weg für eine türkische Partei in Deutschland bereiten wolle, sagte der CSU-Politiker der Zeitung "Die Welt". Die Integrationsprozesse würden damit aber in die gegenteilige Richtung laufen. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer warnte bei n-tv jedoch davor, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Erdogans Partei AKP fahre einen klugen Kurs bei der Annäherung an Europa. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel sagte: "Das war kein Signal für Integration, sondern für Eigenständigkeit."

Der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman A. Mayzek, sagte der dpa, Erdogan und seine Regierung hätten erkannt, dass es bei den in Deutschland lebenden Türken ein politisches Vakuum gebe und träten nun als Schutzmacht auf. Der Vorsitzende des Islamrats in Deutschland, Ali Kizilkaya, nannte die Aufregung um Erdogan unverständlich. "Assimilation abzulehnen steht doch nicht im Gegensatz zu Integration, sagte er dem "Tagesspiegel" "Wir leiden schließlich in Deutschland darunter, dass viele junge Migranten gar keine Identität mehr haben." Mehmet Daimagüler, Ehrenvorsitzender der Liberalen Türkisch-Deutschen Vereinigung, sagte in den "Stuttgarter Nachrichten": "Ich zweifele an der Integrationsbereitschaft der Mehrheitsgesellschaft."

Keine eigenen türkischen Schulen in Deutschland

Auf überwiegende Ablehnung stießen Erdogans Vorstoß für türkischsprachige Schulen und türkische Lehrer in Deutschland. Merkel äußerte Bedenken gegen den Einsatz von Lehrern aus der Türkei für hier lebende türkischstämmige Menschen. Sie glaube nicht, dass dies der Integration diene. Sinnvoller sei der Einsatz Türkischstämmiger aus Deutschland.

Innenminister Wolfgang Schäuble erteilte Erdogans Vorstoß ebenfalls eine Absage: Wenn Kinder hierzulande eine faire Chance haben sollten, müssten sie in der Schule Deutsch sprechen, sagte Schäuble in der ARD. "Es darf nicht Türkisch Ersatz für Deutsch sein. Am besten wäre es, die Kinder wachsen zweisprachig auf." Auch SPD-Chef Beck nannte es falsch, eigene türkische Schulen oder Hochschulen in Deutschland einzurichten. Die Ausweitung von zweisprachigen oder religiösen Angeboten für türkischstämmige Schüler könne geprüft werden, aber "eigene Einrichtungen" wolle die SPD nicht.

Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) sagte, wenn ausländische Jugendliche Deutsch gelernt hätten, könnten sie an Schulen die türkische Kultur und Literatur auch auf Türkisch pflegen. Grünen-Chefin Claudia Roth meinte, angesichts von 120 deutschen Schulen und 1700 deutschen Lehrern im Ausland und zahlreichen zweisprachigen Gymnasien mit Englisch und Französisch hier spreche nichts gegen zweisprachige Schulen mit Deutsch und Türkisch. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagte, deutsche Sprachkenntnisse und die Akzeptanz des deutschen Rechts seien "Grundvoraussetzungen" für Integration. Die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) sagte: "Deutsch ist das einigende Band. Die Parole lautet: Lasst sie alle in eine Schule gehen."

Quelle: ntv.de

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