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Nouripour warnt vor Extremwetter "Millionen Haushalte sind bedroht, manche akut"

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"Kampagnen gegen uns hat es immer schon gegeben", sagt  Nouripour über die vermehrte Kritik an den Grünen.

"Kampagnen gegen uns hat es immer schon gegeben", sagt Nouripour über die vermehrte Kritik an den Grünen.

(Foto: picture alliance/dpa)

"Stärken, die uns schützen", lautet das Motto der Sommerreise des Grünen-Vorsitzenden Omid Nouripour. Er will sich über den Stand der inneren Sicherheit in Deutschland informieren. Gerade die Folgen des Klimawandels würden zum echten Sicherheitsrisiko für Deutschland, sagt der Bundestagsabgeordnete aus Hessen im ausführlichen Interview mit ntv.de. Doch auch die Personalsituation in der Polizei treibt ihn um. Die Bundesregierung müsse Gefahren vorbeugen, ohne die Menschen zu überfordern. Ein Streit wie um das Heizungsgesetz dürfe sich nicht wiederholen.

ntv.de: Herr Nouripour, Deutschland durchlebt gerade sehr heiße Sommertage. Der Juni war der wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Können Sie das Wetter noch genießen oder überwiegt immer die Sorge vor dem Klimawandel?

Omid Nouripour: Ich persönlich mag es eigentlich, wenn es wärmer draußen ist. Doch darum geht es nicht. Wenn die Schrebergarten-Nachbarn meiner Eltern mir erzählen, dass sie nicht mehr mit dem Gießen hinterherkommen, wenn im Land die Dürre schon Anfang Juli sichtbar wird, wenn es unseren Wäldern immer schlechter geht, kann ich das nicht beiseite legen. Auch nicht all die anderen Extremwettereignisse. In Kanada brennt es den dritten Monat am Stück. Das ist gewaltig.

Sie nutzen die parlamentsfreie Zeit für eine Sommerreise zum Thema innere Sicherheit, zu der Sie auch Fragen der Klimaanpassung zählen. Auf welche Art Gefährdung ist Deutschland zu wenig vorbereitet?

Deutschland ist auf beiden Seiten des Wassermanagements nicht gut aufgestellt. Man sieht es in der Landwirtschaft, in den Schrebergärten oder daran, dass bei mir in Hessen einige Kommunen die Wasserentnahme aus Flüssen und Bächen verbieten müssen. Die andere Seite ist: Die ausgetrockneten Böden führen in Kombination mit Starkregen im schlimmsten Fall zu Überflutungen. Millionen Haushalte sind dadurch bedroht, manche akut. Wir müssen uns besser wappnen. Dazu zählt, dass wir in den Hochwasserschutz investieren, indem wir dafür sorgen, dass möglichst viel Wasser zurückgehalten wird. Im Katastrophenfall gilt es, den Menschen schnell zu helfen. Hierfür braucht es zum Beispiel eine zuverlässige Warnung.

Das Ahrtal hat vor zwei Jahren gezeigt: Das Schadenspotenzial von Klimaextrem-Ereignissen wird oft erst richtig groß durch die Art und Weise, wie wir Flächen bebauen und bewirtschaften. Wird der Bund hier künftig Ländern und Kommunen mehr Vorgaben machen, um Großschadensereignisse zu verhindern?

Natürlich müssen wir schauen, wie wir heute bauen. Das liegt aber in der Verantwortung der Länder und kann am besten vor Ort beurteilt werden. Mit dem Klimaanpassungsgesetz werden wir die Kommunen dabei unterstützen. Im Bereich des Katastrophenschutzes sollte der Bund aber mehr Verantwortung übernehmen. Katastrophen machen nicht an Ländergrenzen halt! Erstens, wir wollen die Rolle des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe stärken, damit es eine Schnittstellenfunktion wahrnehmen und zwischen Bund, Ländern und Kommunen in Krisenlagen besser koordinieren kann. Zweitens, wir brauchen ein gemeinsames Lagebild, das Gefahren, aber auch Fähigkeiten darstellt. Drittens, wir müssen in die Ausrüstung investieren. Da geht es um Löschflugzeuge und Hubschrauber und viele andere Dinge. Dafür muss der Bund Geld in die Hand nehmen, aber auch die Länder. Diesem Problem sollten wir schnell begegnen, denn auf den Hitzesommer folgt fast immer das Hochwasser.

Vorsorge ist teuer, bringt keinen Applaus, solange es nicht zum Ernstfall kommt, und trifft nun auch noch auf leere Kassen. Wird die Bundesregierung dennoch ihrer Verantwortung gerecht?

Ja, wir wollen gemeinsam das Land krisenfester machen und haben dafür das Richtige vereinbart. Aber wir müssen bei manchen Vorhaben schneller werden. Das ist zu ernst für Wahlkämpfe. Wir tragen gemeinsam eine Verantwortung, die Bevölkerung zu schützen.

Den Regierungsparteien wird die Inflation angekreidet. Lebensmittelpreise werden wegen Hitze und Dürre absehbar steigen. Wie kommuniziert man hier die Verantwortlichkeiten?

Viele Menschen sind verständlicherweise erschöpft nach den Jahren von Pandemie, Inflation, Krieg und vielem mehr. Wir müssen deshalb besser und mehr erklären. Die Probleme werden größer, wenn wir nicht vorbeugen. Die Treiber der Lebensmittelpreise sind die auch in der Landwirtschaft durch den Krieg gestiegenen Energiepreise, die Verknappung auf dem Weltmarkt, die dadurch beschleunigte Inflation und klimabedingt häufigere Extremwetter.

Dennoch haben die Grünen einer Aufweichung des Heizungsgesetzes zugestimmt, die den Einsatz von Biomethan ausweiten könnte. In Zeiten der Dürre Grundwasser und Anbauflächen zu verheizen, finden Umweltorganisationen hochproblematisch.

Ich habe damit kein Problem, dass im Gesetz verschiedene Arten zu heizen stehen. Das wird der Markt regeln. Von mir aus hätte man auch da reinschreiben können, dass man mit Diamanten heizen kann. Die Frage ist: Wie sinnvoll, effizient und vor allem kostspielig ist das? Biomethan wird voraussichtlich sehr teuer werden, die meisten Menschen wollen lieber Planbarkeit bei ihren Heizkosten statt Kostensprünge.

Ihre Sommerreise verweist auf eine offene Flanke: Die Grünen regieren in elf Bundesländern und im Bund mit. Nirgendwo besetzt die Partei das Innenministerium. Warum machen Sie sich bei dem für viele Wählerinnen wichtigsten Thema einen schlanken Fuß?

Das muss ich zurückweisen, weil wir in ganz vielen Fragen der inneren Sicherheit Pionierarbeit geleistet haben. Sei es der Schutz von Frauen - Stichwort häusliche Gewalt oder auch die Beleuchtung von Parkhäusern, das Thema Mobbing oder Präventionsfragen. Über Katastrophenschutz haben wir schon geredet. Das sind alles sehr wichtige Themen, die viel zu lange etwas stiefmütterlich behandelt wurden.

Dennoch erachten Sie den Themenschwerpunkt als notwendig.

Ich mache diese Reise, weil ich ursprünglich aus der Innenpolitik komme und wir in einer Situation sind, in der die Angriffe auf die Demokratie zunehmen, auf Ehrenamtliche, auf Politiker und auf Pressevertreter. Ich besuche die Sicherheitsorgane, die unseren demokratischen Rechtsstaat und unsere Bevölkerung schützen. Ich will von den Mitarbeitenden erfahren, was sie sich von der Politik erwarten und wie wir sie besser unterstützen können. Und ich hoffe, dass die Grünen nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen das erste Mal ein Innenministerium führen werden.

Polizistinnen und Polizisten wählen eher nicht grün. Kaum wer erwartet sich dort Mehrausstattung und öffentlichen Rückhalt durch Grünen-Politiker.

Mein Eindruck ist, dass sich das in den letzten Jahren verändert hat. Es wurde doch zu lange ein Sparkurs bei der Polizei verfolgt. Das Ergebnis ist ein Personalmangel, kaputte Liegenschaften oder schlechte Ausrüstung. Dagegen haben wir uns lange ausgesprochen. Gleichzeitig steigt die Erwartungshaltung an unsere Polizistinnen und Polizisten ständig und es werden immer neue und teils fachfremde Aufgaben an sie herangetragen. Die mittlerweile über 20 Millionen Überstunden bei der Polizei bedeuten unheimlich viel Stress für die Betroffenen und auch ein Sicherheitsrisiko. Ich toure nicht, damit diese Leute uns wählen, sondern um von ihnen zu lernen.

Mehr Geld wird allein nicht helfen. Die Überalterung der Gesellschaft trifft den öffentlichen Dienst mit voller Wucht. Braucht es kreativere Ansätze?

Jobs mit vielen Überstunden sind nicht attraktiv. In vielen Orten haben wir uns sehr darum bemüht, auch Menschen für die Polizei zu gewinnen, die die Bevölkerungszusammensetzung in den Städten besser abbilden. Das lief mal besser, ist zurzeit aber wieder schlechter, auch weil Interessierte absehen können, dass Überstunden eher die Regel sind. Oder sie sich in den Innenstädten keine Wohnungen mehr leisten können. Das ist auch eine Frage von Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hinzu kommt die verschleppte Digitalisierung, die weitere Überstunden nach sich zieht.

Die Polizei zum Schutz der Demokratie herbeizurufen und zugleich undemokratische Geisteshaltungen in Teilen des Sicherheitsapparats anzuprangern, bedeutet für die Grünen einen ständigen Spagat. Schmerzhaft?

Das ist kein Widerspruch, denn Aufgabe und ja auch Selbstverständnis von Polizei und Bundeswehr ist es, unsere Verfassung zu schützen. Da muss man voraussetzen, dass diejenigen, die diesen Auftrag übernehmen, auch auf dem Boden der Verfassung stehen. Aber in einer Institution, die das Gewaltmonopol des Staates ausübt, darf daran kein Zweifel bestehen. Meiner Erfahrung nach gibt es innerhalb der Sicherheitsorgane ein hohes Bewusstsein dafür. Der Umgang mit dem Thema hat sich geändert und es wird heute kritischer hingesehen. Es braucht Austausch und Dialog sowie eine Politik, die zuhört.

Polizisten halten als Erste den Kopf hin, wenn Zuwanderung Probleme verursacht. Besonders eindrücklich zuletzt beim eskalierten Eritrea-Festival in Gießen oder der Gewalt zwischen Syrern und Libanesen in Essen. Das sind fremde Gewaltkonflikte, die sowohl in der Polizei und als auch in der breiten Bevölkerung Ängste schüren.

Die von den Schergen der Diktatur in Eritrea ausgehenden Gewalttaten in Gießen sind inakzeptabel. Das ist weder zu tolerieren noch hinzunehmen. Bei den Sicherheitsbehörden ist die Stimmung aber meines Eindrucks nach nicht 'wir gegen die Neuen', sondern 'die, die auf dem Boden der Verfassung stehen, gegen die anderen'. Und das geht alle an, vom Gemüsehändler in Berlin-Neukölln über die Bergerstraße in Frankfurt bis hin zum Villenbesitzer im Taunus, damit die Gesellschaft diese Trennlinie aufrechterhält. Ausschreitungen wie in den Silvesternächten treffen oft die Ärmsten. Auch viele Menschen mit Migrationshintergrund haben danach sehr deutlich mehr Schutz gefordert.

Gibt es einen Zielkonflikt zwischen einer humanitären, liberalen Einwanderungspolitik und öffentlicher Sicherheit?

Nein, es braucht aber gute Präventionsarbeit, gute Polizeiarbeit und gute Bildung. Ich bin im Iran aufgewachsen und da mussten wir jeden Morgen beim Zählappell Parolen gegen Israel skandieren. Ich habe hier in Deutschland von meiner Lehrerin gelernt, dass das alles menschenverachtend war. Wir brauchen diese Klarheit in der Grenzziehung und wir müssen Menschen, die Vorbilder sein können, stärker mit einbinden.

Die Zustimmung der Bundesregierung zum EU-Asylkompromiss hat Ihre Partei zutiefst aufgewühlt und war das große Thema auf dem kleinen Parteitag in Bad Vilbel. Werden die Grünen-Minister am Ende den Kompromiss mittragen, auch wenn weiter Familien mit Kindern im Rahmen von Außengrenzverfahren in haftähnlichen Unterbringungen landen könnten?

Wir haben in der Partei unterschiedliche Rollen und Positionen zum Thema. Wir werden uns das Paket gemeinsam anschauen und miteinander bewerten. Natürlich haben wir Standards, die nicht gerissen werden dürfen.

Die Kritik an Ihrer Partei ist so heftig wie seit Jahren nicht. Die Erzählung von der elitären Klientelpartei verfängt. Welche Mitverantwortung tragen Sie als Parteivorsitzender für diese Situation?

Es liegt an uns, dass wir alles dafür tun, damit so eine Zuschreibung nicht verfängt. Und es liegt an uns, alles dafür zu tun, damit wir bei den wesentlichen Fragen bleiben. Dazu zählen die Energieversorgung, die Wettbewerbsfähigkeit und wie wir das Land fit machen für die Zukunft. Daran haben wir in den letzten Monaten in der Sache gearbeitet, nur ist in der Außenwirkung wenig davon angekommen. Das muss wieder besser werden.

Aber anders als früher sind selbst Ihre Bündnispartner massiv unzufrieden, seien es die Umwelt- und Klimaschutzorganisationen oder die Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen. Wackelt am Ende auch Ihre Stammwählerschaft?

Dem stimme ich nicht zu. Ich war im Parteivorstand, als wir das letzte Mal mit Gerhard Schröder regiert haben. Die Zeiten damals waren deutlich heißer. Wir lassen die Gesprächsfäden nicht abreißen und stellen uns der Kritik. Solange etwas von uns erwartet wird, mache ich mir keine Sorgen. Und wir kommen in vielen Bereichen erheblich voran. Dass es in manchen etwas länger dauert, gehört dazu.

Wie kommt die Partei aus dem Abwärtsstrudel raus? Geben Sie die Losung aus 'Ruhig bleiben und abwarten, bis unsere Gesetze Wirkung entfalten!'?

Es ist immer richtig, zu mehr Gelassenheit zu finden. Aber wir werden nicht in den Ashram einkehren und warten, bis der Sturm vorübergezogen ist. Wir müssen darstellen, was wir erreicht haben und was wir noch vorhaben, ohne die Gesellschaft durch Menge und Geschwindigkeit dieser Vorhaben zu überfordern. Wenn wir nicht über unsere Erfolge reden, macht es auch sonst niemand.

Fehlt es der Partei im politischen Betrieb mitunter an Kampfhärte?

Nein. Ich glaube, es war Franz Müntefering, der mal gesagt hat: Nur die Harten kommen in den Garten. (lacht) Das wissen wir.

Wieso hat dann niemand in der Grünen-Spitze absehen können, welche Wucht das Heizungsgesetz hat und welche Steilvorlage jede Lücke für die politischen Wettbewerber bedeutet?

Ich kann nur für mich selbst sprechen: Ich habe nicht kommen sehen, dass man dreieinhalb Monate öffentlich streiten muss, bevor man ein Gesetz überhaupt ins parlamentarische Verfahren einbringt. Das habe ich in all meinen Jahren im Bundestag noch nicht erlebt. Ich wünsche dieser und auch kommenden Regierungen, dass sich das nicht wiederholt.

Mit Omid Nouripor sprach Sebastian Huld

Quelle: ntv.de

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