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Grüne suchen Mut und Zuspruch Brrr, ist das hier ungemütlich!

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Habeck und Baerbock erleben ihre Partei in einer herausfordernden Phase.

Habeck und Baerbock erleben ihre Partei in einer herausfordernden Phase.

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Grünen-Vorstand kann die befürchtete Eskalation des Asylstreits abwenden. Doch der kleine Parteitag gibt Einblick in die Seele einer vom Regieren verunsicherten Partei. Hinter den Kulissen wird beinhart gefochten und Robert Habeck verhebt sich beim tiefen Griff in die Pathos-Kiste.

Wenn der Co-Vorsitzende der Grünen zum Vokabular des sozialdemokratischen Bundeskanzlers greift, muss die Lage ernst sein. Aber der im Zweifel lieber zu alberne Omid Nouripour übt sich tatsächlich im Sprech des im Zweifel lieber zu ernsten Olaf Scholz: "Das können wir aber nur, wenn wir uns unterhaken", sagt Nouripour auf dem kleinen Parteitag der Grünen in Bad Vilbel über den gemeinsamen Kampf für eine humanitäre Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa. Dieses altmodische "Unterhaken" war Scholz' Wort des Jahres 2022, als die Energiekrise das Land zu zerreißen drohte. Als Nouripour am Ende der neun vielleicht schwierigsten Tage seiner Amtszeit als Parteichef zu seinen Leuten spricht, ist es eben dieses Wort, das ihm einfällt: "Unterhaken", bevor der Gegenwind alles auseinander stiebt.

Wer Grünen-Spitzenpolitiker im vergangenen Dezember traf, als sie völlig ermattet von der Dauerkrise nach Urlaub lechzten, um im Januar frisch motiviert ans Werk zu gehen, muss inzwischen feststellen: Im Dezember sahen sie besser aus als heute. So vieles ist seither zusammengekommen. Massiver Widerstand gegen das handwerklich lückenhaft und kommunikativ schlecht vorbereitete Heizungsgesetz, die Trauzeugen-Affäre um Robert Habecks Ex-Staatssekretär Patrick Graichen, Ampel-Zoff um Haushalt, Verkehrspolitik, Klimaschutzgesetz und Kindergrundsicherung, schlechte Landtagswahlergebnisse in den vermeintlichen Hochburgen Bremen und Berlin, stetig sinkende Umfragewerte und nun auch noch parteiinterner Streit um Deutschlands Zustimmung zum EU-Asylkompromiss in der vorangegangenen Woche.

"Habt keine Sehnsucht nach Opposition"

Höchste Zeit also, die fast 200 Delegierten und Gäste des Länderrats wieder aufzurichten. Treffpunkt Hessen, weil die Grünen immer noch Hoffnung haben, hier im Herbst Tarek Al-Wazir zum Ministerpräsidenten machen zu können. Deshalb hatte man vor Monaten das Tagungszentrum nördlich von Frankfurt am Main gewählt. Konnte damals ja keiner ahnen, dass die Partei ihrem Spitzenkandidaten einen Haufen Probleme aus Berlin mitbringen würde. Und so gerät der geplante Wohlfühltermin zur therapeutischen Sitzung für die Partei, wobei Habeck, Buchautor und Doktor der Philosophie, besonders tief aus dem Pathos-Brunnen schöpft.

Weil die Grünen eine Regierungspartei seien, werde der Gegenwind nicht nachlassen, sondern Dauerzustand bleiben, weissagt Habeck. "Wir kreuzen gegen den Wind, wir fallen manchmal zurück, um dann in kühnen Manövern nach vorne zu stechen und manchmal müssen wir auch rudern", erklärt der norddeutsche Vize-Kanzler. Und etwas weniger marine-lastig: "Es gibt Druck von allen Seiten auf uns, es gibt sehr viel Konfrontation. Daraus darf nicht folgen, dass wir konfrontativer werden. Wir dürfen uns nicht in die Ecke, nicht in die Nische treiben lassen." Habeck appelliert: "Habt keine Sehnsucht nach einer Minderheitenposition, habt keine Sehnsucht nach Opposition. Das wäre Versagen vor der historischen Aufgabe, vor der wir stehen."

Schönes Gedicht, wirrer Vergleich

Ein Teil der Rede gerät dann aber doch arg drüber. Inspiriert von der Bundestagsgedenkstunde zum DDR-Aufstand 1953 am vorangegangenen Freitag zitiert Habeck frei den widerständigen Sänger Wolf Biermann: "Lass dich nicht verbittern in dieser bitteren Zeit. Lass dich nicht erschrecken in dieser schrecklichen Zeit. Lass dich nicht verbrauchen, gebrauche deine Zeit." Die "Ermutigung" hatte Biermann für den Lyriker Peter Huchel und sich selbst verfasst, die sie beide von der DDR schikaniert wurden.

Habecks Gleichsetzung der DDR-Verfolgung mit der Lage seiner Partei ist nicht übermäßig weit vom Tweet des grünen Münchener Stadtratsmitglieds Bernd Schreyer entfernt. Der hatte die aktuelle Situation der Grünen mit den im Nationalsozialismus verfolgten Juden verglichen - und einen Tag später seine politischen Ämter niedergelegt.

Die Nerven sind derzeit sehr dünn in der Partei. Nouripour erklärt: "Der politische Feind ist nicht hier im Raum." Seine Co-Vorsitzende Ricarda Lang warnt vor einem "rechten Kulturkampf", der nicht nur von der AfD, sondern auch von CDU und CSU betrieben werde. Es sei "nicht die leichteste Zeit, um gerade zu regieren", konstatiert die Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge. "Manchmal fühlt es sich an wie ein Gang mit dem Rucksack bergauf. Ich gebe zu, manchmal macht es keinen Spaß", bekennt Bundesgeschäftsführerin Emily Büning. Und der im Streit um den EU-Asylkompromiss als Wortführer der Kritiker aufgetretene Europaabgeordnete Erik Maquart beteuert: "Wir haben alle Vertrauen in unser Führungspersonal." Es ist so gesehen ein einziges "Hakt euch unter!".

Vorstand muss kämpfen

Während in der großen Halle diskutiert wird, geht es hinter den Kulissen hoch her. Mehr als 40 Änderungsanträge liegen vor zu einem Positionspapier des Parteivorstands zur Flüchtlingspolitik. Es stand ursprünglich nicht auf der Agenda des Länderrats. Nach der Aufregung über Deutschlands Zustimmung zum EU-Asylkompromiss hatte die Parteispitze den Text aufgesetzt, damit die Kritiker etwas haben, an dem sie sich abarbeiten können. Allemal besser als einen teuren Sonderparteitag zum Thema einzuberufen, was in diesen aufgeregten Tagen auch schon aus Teilen der Partei gefordert worden war.

"Wir sind intensiv immer noch an den Verhandlungen dran zu den Änderungsanträgen", bekennt Büning auf der großen Bühne, während die Entscheidungen in Nebensälen und Chatgruppen fallen. Stück für Stück bearbeitet die Grünen-Spitze, insbesondere die Grüne Jugend und eine Gruppe von Europapolitikern, die das Positionspapier deutlich anspitzen wollen. Sie wollen reinschreiben, dass die grünen Bundesminister dem Asylkompromiss niemals hätten zustimmen dürfen, "falsch" sei das gewesen. Sie wollen Annalena Baerbock Fesseln für das weitere Verfahren anlegen: Wird die EU-Asylpolitik nicht deutlich humaner, darf die Außenministerin einem Deal nicht zustimmen.

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Eine Partei, die ihrer beliebtesten Ministerin die Beinfreiheit verweigert: Was wohl Opposition und Medien aus solch einem Votum des Länderrats machen würden? Nichts Gutes, weshalb die Grünen-Spitze möglichst viele der geforderten Änderungen übernimmt und die Antragsteller im Gegenzug auf die schärfsten Formulierungen verzichten. Am Ende lässt sich die Parteijugend nur an einer Stelle nicht erweichen, doch weil deren Mitstreiter um Marquart den Schulterschluss mit der Parteiführung vollzogen haben, geht die einzige Kampfabstimmung für die Grüne Jugend deutlich verloren.

Noch bevor die Abstimmung vorbei ist, beginnt schon der kommunikative Kampf um die Deutungshoheit über das Geschehen, nach innen wie außen. Hat hier die Basis der Außenministerin ihre Grenzen aufgezeigt? Hat der Grünen-Vorstand mit viel Einsatz und Geschick eine weitere Eskalation inmitten dieser kritischen Zeit abgewendet? Beides stimmt. Die Frage ist, welcher Aspekt betont wird. Vielleicht ist es aber auch egal, weil die Grünen - wie schon nach dem Lützerath-Streit auf dem Bundesparteitag im Herbst - erst einmal weitermachen können. Und dann ist ja auch bald schon Urlaub.

Quelle: ntv.de

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