Politik

Fünf der zehn Deutschen unversehrt Israel stürmt Gaza-Hilfsflotte

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Die Kommandoaktion der israelischen Marine löst weltweit Empörung aus.

(Foto: REUTERS)

Bundeskanzlerin Merkel warnt nach der Erstürmung eines internationalen Schiffs-Konvoi durch die israelische Armee vor einer "Eskalation" im Nahen Osten. Arabische Staaten sprechen von einer wachsenden Kriegsgefahr. Bei der Aktion wurden mindestens zehn Menschen getötet. Am Abend gibt das Außenamt in Berlin bekannt, fünf der zehn an Bord befindlichen Deutschen "sind offenbar wohlauf".

Nach dem israelischen Angriff auf die Gaza-Flottille hat das Auswärtigen Amt erstmals Kontakt zu den Deutschen an Bord der Schiffe herstellen können. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin sagte am Abend: "Fünf der zehn deutschen Staatsangehörigen sind offenbar wohlauf." Das habe ein erster Kontakt mit einer der beiden Bundestagsabgeordneten ergeben, die ebenfalls unter den Mitfahrern der Hilfsflotte sind. Die beiden Bundestagsabgeordneten hätten das Schiff mittlerweile verlassen können.

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Passagiere auf der "Marmara" am Sonntagabend.

(Foto: dpa)

"Wir drängen vor Ort hochrangig weiter auf die Klärung des Verbleibs der anderen deutschen Staatsangehörigen", sagte die Sprecherin weiter. Mitarbeiter der Botschaft seien im Hafen von Aschdod und auch in Tel Aviv "in ständigem Kontakt mit den israelischen Behörden". Die Schiffe der Hilfsflotte waren von der Marine in den israelischen Hafen Aschdod gebracht worden.

Bei der international scharf kritisierten Nacht-und-Nebel-Aktion hatten die Israeli die sechs Schiffe der Gaza-"Solidaritätsflotte" geentert. Kommando-Einheiten hatten sich vor Sonnenaufgang von Hubschraubern auf die Schiffe abgeseilt, die von pro-palästinensischen Gruppen und einem türkischen Menschenrechtsverband gechartert waren. Die Israelis näherten sich zudem dem Hilfskonvoi mit Schnellbooten, von denen aus sie die Flotte enterten.

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Israelische Soldaten bei der Vorbereitung auf ihren Einsatz am 30. Mai.

(Foto: dpa)

Dabei kamen nach Angaben der israelischen Armee zehn Menschen ums Leben; eine türkische Nichtregierungsorganisation sprach von 15 toten Aktivisten. Soldaten und Aktivisten warfen sich gegenseitig vor, die Schuld an den gewaltsamen Auseinandersetzungen zu tragen. Die Armee sprach von Selbstverteidigung, Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas hingegen von einem Massaker.

Bundesregierung äußerst besorgt

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die gegenwärtige Lage im Nahen Osten als "sehr ernst" charakterisiert. Sie telefonierte nach der Kommandoaktion mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und verlangte "schnellstmögliche Aufklärung". Wörtlich sagte die Kanzlerin: "Es stellt sich die dringende Frage der Verhältnismäßigkeit." Wichtig sei, "dass wir keine Eskalation erleben, sondern dass wir durch Aufklärung und Gespräche zur Beruhigung der Lage beitragen".

Merkel forderte Israeli und Palästinenser auf, ihre indirekten Gespräche über eine Friedenslösung fortzuführen. Es sei richtig, dass die Hamas das Existenzrecht Israels anerkennen müsse, aber genauso richtig sei, dass Israel die Blockade des Gazastreifens beenden müsse. Die Bundeskanzlerin mahnte eine internationale Untersuchung des Vorfalles an. Es könne "hilfreich sein, wenn dabei auch internationalen Beobachter zugegen sind". Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) verlangte eine "neutrale" Untersuchung.

UN-Sicherheitsrat und NATO-Botschafter beraten

Keine 24 Stunden nach dem blutigem Militäreinsatz ist der Weltsicherheitsrat in New York zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengekommen. Das 15-Länder-Gremium ließ sich zunächst hinter geschlossenen Türen über Einzelheiten des Vorfalls informieren. Anschließend begann es, die jüngste Krise im Nahen Osten in einer offenen Sitzung zu diskutieren. Israels UN-Botschafter und der ständige Beobachter der Palästinenser am UN-Hauptsitz nahmen an der Aussprache des höchsten UN-Gremiums teil. Am Dienstag treffen sich die NATO-Botschafter in Brüssel.

EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton äußerte ihr tiefes Bedauern über die Todesfälle und übermittelte den hinterbliebenen Familien ihr Mitgefühl. Eine Sprecherin von Ashton erklärte: "Im Namen der Europäischen Union fordert sie eine vollständige Untersuchung der Umstände, die dazu führten."

Linke-Politiker unverletzt

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Mit an Bord: Die Linken-Abgeordneten Inge Höger ...

(Foto: dpa)

"Das darf man Israel so nicht durchgehen lassen", forderte Linksfraktionschef Gregor Gysi. Zu den deutschen Beteiligten der Flotte "Free Gaza" zählen die beiden Linken-Abgeordneten Inge Höger und Annette Groth sowie der frühere Linken-Abgeordnete Norman Paech, Matthias Jochheim von der deutschen Sektion der Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges (IPPNW) und Nader el Sakka von der Palästinensischen Gemeinde Deutschland.

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... und Annette Groht.

(Foto: dpa)

Höger, Groth und Peach sind offenbar wohlauf. Sie seien "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unverletzt und es geht ihnen gut", sagte ein Sprecher der Linksfraktion am Abend.

Bundesregierung bezweifelt "Verhältnismäßigkeit"

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Israel hatte gedroht, den Konvoi notfalls mit Gewalt zu stoppen.

(Foto: Screenshot)

Die Bundesregierung äußerte Zweifel an der Verhältsnismäßigkeit des israelischen Einsatzes. "Der erste Anschein spricht nicht dafür, dass dieser Grundsatz eingehalten worden ist", sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm. Außenminister Westerwelle habe mit seinem israelischen Kollegen Avigdor Lieberman telefoniert und deutlich gemacht, dass eine umfassende Untersuchung geboten sei. Dabei müsse auch geklärt werden, ob Deutsche betroffen seien. "Wir bemühen uns derzeit intensiv darum, ihren aktuellen Verbleib aufzuklären", sagte Westerwelle.

Wegen der Kommandoaktion kam der israelische Botschafter in Deutschland ins Außenministerium. Auf eine formelle Einbestellung wurde jedoch verzichtet.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

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Ein verletzter Aktivist an Bord des gekaperten Schiffes (Video-Aufnahme).

(Foto: Reuters)

Die Schiffe hätten trotz mehrfacher Warnungen die über den Gazastreifen verhängte Seeblockade durchbrechen wollen, begründete ein israelischer Regierungssprecher das Vorgehen. Israel habe bis zuletzt eine Konfrontation verhindern wollen. An Bord sei die Situation jedoch eskaliert. Soldaten seien unter Beschuss geraten und mit Messern angegriffen worden. "Dies sind sehr aggressive Leute, keine Friedensaktivisten", sagte der Militärsprecher. Sie hätten versucht, die Truppen zu "lynchen". Dagegen verwiesen die Organisatoren von "Free Gaza" auf Videoaufnahmen von Bord des Schiffes. Daraus gehe hervor, dass Soldaten in dem Moment begannen zu schießen, als sie an Bord kamen.

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums ereigneten sich die schwersten Kämpfe auf dem türkischen Kreuzfahrtschiff "Mavi Marmara", wo auch die zehn Aktivisten getötet wurden. Nach Armeeangaben wurden sieben Soldaten verletzt. Unklar blieb zunächst, aus welchen Ländern die Toten und die 30 zum Teil schwer Verletzten stammen. Israel unterbrach die Kommunikationswege zu dem Konvoi. Vermutlich kommt der Großteil der Opfer aus der Türkei.

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Die türkische "Mavi Marmara" kam aus Zypern.

(Foto: dpa)

Die mehr als 700 pro-palästinensischen Aktivisten aus 40 Ländern an Bord der Schiffe wollten von Zypern aus rund 10.000 Tonnen Hilfsgüter trotz der Seeblockade in den Gazastreifen bringen. Die israelische Regierung hatte bereits im Vorfeld angekündigt, dies mit allen Mitteln verhindern zu wollen. Ein Angebot Israels, die Fracht im nahe der Grenze zum Gazastreifen gelegenen Hafen von Aschdod zu entladen und nach einer Kontrolle auf Waffen der UN zu übergeben, hatten die Organisatoren des Konvois abgelehnt. Vize-Außenminister Danny Ayalon sagte, die Aktivisten seien Verbündete der israelischen Feinde Hamas und Al-Kaida. Hätten sie die Blockade durchbrochen, dann wäre eine Waffen-Schmuggelroute entstanden, behauptete Ayalon.

Türkei ruft Botschafter zurück

Der Vorfall belastet zudem die diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und der Türkei, weil einige der Schiffe unter türkischer Flagge fuhren. Die Regierung in Ankara sagte geplante Militär-Manöver mit Israel ab und rief ihren Botschafter zurück. Ministerpräsident Tayyip Erdogan brach eine Lateinamerika-Reise ab; das türkische Kabinett kam zu einer Sondersitzung zusammen.

Israel riet seinen in der Türkei Urlaub machenden Bürgern, in ihren Hotels zu bleiben. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte ein für Dienstag geplantes Treffen mit US-Präsident Barack Obama in Washington ab.

Arabische Liga tagt

In der arabischen Welt ist der Militäreinsatz gegen die "Solidaritätsflotte für Gaza" als Beweis für den mangelnden Friedenswillen Israels gewertet worden. "Wir sehen, dass es keinen Zweck hat, mit Israel über Frieden zu verhandeln", sagte der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mussa, während einer Konferenz in dem Golfemirat Katar. Der jüdische Staat ignoriere das internationale Recht, "er denkt, dass er über dem Gesetz steht". Mussa berief für Dienstag eine Dringlichkeitssitzung der Liga in Kairo ein. Bei dem Treffen wollen die arabischen Staaten besprechen, wie sie auf die israelische Militäroperation reagieren sollen.

Der libanesische Ministerpräsident Saad Hariri und Syriens Präsident Baschar al-Assad erklärten nach einem Treffen in Damaskus: "Israel verübt abscheuliche Verbrechen. Es missachtet die Mindeststandards der Menschlichkeit und des internationalen Rechts. Dadurch wächst die Gefahr eines Krieges in Nahost, der auch die anderen Staaten der Region in Mitleidenschaft ziehen würde."

Quelle: ntv.de, hdr/dpa/AFP/rts

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