Jobbörse für Merkel Ist die CDU-Chefin bald arbeitslos?
11.01.2002, 05:58 UhrDas Rennen um die Kanzlerkandidatur ist entschieden. Welche beruflichen Aussichten tun sich für die jetzige Vorsitzende der CDU nun auf? n-tv.de hat für Sie im Gespräch mit den Wahlforschern Peter Lösche, Jürgen Falter und Heinrich Oberreuter recherchiert:
Option 1: Sie bleibt in ihrem jetzigen Amt.
Angela Merkel bleibt CDU-Parteivorsitzende. Dabei richtet sie ihren Blick aber auch auf den Fraktionsvorsitz.
Einschätzung: Diese Möglichkeit wird von allen drei Wahlforschern als die wahrscheinlichste angesehen. Einzige Vorausetzung dafür ist, dass sie Stoiber die Kanzlerkandidatur so anbietet, dass sie dabei nicht das Gesicht verliert. Den Sinn der Sache sieht der Mainzer Politologe Jürgen Falter in ganz einfachem politischen Kalkül:
Wenn es ihr gelingt, mit Souveränität Edmund Stoiber vorzuschlagen und somit unbeschadet aus dieser Kandidatenkür hervorzugehen, sichert sie sich zunächst einmal die Position in der sie jetzt ist. Sie kann Vorsitzende bleiben. Wenn sie es anschließend schafft, die CDU geschlossen hinter Stoiber zu bringen und sie auch für Stoiber den Wahlkampf organisiert, wird ihr das viele Pluspunkte einbringen. Sie kann dann anfangen, ihren Blick auf die Fraktion zu richten. In dieser hat bisher zwar Friedrich Merz noch die Zügel in der Hand, doch ist anzunehmen, daß auch er sich sicherlich beruflich verändern will, falls Stoiber ins Kanzleramt einzieht. Peter Lösche ist der Ansicht, dass Merkel damit eine Machtkonzentration ihrer Person erreicht hätte, die ihr in den kommenden Jahren äußerst hilfreich sein könnte, um gleichzeitig Partei- und Fraktionsvorsitzende zu werden.
Option 2: Sie bereitet sich auf eine erneute Kanzlerkandidatur vor.
Merkel wartet bis 2006 und läßt sich dann zur Kandidatin aufstellen.
Einschätzung: Auch bei dieser Möglichkeit sehen die Wahlforscher als Grundvoraussetzung, dass Angela Merkel elegant aus dem Kandidatenkampf hinausgleitet. Wählt Merkel den Schritt vorsichtig, wird auch die Fraktion auf Ihrer Seite sein. Jürgen Falter erklärt: Auf diese Art könnte sie ihren langen Atem und ihre Ernsthaftigkeit unter Beweis stellen. Wie es nach einer Legislaturperiode üblich ist, wird sich die Regierung, falls es noch einmal Rot-Grün geben wird, abgewirtschaftet haben. Außerdem würde Schröder, wie er bis jetzt angekündigt hat, nicht mehr kandidieren wollen. Das ist eine völlig veränderte Situation für Merkel. Sie hätte bis dahin ausreichend Zeit gehabt, die Partei wieder in den Griff zu bekommen.
Option 3: Sie wird Nachfolgerin von Kurt Biedenkopf.
Der sächsische Ministerpräsident will kommenden Mittwoch die CDU-Landtagsfraktion über den Zeitplan für seinen Rücktritt informieren. Er kündigte an, sein Amt wesentlich früher als geplant aufzugeben. Bisher wollte er eine Übergabe an seinen Nachfolger zur Jahreswende 2002/2003 vornehmen. Obwohl Herr Milbradt im Gespräch ist, will Biedenkopf sich noch nicht über seinen Nachfolger äußern.
Einschätzung: Auf Nachfragen antwortete Biedenkopf: Wer immer Nachfolger wird, sollte die Mehrheit der Fraktion hinter sich haben. Genau die fehlt Merkel bei der Frage um die Kanzlerkandidatur. Allerdings wäre das hier ein Spiel mit neuen Karten. Falter und Lösche sind sich einig, dass das Blatt in diesem Fall ein nicht allzu gutes für Angela Merkel wäre. Denn unter hierarchischen Gesichtspunkten wäre die Annahme eines Ministerpräsidentinnenamtes im Vergleich zu ihrer jetzigen Stellung eine Abstufung, auf die sie sich unter den jetzigen Bedingungen kaum einlassen wird.
Option 4: Sie kandidiert als Bundespräsidentin.
Wenn Bundespräsident Rau keine zweite Amtszeit antritt, könnte sein Arbeitsplatz eine Alternative für Merkel sein.
Einschätzung: Eine interessante, aber wohl erst in einigen Jahren wirklich relevante Idee für Merkel. Dieses Amt wäre zwar keine "Abstufung" wie das der Ministerpräsidentin, dennoch erklärt Peter Lösche, dass hier keine Kompensation zur ihrem jetzigen Amt als Parteivorsitzende gegeben wäre. Schließlich ist ihre jetzige Machtposition nicht zu unterschätzen. Als Bundespräsidentin hätte sie keine tatsächliche Macht und keinen Einfluß. Außerdem würde sie mit Sicherheit nur kandidieren, wenn sie hinreichend Chancen haben würde, gewählt zu werden. Das ist bei der jetzigen Mehrheit der Bundesversammlung aber nicht gegeben. Insofern müsste es noch Änderungen geben, wie beispielsweise mehrere gewonnene Landtagswahlen der CDU oder eine Stärkung bei der Bundestagswahl. Denn in der jetzigen Situation wird wohl eher ein rot-grüner Kandidat gewählt werden.
Option 5: Sie wechselt auf die europäische Ebene.
Nachdem Angela Merkel hier nicht ihr politisches Ziel, Bundeskanzlerin zu werden, erreichen konnte, wählt sie den Weg in die Europapolitik.
Einschätzung: Nach Ansicht von Heinrich Oberreuter von der Akademie der politischen Bildung in Tutzing, wäre es bei ihrer gegenwärtigen Präsenz in der Bundespolitik und ihren Potentialen schade, wenn Angela Merkel einfach verschwände, um irgendeinen entrückten ehrenvollen europäischen Posten zu besetzen. Außerdem weist der Professor auf einen weiteren Aspekt hin: Vor allem könnte sie diesen auch nur annehmen, wenn die Mehrheitsverhältnisse sich ändern. Denn Rot-Grün hat sich nicht so großzügig erwiesen wie Helmut Kohl, der dafür gesorgt hat, daß auch eine anders gefärbte Komission nach Brüssel geschickt wird.
Option 6: Rückzug aus der Politik
Angela Merkel könnte ihrer Partei den Rücken kehren und sich der Wissenschaft oder ihrem Privatleben widmen.
Einschätzung: Alle drei Wahlforscher sehen in dieser Möglichkeit die wohl Unwahrscheinlichste. Angela Merkel hat es in innerhalb kurzer Zeit in eine Position geschafft, wovon viele Politiker ihr Leben lang träumen. Selbst wenn sie diesmal nicht Kanzlerkandidatin wird, liegt immer noch eine große politische Karriere vor ihr. Die oben aufgeführten Optionen der Partei- und Fraktionsvorsitzenden beispielsweise machen deutlich, wieviel Macht sie noch erhalten könnte. Oberreuter ergänzt: Sollte Edmund Stoiber tatsächlich Bundeskanzler werden, hält er sicherlich auch ein hochrangiges Amt im Kabinett für die Vollblutpolitikerin bereit. Da ist es wohl kaum anzunehmen, daß sie den Rückzug antreten wird.
Zusammenfassung:
Die Politologen und Wahlforscher sind sich darin einig, dass Merkel am besten zunächst da bleibt, wo sie jetzt ist. Von dort aus kann sie in Ruhe warten, bis was Besseres kommt. Außerdem unterstützt sie Edmund Stoiber bei dessen Wahlkampf. Zusätzlich zieht sie die Landesverbände und ihre Vorsitzenden wieder auf ihre Seite. Falter formuliert es so: Diese Strategie erfordert zwar sehr viel Geduld, aber das sie zäh ist, hat sie ja schon lange bewiesen.
Die Geschichte der Kanzlerkandidatur könnte so für alle Beteiligten ganz zufriedenstellend ausgehen:
Edmund Stoiber wird Bundeskanzler, Friedrich Merz gibt seinen Fraktionsvorsitz auf und leitet die Finanzressourcen und Angela Merkel wird Partei- und Fraktionsvorsitzende oder wartet auf ein gutes Jobangebot aus dem Kabinett; Eine große glückliche Familie eben.
Quelle: ntv.de