Arbeitsamt-Affäre Jagoda ohne Rückhalt
08.02.2002, 08:50 UhrIn der Affäre um geschönte Arbeitslosen-Statistiken zieht sich die Schlinge um den Chef der Bundesanstalt für Arbeit (BA), Bernhard Jagoda, enger: Die Bundesregierung gab dem Präsidenten der Behörde eine Mitschuld an den Schlampereien. Zugleich nahm sie Kanzleramtsminister Hans Martin Bury (SPD) in Schutz.
"Es ist jetzt Sache des Arbeitsministeriums, ob und welche Konsequenzen gezogen werden müssen", erklärte Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye. "Ich denke, Herr Jagoda hat hier sicher eine gewisse Mitverantwortung für den Vorgang selbst und die Art und Weise wie sein Haus arbeitet", sagte Heye. Bury in der Angelegenheit Vertuschungsversuche vorzuwerfen, sei hingegen absurd.
Jagoda vor Rücktritt?
Einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung " zufolge steht Jagoda kurz vor dem Rücktritt. Er genieße beim Vorstand keinen Rückhalt mehr, berichtete das Blatt unter Berufung auf Vorstandskreise der BA. Jagoda selbst ließ die Gerüchte dementieren. Auch BA-Vorstandsmitglied Ursula Engelen-Kefer sagte, sie wisse nichts von solchen Plänen Jagodas: "Das entzieht sich absolut meiner Kenntnis", erklärte sie.
Gleichwohl wurde auch innerhalb des BA-Vorstands Kritik an Jagoda laut. "Es gab Verärgerung darüber, dass der Vorstand über die Missstände erst aus der Presse erfahren hat", sagte Vorstandsmitglied Roland Issen. Sein Vorstandskollege Arnold Knigge sprach von "krassen Fehlern" bei der Arbeitsvermittlung, wandte sich zugleich jedoch gegen einen Rücktritt Jagodas.
"Plausibel verfahren"
Die Bundesregierung sei mit den Schreiben des BA-Innenrevisors an Bury, in denen auf die Statistik-Fälschungen bei der Bundesanstalt für Arbeit aufmerksam gemacht worden sein soll, plausibel verfahren, sagte Heye. Der erste Brief des BA-Mitarbeiters an das Abgeordnetenbüro Bury, der am 3. Januar an das Kanzleramt weitergeleitet worden sei, sei sehr allgemein gehalten gewesen. Nach der telefonischen Bitte um eine Präzisierung habe das Kanzleramt zusätzlich zwei E-Mails erhalten, die letzte am 17. Januar, erklärte Heye.
Das Kanzleramt habe bereits nach einem Magazinbericht über Missstände bei der BA im Dezember 2001 um eine Stellungnahme der Bundesanstalt ersucht. Insofern sei bereits alles eingeleitet gewesen, und durch den Brief des Mitarbeiters hätte nichts Zusätzliches befördert werden können, sagte Heye. Da der BA-Innenrevisor um Vertraulichkeit gegenüber dem Arbeitsministerium gebeten habe, habe das Kanzleramt das Schreiben auch vertraulich behandelt.
Das "Handelsblatt" hatte berichtet, der Mitarbeiter der BA habe insgesamt fünf Schreiben an Bury geschickt, bevor er sich mit seinen Informationen über die gefälschten Statistiken an Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) gewandt habe. Im Kanzleramt sei er "nicht auf erkennbares Interesse gestoßen".
Opposition fordert Konsequenzen
Der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber hat von Riester und Jagoda "persönliche Konsequenzen" gefordert, falls die Vorwürfe über gefälschte Arbeitslosen-Statistiken zutreffen. Der Kanzlerkandidat der Union erklärte, er sehe schwere Versäumnisse der Bundesregierung. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer warf Bury vor, er wolle einen Skandal unter den Teppich kehren.
Die FDP forderte den Rücktritt der Vorstandsmitglieder der BA, Engelen-Kefer und Christoph Kannengießer. Die "Berliner Zeitung" zitiert den FDP-Vize-Chef Rainer Brüderle mit den Worten: "Jeder Aufsichtsrat eines Unternehmens müsste zurücktreten." Die beiden hätten als Kontrolleure versagt. Brüderle sprach sich dafür aus, die drittelparitätische Selbstverwaltung der BA durch Staat, Arbeitgeberverband und Gewerkschaften aufzugeben. Stattdessen solle die Behörde ins Bundeswirtschaftsministerium integriert werden.
Ähnlich äußerten sich der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Hanns-Eberhard Schleyer, und der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Horst Siebert.
Anfang der Woche hatte der Bundesrechnungshof bei einer Überprüfung von fünf Arbeitsämtern festgestellt, dass 70 Prozent der 5.100 Vermittlungen fehlerhaft verbucht wurden.
Quelle: ntv.de