Alles offen in Kiew Jeder will an die Macht
02.10.2007, 06:52 UhrAngesichts des knappen Ausgangs der Parlamentswahl in der Ukraine haben beide politischen Lager das Recht auf die Regierungsbildung für sich beansprucht. Einer Hochrechnung der Zeitung "Ukrainska Prawda" zufolge kommt das pro-westliche Bündnis der "Orangenen Revolution" um Präsident Viktor Juschtschenko und die frühere Regierungschefin Julia Timoschenko auf eine Mehrheit von nur drei Stimmen im Parlament. Stärkste Einzelkraft bleibt nach Auszählung von gut 97 Prozent der Stimmen die pro-russische Partei von Ministerpräsident Viktor Janukowitsch. Juschtschenko und seine Verbündeten warfen der Gegenseite Betrugsversuche vor.
Janukowitschs Partei der Regionen lag den Angaben zufolge bei 34,2 Prozent der Stimmen. Auf Rang zwei folgte der Block von Timoschenko, der zwischenzeitlich sogar in Führung gelegen hatte, mit 30,8 Prozent. Ihr Bündnispartner Juschtschenko kam mit seiner Partei Unsere Ukraine auf 14,3 Prozent. Die Kommunisten als Partner Janukowitschs lagen bei 5,4 Prozent. Mitglieder der Wahlkommission rechneten trotz der noch ausstehenden Ergebnisse nicht mehr mit wesentlichen Änderungen des Ergebnisses.
Die Stimmung im Land blieb auch zwei Tage nach dem Urnengang angespannt. "Es ist nicht hinzunehmen, wenn eine Wahl, die die Aufteilung der Staatsgewalt klären soll, mit Fälschungen übersät ist", sagte Juschtschenkos Stabschef Viktor Baloga. "Wir haben die Situation, in der es den Versuch gab, mittels Druck und Korruption die Wahlergebnisse zu ändern", sagte Mykola Tomenko, ein Spitzenvertreter des Timoschenko-Lagers. Janukowitschs Verbündete verschleppten die Auszählung in seinen Hochburgen im Osten und Süden, um dem sozialistischen Koalitionspartner den Sprung über die Drei-Prozent-Hürde zu verschaffen, fügte er hinzu.
Mit dem knappen Wahlausgang schwinden auch die Hoffnungen auf ein Ende der seit Monaten herrschenden Staatskrise, die mit der vorgezogenen Wahl vom Sonntag eigentlich beendet werden sollte. Juschtschenko und Timoschenko hatten sich nach der Wahl 2006 überworfen und damit Janukowitsch den Weg zurück an die Macht bereitet. Die tiefen Spannungen zwischen den beiden Lagern haben das Land seitdem gelähmt. Juschtschenko hatte Anfang April das Parlament aufgelöst, nachdem Abgeordnete seines Bündnisses in das Regierungslager von Widersacher Janukowitsch übergelaufen waren. Nach einer schweren innenpolitischen Krise hatten sich die Parteien Ende Mai auf die vorgezogene Wahl am 30. September geeinigt.
Juschtschenko und Timoschenko sind die Symbolfiguren der "Orangenen Revolution", die 2004 mit Massenprotesten wegen Betrugsvorwürfen die Wahl Janukowitschs zum Präsidenten verhinderte. Bei einer Wiederholung der Wahl wurde Juschtschenko Präsident.
Internationale Wahlbeobachter bescheinigten der früheren Sowjetrepublik eine "offene und demokratische Wahl". Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) rief die ukrainischen Parteien zur raschen Bildung einer stabilen Regierung auf. "Die nun durchgeführten Wahlen bieten eine echte Chance für einen politischen Neuanfang in der Ukraine und die Überwindung der politischen Krise des Landes", sagte Steinmeier in Berlin.
Internationale Wahlbeobachter kritisierten trotz einer allgemein positiven Einschätzung die "schlechte Qualität der Wählerlisten", die Lücken und Doppelungen aufgewiesen hatten. Zudem bemängelten die Beobachter versteckte politische Kampagnen des Regierungslagers am Wahltag. "Trotz schwieriger Umstände wurden die Wahlen professionell durchgeführt", sagte die Leiterin der Beobachterdelegation, Tone Tingsgaard, von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die OSZE lobte die freie Medienberichterstattung in der Ukraine.
Quelle: ntv.de