"Bin ich Terrorist oder Bürger?" Jugendpfarrer droht lange Haft
04.04.2013, 16:55 Uhr
Lothar König sieht sich von der Justiz ungerecht behandelt.
(Foto: dapd)
In einem höchst umstrittenen Prozess steht ein Priester vor dem Amtsgericht Dresden. Er soll bei einer Demonstration zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen haben. Der Mann streitet alles ab, die Anklage sei "konstruiert", sagt sein Anwalt. Viele Politiker unterstützen den Pfarrer.
Begleitet von Protesten gegen die sächsische Justiz hat der Prozess gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König wegen schweren Landfriedensbruchs begonnen. König hatte im Februar 2011 an einer Demonstration gegen einen Neonazi-Aufmarsch in Dresden teilgenommen, bei dem es zu Gewaltausbrüchen kam. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 59-Jährigen hauptsächlich vor, Linksautonome zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen zu haben.
Der Pfarrer stellte zu Prozessbeginn klar, dass er sich zu Unrecht angeklagt sieht. "Bin ich Staatsterrorist oder bin ich ein Staatsbürger?", fragte er. Er habe zusammen mit anderen couragierten Menschen gegen den alljährlichen Neonazi-Aufmarsch am Jahrestag der Zerstörung Dresdens 1945 protestiert, damit dieses Datum nicht von Rechten vereinnahmt werde. Er habe nicht gegen Polizeibeamte demonstrieren wollen.
König war damals mit einem Lautsprecherwagen an verschiedenen Orten in Dresden unterwegs gewesen, an denen der Rechten-Aufmarsch blockiert wurde. Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen an diesem Tag wurden mehr als 100 Polizisten verletzt.
Heftige Vorwürfe gegen Staatsanwaltschaft
Die Staatsanwaltschaft hielt König unter anderem vor, mit Lautsprecherdurchsagen Demonstranten aufgefordert zu haben, auf Polizisten loszugehen. Aggressive Musik aus dem Wagen habe die Massen aufgeheizt. Zudem soll der Pfarrer versucht haben, einem Steinewerfer die Flucht zu ermöglichen. Staatsanwältin Ute Schmerler-Kreuzer hielt dem Pfarrer vor, Gewalt zumindest billigend in Kauf genommen zu haben. Verteidiger Johannes Eisenberg nannte die Anklage unzulässig und konstruiert. Er warf der Staatsanwaltschaft zudem schlampige Ermittlungen und dreiste Falschdarstellungen des Geschehens vor.
Königs Verteidiger sagte am Rande des Prozesses, er erwarte einen Freispruch. Sein Mandant wolle Konflikte lösen und Gewalt bekämpfen – nichts anderes habe er in Dresden getan, sagte der Anwalt im MDR. König selbst hatte den Behörden vorgeworfen, sie wollten durch die Verfahren antifaschistisches und demokratisches Engagement kriminalisieren.
Grüne und Linke unterstützen König
Vor dem Gerichtsgebäude versammelten sich zum Prozessauftakt zahlreiche Unterstützer des Angeklagten. Mehrere Organisationen wie das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die Humanistische Union sowie die Linkspartei solidarisierten sich mit dem Jugendpfarrer. Sie sprachen von einem "politischen Prozess".
Der Fraktionschef der Linken im Thüringer Landtag, Bodo Ramelow, berichtete wie auch andere Unterstützter über den Kurznachrichtendienst Twitter aus dem Prozess. König habe ausgesagt, dass keine seiner Aussagen gegenüber Demonstranten ein Aufruf zur Gewalt gewesen sei, erklärte Ramelow. Linken-Bundesvorstandsmitglied Katina Schubert kritisierte den Prozess als "Farce".
Zehn Jahre Gefängnis möglich
Der ehemalige Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, Christian Führer, sagte im Deutschlandradio Kultur, es gehöre zu den Aufgaben eines Kirchenvertreters, Widerstand gegen Menschenrechtsverletzungen und Demokratieverachtung zu leisten. Dazu zähle auch der Protest gegen Neonazis. Zugleich erteilte er jeder Form von Gewalt eine klare Absage. Der sächsische Grünen-Politiker Johannes Lichdi nannte die Anschuldigungen gegen den Jugendpfarrer "absurd". Es gehe offensichtlich darum, all jene, die gegen die Neonazis demonstrieren wollen, durch das Verfahren "abzuschrecken". Zudem kritisierte er etliche Ungereimtheiten. So sei beispielsweise entlastendes Material erst vor kurzem den Gerichtsakten beigefügt worden.
Für den Prozess sind zunächst weitere Verhandlungstage bis zum Frühsommer anberaumt. Im Falle einer Verurteilung wegen besonders schweren Landfriedensbruchs droht König eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahren. Im Zusammenhang mit den Gegenprotesten wurden auch zahlreiche weitere Verfahren eingeleitet, unter anderem gegen Landtagsabgeordnete der sächsischen Grünen.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP