Schwarz-Gelb kommt nicht vom Fleck Kakophonie geht weiter
01.01.2010, 15:57 UhrDas neue Jahr hat begonnen – mit dem alten Streit zwischen den Regierungskoalitionären: Wer ist eigentlich schuld daran, dass fast nichts so läuft wie es laufen soll? Während die FDP der Union mangelnde Orientierung vorwirft, sieht die den Sand im Getriebe bei den Liberalen, weil die nach elf Jahren Opposition wieder mit vorne sitzen dürfen.

Hier geht nicht die Regierung baden, sondern ein Winterschwimmer des Vereins Berliner Seehunde.
(Foto: dpa)
Gut zwei Monate nach ihrem Amtsantritt kommt die schwarz-gelbe Regierungskoalition immer noch nicht in ruhigeres Fahrwasser. Nach Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) kritisierte am Neujahrstag auch die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger das Erscheinungsbild des Bündnisses aus CDU, CSU und FDP. "Die Außendarstellung der Koalition kann besser werden", sagte Homburger. Der neue FDP-Generalsekretär Christian Lindner machte deutlich, wem die Liberalen die Mängel im Erscheinungsbild ankreiden. Er hielt der Union mangelnde Orientierung bei Wertefragen vor.
Ständig eine neue Meinung
Homburger klagte im "Hamburger Abendblatt": "Permanent verbreitet irgendjemand eine abweichende Meinung. Das muss im neuen Jahr definitiv anders werden." Sie erwarte, "dass in dieser Koalition vertreten wird, was im Koalitionsvertrag steht".
Beim traditionellen Dreikönigstreffen will die FDP am 6. Januar in Stuttgart verstärkt für ihre Glaubwürdigkeit werben. Homburger: "Wir wollen, dass sich in Deutschland im neuen Jahr wieder eine Aufbruch-Stimmung entwickelt, wie sie zu Wahlkampfzeiten war."
Im Mittelpunkt des Streites stehen Art und Umfang der Steuererleichterungen für die Bürger. Die Union versucht, die von 2011 an geplanten Steuersenkungen von bis zu 24 Milliarden Euro unter Finanzierungsvorbehalt zu stellen. Homburger mahnte nun, diese Beschlüsse müssten ohne Rücksicht auf Steuerschätzungen umgesetzt werden. "Wir werden deutlich machen, dass wir das, was wir vor der Wahl versprochen haben, auch durchsetzen."
Union fehlt klare Präferenz
Lindner sagte an die Adresse der Union: "Bei vielen Wertefragen fehlt der Union eine klare Präferenz - zwischen Freiheit und Gleichheit etwa." Die FDP stehe dagegen für eine neue Balance von Staat und Privatem. "Gegenwärtig ist der Staat ein teurer Schwächling, der sich immer mehr Einfluss anmaßt", sagte der 30- jährige FDP-Politiker dem "Tagesspiegel".
FDP fehlt die Erfahrung
Für CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich sind es lediglich Anlaufschwierigkeiten, mit denen die schwarz-gelbe Koalition zu kämpfen hat, "weil wir auch aus unterschiedlichen Erfahrungssituationen kommen". Die FDP habe elf Jahre Opposition hinter sich, kaum einer ihrer Vertreter habe Regierungserfahrung, so Friedrich im ZDF.
Heftige Kritik am Wachstumsbeschleunigungsgesetz
Zuletzt hatte Bundestagspräsident Lammert heftige Kritik am schwarz-gelben Wachstumsbeschleunigungsgesetz mit den geplanten Steuerentlastungen für Bürger und Unternehmen sowie am Erscheinungsbild der Koalition geäußert. Die Koalitionspartner verbinde bestenfalls der Ehrgeiz, "ihre jeweiligen Steckenpferde gegeneinander in Stellung zu bringen", sagte der CDU-Politiker. Zudem enthalte das kürzlich beschlossen Steuergesetz einige zweifelhafte und einige nicht vertretbare Regelungen.
Auch der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz meint: "Wie die Koalition Steuersenkungen in diesem Umfang finanzieren will, bleibt ihr Geheimnis." Dem "Tagesspiegel" sagte er: "Ich halte derartige Summen für beinahe utopisch", fügte er mit Blick auf das angestrebte Entlastungsvolumen von 24 Milliarden Euro hinzu. Franz ist Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - den sogenannten Wirtschaftsweisen.
Keine Pauschalkritik
Die Gewerkschaften sollten aus Sicht des Transnet-Vorsitzenden Alexander Kirchner nicht in Pauschalkritik an der neuen Regierung verfallen. "Stärker zu attackieren, nur weil es eine schwarz-gelbe Bundesregierung ist, wäre falsch", sagte der Chef der größten Bahngewerkschaft. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe Wort gehalten und Forderungen der FDP nach einer Aufweichung der Mitbestimmung widerstanden.
Zu den Konfliktfeldern gehörten dagegen die Fragen, wer die Zeche für die Finanzkrise zahle und wie ein neues Finanzsystem eine Wiederholung verhindern könne. Erforderlich sei außerdem "ein handlungsfähiger Staat, der seine sozialen Aufgaben wahrnehmen kann". Den größten Sprengstoff erwartet Kirchner 2010 bei der Gesundheitsreform. Überlegungen in der Linken, Gewerkschaften sollten für politische Forderungen zum Generalstreik aufrufen, lehnt er ab.
Opposition fordert Führung von Merkel
Die stellvertretende Linken-Fraktionsvorsitzende Gesine Lötzsch forderte die Kanzlerin auf, "die FDP auf den Boden des Sozialstaates zurückzuholen". Grünen-Chefin Claudia Roth sagte an die Adresse Merkels: "Wir erwarten von einer verantwortlichen Regierungsführung, dass sie sich dem Allgemeinwohl verpflichtet sieht, Lobbyinteressen hinten anstellt und den durchsichtigen machttaktischen Manövern einzelner Regierungsmitglieder und -parteien Einhalt gebietet."
Quelle: ntv.de, dpa/AFP