Politik

Seenothelfer im Mittelmeer Kann es illegal sein, Menschen zu retten?

393091103.jpg

Journalisten durften die Ankunft der Flüchtlinge nur aus der Ferne beobachten.

(Foto: picture alliance / ANSA)

Das Rettungsschiff "Geo Barents" bringt Italiens Regierung in Verlegenheit. Eigentlich hätte es nur eine Rettungsaktion durchführen dürfen - es hat aber Schiffbrüchige von drei Booten aufgenommen.

Samstagnachmittag, kurz nach 15.00 Uhr im Hafen von La Spezia. Nach fünftägiger Fahrt läuft das Rettungsschiff "Geo Barents" der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in den ligurischen Hafen ein. Es hat 237 Migranten an Bord, darunter 87 Minderjährige. Auch ein 11 Monate altes Baby mit einer 17-jährigen Mutter ist dabei. Entlang des Landungsstegs sieht man die weißen Zelte, in denen die Migranten ärztlich untersucht und ihre Personaldaten aufgenommen werden sollen. Die Kontrollen sind langwierig, deshalb können nicht alle Migranten schon am Samstag von Bord gehen. 90 müssen sich bis zum Sonntagmorgen gedulden.

Zusammen mit dem Hafen von Ravenna ist La Spezia der nördlichste Hafen, zu dem ein privates Rettungsschiff bisher geschickt wurde. Vom ersten Rettungsort in internationalen Gewässern vor der libyschen Küste liegt er 1500 Kilometer entfernt. Journalisten dürfen die Anlandeoperation nur aus der Ferne, von einer Terrasse über dem Landesteg, verfolgen. Offiziell, weil die normale Hafenarbeit, sprich Löschung von Containern, weitergeht.

Als die Präfektin der Provinz La Spezia, Maria Luisa Inversini, kommt, wird sie von den Journalisten bestürmt: Was wird jetzt aus der "Geo Barents"? Wird sie beschlagnahmt, muss Ärzte ohne Grenzen mit einem Strafverfahren, mit einer Geldstrafe rechnen? Die Sache ist nämlich folgende: Ein erst vor kurzem von Innenminister Matteo Piantedosi verkündetes Dekret schreibt den privaten Rettungsschiffen strikt vor, nach der ersten Rettungsaktion sofort den von den Behörden angewiesenen Hafen anzulaufen, ohne weitere Rettungsaktionen durchzuführen.

"Hätten wir sie nicht gerettet, wären sie alle umgekommen"

Die "Geo Barents" hat aber drei Rettungsaktionen durchgeführt. Am 24. Januar die erste. Diese meldete sie der zuständigen italienischen Behörde und bekam darauf den Befehl, die Migranten nach La Spezia zu bringen. Das Schiff nahm also Kurs in Richtung Norden, erhielt aber am 25. Januar um 06.51 Uhr morgens ein zweites SOS von weiteren Schiffbrüchigen, die sich auf der Höhe der libyschen Hafenstadt Zuwara befanden. Am Nachmittag erfolgte dann die dritte Rettungsaktion, bei der auch das 11 Monate alte Baby und ihre Mutter aufgenommen wurden. "Und hätten wir sie nicht zusammen mit den anderen von dem alten Schlauchboot gerettet, wären sie alle umgekommen", sagt ein Vertreter von Ärzte ohne Grenzen. Nach dieser Rettungsaktion nahm die "Geo Barents" wieder Kurs in Richtung La Spezia auf.

Die Fragen bringen die Präfektin sichtlich in Verlegenheit. "Wir haben es hier mit einer neuen Situation zu tun, und es wird Zeit brauchen, um die Lage zu klären." Sie führt technische Untersuchungen an, die zu machen seien, ohne konkreter zu werden. "Es genügt nämlich nicht, dass die 'Geo Barents' sagt, sie habe drei Rettungsaktionen durchgeführt", fügt sie hinzu. Auf die Frage, wie ihre persönliche Einstellung sei, antwortet sie: "Ich bin eine Staatsbeamtin und wende die Gesetzte an. Ich möchte aber hinzufügen, dass ich mich neun Jahre lang mit internationalem Schutz beschäftigt habe und versichere, dass die Rechte aller gewahrt sein werden."

Die Stadt La Spezia wird von einer Mitte-Rechts-Koalition regiert. Bürgermeister Pierluigi Peracchini der auch auf die Terrasse kommt, hat keine Zweifel. Den Journalisten sagt er: "Das italienische Gesetz darf nicht missachtet werden. Zuerst ist das Schiff in eine Richtung gefahren, dann wieder Richtung Süden, als ob es das Gesetz nicht gäbe." Auch er weist jedoch darauf hin, es stehe der Stadtverwaltung nicht zu, Schritte diesbezüglich zu unternehmen.

"Das Seerecht hat Vorrang"

Auf die Frage, was nun Vorrang hat, das italienische Recht oder das internationale Seerecht, will sich weder der Bürgermeister noch die Präfektin äußern. Das ist in diesem Fall aber der eigentliche Punkt - der für Juristen eindeutig ist: "Das internationale Seerecht hat Vorrang", sagt die Expertin für internationales Seerecht, Vitalba Azzollini. "Ich kann aber verstehen, dass sich die Präfektin dazu nicht äußern kann. In ihrer Funktion ist sie nur der verlängerte Arm des Innenministeriums und muss sich an dessen Anweisungen halten."

Was geschieht aber jetzt mit der "Geo Barents"? "Ich glaube kaum, dass die italienische Regierung Interesse daran haben kann, einen Skandal loszutreten, der letztendlich bis vor den Europäischen Gerichtshof und den für Menschenrechte führen könnte", merkt die Juristin an.

Dass es so weit kommen konnte, liegt an Piantedosis Dekret, dessen Vorschriften mehr als fragwürdig sind, obwohl sich diese auf das internationale Seerecht berufen. Es schreibt vor, dass ein Schiff nach der ersten Rettungsaktion so schnell wie möglich und ohne die Route zu wechseln den von den Behörden angewiesenen sicheren Hafen anlaufen muss. "Das ist theoretisch auch richtig", sagt Vitalba Azzollini. Gleichzeitig verletze das Dekret aber internationale Verordnungen, die als wichtigste geltende Regel die Rettung von Menschenleben vorsehen. "Ein Kommandant, der diese nicht befolgt, macht sich strafbar", hebt sie hervor. "Und da das Schiff als momentaner sicherer Ort für die schon Geretteten gilt, muss der Kapitän im Fall eines zweiten SOS auch die anderen Schiffbrüchigen retten."

Italien käme ein Skandal ungelegen

Das internationale Seerecht schreibt außerdem vor, dass die Küstenstaaten den Schiffskommandanten so schnell wie möglich seiner Verantwortung für die Schiffbrüchigen entheben müssen. "Wenn man einem Rettungsschiff aber einen Hafen zuweist, der 1500 Kilometer vom Rettungsort entfernt ist, gibt es einen Widerspruch", so die Juristin.

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen hält sich derweil bedeckt. Auf die Anfrage von ntv.de, was nun mit der "Geo Barents" geschieht, lautet die Antwort: "Im Moment haben wir noch keine Mitteilung bekommen. Wir warten ab."

Ein Skandal käme der rechten Regierung in Rom in der Tat ungelegen. Am 9. und 10. Februar findet ein EU-Sondergipfel statt, der sich auch mit dem Thema Migration beziehungsweise der Sicherung der europäischen Grenzen befassen soll. Ein paar Tage zuvor, am kommenden Freitag, empfängt Bundeskanzler Olaf Scholz die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in Berlin. Italien will da nicht schon wieder als Querkopf auftreten, sondern lieber Ergebnisse vorlegen. Zum Beispiel das am Samstag von Meloni in Tripolis unterschriebene Abkommen, der dortigen Küstenwache fünf weitere italienische Patrouillenboote zu liefern. Ein Vorgehen, das auch im Sinne der anderen populistischen EU-Regierungen sein dürfte.

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen