Politik

Scholz gibt die "Marder" frei Warum jetzt?

217268628.jpg

Ein Foto von Scholz' beinahe historischem Telefonat mit Biden veröffentlichte die Bundesregierung nicht. Dieses Bild ist schon älter.

(Foto: picture alliance/dpa)

Nicht die Entscheidung überrascht, sondern der Zeitpunkt: Nach langem Zögern macht Kanzler Scholz den Weg für die Lieferung deutscher Schützenpanzer an die Ukraine frei. Regierung und SPD liefern Argumente, warum Deutschland neue Wege gehen müsse - und schließen auch längst nichts mehr aus.

Nein, als Kurskorrektur oder gar Kehrtwende will die Bundesregierung die Lieferung von rund 40 deutschen Schützenpanzern vom Typ "Marder" an die Ukraine nicht verstanden wissen. "Es ist völlig im Einklang mit dem, was wir von Anfang an mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine gesagt haben", sagt Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Nämlich, dass die Ukraine alles notwendige bekomme, solange dies in Absprache mit den Bündnispartnern geschieht und die NATO nicht Kriegspartei werde. Hebestreits Chef, Bundeskanzler Olaf Scholz, spart sich eine persönliche Stellungnahme am Freitag gleich ganz, nachdem er am Vorabend mit US-Präsident Joe Biden gesprochen hat und beide anschließend per Kommuniqué die Lieferung der "Marder" sowie von 50 Bradley-Schützenpanzern an das von Russland überfallene Land verkündet haben. Es scheint beinahe so, als wolle das Kanzleramt die Aufregung um die Entscheidung klein halten.

Es werde einen "qualitativ neuen Schritt" bei der Unterstützung der Ukraine geben, hatte es aus Kreisen der Bundesregierung kurz vor dem transatlantischen Telefonat geheißen, wie "Süddeutsche Zeitung " und "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichteten. Schnell wurde bekannt, dass sich Scholz nun doch dazu durchgerungen habe, "Marder" bereitzustellen - so wie es Politiker aus Koalition und Opposition schon seit dem Frühjahr fordern. Bleibt die Frage, warum die Entscheidung jetzt so gefallen ist und nicht schon früher?

Der Ringtausch kommt an sein Ende

Hebestreit erklärt es am Freitag so: Die Ringtausche seien "langsam an ein Ende" gekommen. Sprich: Die übrigen Armeen in Europa haben auch kein Kriegsmaterial aus der Sowjetära mehr parat, das sie der Ukraine im Gegenzug für neues Gerät aus Deutschland zur Verfügung stellen könnten. Hinzukommt die Munition, etwa für T-72-Panzer, für die es in Europa nur wenig Herstellungskapazitäten gibt, während ukrainische Produktionsanlagen von Russland gezielt angegriffen und zerstört wurden.

Auch Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, verweist auf diese Umstände: "Wir haben im Verlauf der letzten Wochen und Monate gesehen, dass die Ukraine mit Waffen sowjetischer Bauart an Grenzen stößt", sagt Schmid zu ntv.de. "Das gilt sowohl für die Munition als auch für die Einsatzbereitschaft der Geräte." Und: "Zugleich müssen wir uns auf ein längeres Kriegsgeschehen einstellen. Putins Aggressionswille nimmt ja nicht ab. Er hat bisher von keinem seiner Kriegsziele Abstand genommen."

Auch Hebestreit verweist in der Bundespressekonferenz darauf, dass sich "die Kriegslage in der Ukraine verändert" habe. Russland zerstöre mit massiven Luftangriffen die zivile Infrastruktur des Landes, während die Kampfhandlungen am Boden erwartbar zunehmen würden, sobald es wärmer wird. "Da muss man gucken, wie man reagieren kann", sagt Hebestreit. Die Entscheidung, bis Ende März ein ganzes ukrainisches Bataillon mit "Mardern" auszurüsten, ist dennoch folgenreich. Erstens müssen Logistikketten aufgebaut werden, um die "Marder" in der Nähe der ukrainischen Grenze zu warten und zu reparieren. Zweitens dauert die Ausbildung der ukrainischen Panzerfahrer am neuen Gerät acht Wochen.

"Auf Bitten der Amerikaner ..."

Schwerer wiegt aber ein dritter Aspekt: Weil von den 100 bei Rheinmetall eingelagerten "Mardern" im Rahmen eines Ringtausch 40 Geräte an Griechenland übergeben worden sind und die übrigen 60 nach Informationen von RTL und ntv noch nicht ertüchtigt wurden, werden die 40 Schützenpanzer zum Teil dem Bestand der Bundeswehr entnommen. Die wiederum soll binnen Monaten Ersatz von Rheinmetall erhalten - ein binnendeutscher Ringtausch mit der Industrie. Auch die "Marder"-Munition stellt zunächst die Bundeswehr. Nach der Pannenserie beim "Marder"-Nachfolger "Puma" ist die Bundeswehr aber auf den "Marder" kurzfristig angewiesen. Die Bundesregierung riskiert mit ihrer neuesten Entscheidung also etwas, das sie bislang als Ausschlusskriterium für Waffenlieferungen benannt hatte: Deutschlands eigene Verteidigungsfähigkeit zu schwächen.

Wer wollte, könnte den Beschluss von Scholz und Biden also sehr wohl als Kursschwenk einstufen. Zumal Berlin am Donnerstagabend noch eine zweite bemerkenswerte Entscheidung bekanntgegeben hatte, die nach monatelanger Panzerdebatte zunächst ein wenig unterging: Auch Deutschland wird der Ukraine Luftverteidigungssysteme vom Typ Patriot zur Verfügung stellen. Eben einen solchen Schritt hatte Hebestreit vor Weihnachten noch explizit ausgeschlossen - unter Verweis darauf, dass die einsatzfähigen Patriots für die NATO-Bündnisverteidigung in der Slowakei und Polen verplant seien.

"Auf Bitten der Amerikaner haben wir gesagt, wir suchen noch Komponenten zusammen, dass wir ein solches System zusammenkriegen", sagt Hebestreit nun. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums ergänzt in diesem Zusammenhang, es sei für die Bundeswehr "ein Kraftakt, ein weiteres System gemeinsam mit den Amerikanern zu stellen". Offenbar werden sich die Amerikaner auch um eine Überstellung des komplexen, mehrteiligen Systems an die Ukraine kümmern. Hebestreit räumt von sich aus ein, dass Washington auf mehr militärische Unterstützung durch Deutschland gedrungen hat, und macht somit kaum einen Hehl daraus, wer in der Frage westlicher Waffenlieferungen an die Ukraine den Taktstock schwenkt.

Macron prescht vor, die Opposition klagt

Nachdem Scholz sich ohnehin seit Kriegsbeginn in der Rolle des Besonnenen gibt und andere mit Forderungen vorpreschen lässt, mag ihm diese Darstellung nicht einmal unwillkommen sein. Des Kanzlers rhetorische Zurückhaltung in der Frage von Waffenlieferungen genießt in der Bevölkerung breiten Zuspruch. Dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Mittwoch vorpreschte, als er einen Tag vor Scholz und Biden verkündete, sein Land werde "leichte Kampfpanzer" vom Typ AMX-10 bereitstellen, ist in dieser Lesart eher kein Problem für den Bundeskanzler.

Auch wenn CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im "ntv Frühstart" sagte, Scholz und die Bundesregierung seien bei der Unterstützung der Ukraine immer nur "Getriebene" und CSU-Chef Söder klagte: "Macron handelt, Scholz zaudert." SPD-Außenpolitiker Schmid nimmt es gelassen: "Dass Präsident Macron die Entscheidung, französische Spähpanzer zu liefern, schon zwei Tage vor dem Telefonat von Scholz und Biden verkündet hat, sieht im ersten Moment etwas unglücklich aus, ist aber nicht tragisch. Entscheidend ist, dass das Vorgehen koordiniert war."

Was kommt als nächstes?

Ärgerlicher ist da schon für Scholz die Tatsache, dass er sich, kaum dass er eine Entscheidung großer Tragweite getroffen hat, mit weitergehenden Forderungen konfrontiert sieht. Grünen-Verteidigungspolitikerin Sara Nanni fordert im Gespräch mit ntv.de die Lieferung von "Leopard 1"-Panzern. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Politikerin und Vorsitzende des Verteidigungssauschusses, will genauso wie Grünen-Politiker Anton Hofreiter auch die moderne Version des deutschen Kampfpanzers, den "Leopard 2" in der Ukraine eingesetzt sehen. Hebestreit reagiert auf eine entsprechende Frage mit Unverständnis, aber mehr ob des Zeitpunkts, nachdem Scholz ja nun gerade Beschlüsse gefasst hat. Außerdem sei eine immer weitere Eskalation nicht zwingend, der Krieg solle ja auch einmal zu Ende gehen.

Ausschließen will Hebestreit offenbar dennoch nichts. Auch aus der SPD erklingen neue Töne der Entschlossenheit. "Die Ukraine kann sich darauf verlassen, dass wir das Notwendige tun, um sie in ihrem Verteidigungskampf zu unterstützen. Dazu gehört auch, dass es keine Tabus gibt, was die Waffengattungen angeht, die wir zur Verfügung stellen", sagt der außenpolitische Sprecher Schmid zu ntv.de. Nur Kriegspartei dürfe die NATO nicht werden. "Der Ukraine schwere Kampfpanzer oder Kampfflugzeuge zur Verfügung zu stellen, hätte nochmal eine andere Qualität. Diese Geräte haben nun einmal eine ganz andere Kampfkraft. Aber das kann sich entwickeln, wir halten uns das offen."

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen