Repressalien in Moskau Kasparow trotzt Putin
16.04.2007, 12:22 UhrNach den gewaltsam aufgelösten Protestkundgebungen in Russland hat der Oppositionspolitiker und frühere Schachweltmeister Garri Kasparow weitere Demonstrationen angekündigt. "Die Straßenproteste sind das letzte vom Gesetz noch erlaubte Mittel, um Druck auf die Staatsmacht auszuüben", sagte Kasparow nach Angaben der Moskauer Tageszeitung "Kommersant". Die Gegner von Präsident Wladimir Putin müssten ihre Proteste jedoch effektiver organisieren und mehr Menschen auf die Straße bringen, forderte Kasparow.
Bei den zum Teil verbotenen Kundgebungen hatten Angehörige der Sonderpolizei OMON nach Augenzeugenberichten mit Gummiknüppeln auf friedliche Demonstranten eingeschlagen. Unter den Opfern waren auch mehrere Journalisten. Die Polizei nahm insgesamt 350 Menschen vorübergehend fest.
Der Generalstaatsanwalt Juri Tschaika teilte mit, ihm seien keine strafbaren Handlungen von Polizisten bei den Kundgebungen in Moskau und St. Petersburg vom Wochenende bekannt. "Nach den Informationen, die mir vorliegen, lief alles ohne Gesetzesverstöße ab", sagte Tschaika in Moskau.
Scharfer Protest der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat in scharfer Form das Vorgehen der russischen Sicherheitsbehörden gegen Demonstranten in Moskau und St. Petersburg verurteilt. Vize-Regierungssprecher Thomas Steg sagte in Berlin, die "exzessive Gewaltanwendung" vom Wochenende sei Besorgnis erregend. Auch das Vorgehen gegen Journalisten sei "inakzeptabel". Die Bundesregierung erwarte von der russischen Seite eine "lückenlose Aufklärung" über die Vorgänge. Bundeskanzlerin Angela Merkel werde die Vorkommnisse bei geeigneter Gelegenheit ansprechen. Das nächste Treffen der CDU-Chefin mit Russlands Präsident Wladimir Putin ist für den 18. Mai beim EU-Russland-Gipfel in der Stadt Samara vorgesehen.
Nach Angaben des Auswärtigen Amtes hat die deutsche Botschaft in Moskau umgehend wegen der vorübergehenden Festnahme von akkreditierten deutschen Journalisten protestiert. Daraufhin sei ein ZDF-Mitarbeiter freigelassen worden, sagte ein Ministeriums-Sprecher. Nach seinen Worten gehören Versammlungsfreiheit und Medienberichterstattung zu einer lebendigen Zivilgesellschaft. Darauf werde bei allen Treffen mit russischen Vertretern hingewiesen.
Sonderpolizei prügelt auf Kinder ein
Insgesamt 350 Demonstranten wurden am Wochenende nach offiziellen Angaben vorübergehend festgenommen, darunter Kasparow. Korrespondenten von ARD und ZDF wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen. Hundertschaften der Sonderpolizei OMON prügelten mit Schlagstöcken auch auf Kinder und alte Menschen ein, wie Augenzeugen berichteten. Regierungskritiker sprachen von einer "schwer paranoiden" Reaktion des Kremls vor den Parlaments- und Präsidentenwahlen im kommenden Winter.
"Wir wollen ein anderes Russland"
Bereits in den vergangenen Wochen hatte das Oppositionsbündnis "Das andere Russland" tausende Menschen zu Protestkundgebungen auf die Straßen gebracht. Oppositionspolitiker und Menschenrechtler zeigten sich schockiert über die Polizeigewalt am Wochenende. "Der Machtapparat handelt schwer paranoid", kritisierte Putins früherer Wirtschaftsberater Andrej Illarionow den Einsatz von offiziell 9.000 Polizisten in Moskau. "Russland hat das Niveau von Simbabwe und Weißrussland erreicht, was das Verhältnis zwischen Staat und der Gesellschaft angeht", sagte Kasparow.
Als einige hundert Anhänger Kasparows vor einem Polizeigebäude dessen Freilassung forderten, prügelten Sicherheitskräfte auf die Menge ein. "Die Sicherheitskräfte griffen sich einzelne Demonstranten heraus und schlugen mit brutaler Gewalt auf sie ein", berichtete eine Augenzeugin. "Nieder mit dem Polizeistaat" und "Wir wollen ein anderes Russland", riefen die Demonstranten. Kasparow wurde am Samstagabend von einem Gericht zur Zahlung von 1.000 Rubel Strafe (knapp 30 Euro) verurteilt.
Die Opposition wirft Putin eine zunehmende Einschränkung der Menschenrechte vor der Parlamentswahl im Dezember 2007 und der Präsidentenwahl im März 2008 vor. In Putins Heimatstadt St. Petersburg kam es am Sonntag nach dem Abschluss der genehmigten Kundgebung zu Auseinandersetzungen, als die bis zu 1.000 Demonstranten durch einen engen Polizei-Kordon gezwungen wurden. Die Regierungsgegner riefen in Sprechchören "Russland ohne Putin". Die Polizei schlug mehrere Oppositionsanhänger nieder und nahm etwa 100 Personen fest. Die Agentur Interfax meldete, Demonstranten hätten Steine und Flaschen auf die Polizisten geworfen, was aber von anderen Journalisten nicht bestätigt wurde.
Quelle: ntv.de