Interview Keine Milzbrand-Epidemie zu befürchten
02.11.2001, 15:44 UhrNach mehreren Verdachtsfällen wächst auch in Deutschland die Angst vor Anthrax-Anschlägen. n-tv.de sprach mit Susanne Glasmacher, der Pressesprecherin des Robert-Koch-Insititutes, über das natürliche Vorkommen des Milzbrandvirus, die Gefahr einer Epidemie und Möglichkeiten der Vorsorge und Behandlung.
n-tv.de: Ab welcher Konzentration sind die Erreger für den Menschen gefährlich?
Susanne Glasmacher: Dies hängt von ganz verschiedenen Aspekten ab. Etwa davon, ob man die Sporen einatmet oder ob man sie über eine Wunde in die Haut bekommt. Sonst ist der Kontakt mit Milzbrandsporen nicht gefährlich, der Erreger gelangt nur über die Atemluft oder über Wunden in den Körper.
Die Anzahl der Sporen, die für eine Infektion nötig sind, kann man nicht ganz genau beziffern. Bei Lungenmilzbrand liegt die Anzahl in der vergleichsweise hohen Größenordnung von 8.000 Sporen. Dies ist allerdings ein Literaturwert und man wird sehen, ob er sich in der Zukunft auch so bestätigt.
n-tv.de: Die Milzbrandbakterien kommen in der Natur im Boden vor und befallen vor allem Huftiere. Was ist nötig, damit es zu einer Infektion bei einem Menschen kommt?
Susanne Glasmacher: Milzbrand ist eine alte Krankheit, auch beim Menschen. Man kann sich bei Tieren infizieren, wenn man Kontakt mit dem Fell hat oder mit Häuten, also Leder. Auch bei Schlachtungen kann der Erreger frei werden, wenn das Tier infiziert war, oder wenn man von einem infizierten Tier rohes Fleisch ist.
n-tv.de: Zu wie vielen Milzbranderkrankungen kam es durchschnittlich in den vergangenen Jahren?
Susanne Glasmacher: Das sind absolute Einzelfälle, in Deutschland alle paar Jahre mal einen einzelnen Fall und es sind in der Regel auch nur Hautmilzbrandfälle.
n-tv.de: Unter welchen Bedingungen bilden Milzbrandbakterien Sporen aus und was hat das für eine mögliche Infektion zu bedeuten?
Susanne Glasmacher: Die Sporen sind eine robuste Dauerform der Bakterien und die Sporen keimen aus, wenn es den Bakterien gut geht – wenn man sie beispielsweise in ein Nährmedium gibt. Dies ist auch auf Wunden der Fall und wenn man eine genügende Zahl einatmet, möglicherweise auch in der Lunge.
n-tv.de: Heute hat Bayer bekannt gegeben, dass ihr Medikament Ciprobay nun in Deutschland zugelassen ist. Ist Ciprobay gegen Milzbrand wirksamer als andere Medikamente und ist es sinnvoll, für sich einen Vorrat davon?
Susanne Glasmacher: Es ist nicht sinnvoll, sich einen Vorrat von Antibiotika überhaupt anzulegen, da Antibiotika bei einem Verdacht auf Milzbrand sofort verschrieben würden. Eine prophylaktische Einnahme von Antibiotika ohne einen solchen Verdacht würde eher Nachteile bringen, weil Antibiotika Resistenzen bewirken können. Zum Beispiel gegen Bakterien, die Erkältungen oder Durchfall verursachen. Deshalb sollten Antibiotika nur in begründeten Fällen und nur von Ärzten verschrieben werden. Eine Einnahme ohne ärztliche Aufsicht ist im Vorfeld unsinnig und auch schädlich.
n-tv.de: Wie steht es eigentlich mit dem medizinischen Fachpersonal? Sind Hausärzte und Krankenhäuser auf eventuelle Milzbrandfälle vorbereitet?
Susanne Glasmacher: Auf einzelne Fälle wäre das Gesundheitssystem schon vorbereitet. Die Krankheit ist ja nicht von Mensch zu Mensch übertragbar und lässt sich mit Therapeutika behandeln, wenn diese früh genug gegeben werden. Dies sind alles Faktoren, die das Management einer solchen Krankheit erleichtern.
n-tv.de: Und wenn es jetzt zu einem epidemieartigen Ausbruch von Milzbrand kommen würde?
Susanne Glasmacher: Dies ist bei Milzbrand nicht unbedingt zu erwarten, einfach vor dem Hintergrund, dass die Krankheit nicht von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Es ist technisch auch sehr schwierig, eine größere Zahl von Menschen anzustecken. Dies ist auch nichts, was ein einzelner oder eine kleine Gruppe könnte und es ist auch gar nicht sicher, ob dies eine größere Gruppe oder ein Staat kann. Es gibt keinen Hinweis, dass man eine größere Epidemie bei Milzbrand befürchten müsste.
n-tv.de: Die Übertragbarkeit der Milzbranderkrankung von Mensch zu Mensch gilt als ausgeschlossen. Warum ist das so?
Susanne Glasmacher: Man muss, um krank zu werden, den Erreger in hoher Konzentration einatmen oder über ein Wunde in der Haut infiziert werden. Da sich der Milzbranderreger nicht in Tröpfchen (wie bei TBC) ausbreitet, ist die Gefahr einer Ansteckung nicht gegeben. Dies ist in der Art des Erregers bedingt.
Das Interview führte Stefan Neumärker
Quelle: ntv.de