Politik

Sicherungsverwahrung auf Prüfstand Kippt Straßburg deutsche Reform?

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(Foto: picture alliance / dpa)

Fünf Sexualverbrecher ziehen vor den Gerichtshof für Menschenrechte und prangern die nachträgliche Verhängung der deutschen Sicherungsverwahrung an. Obwohl die Männer noch immer als gefärhlich gelten und jegliche Therapie verweigern, könnten sie Recht bekommen.

Für Albert H. wird sich nichts ändern - egal, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 13. Januar über seine Klage gegen die Sicherungsverwahrung in Deutschland entscheidet. Denn der mehrfach verurteilte Sexualstraftäter gilt wegen eines Hirnschadens als nicht therapierbar. Der 76-Jährige sitzt heute in Bayreuth in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt. "Und da wird er auch bleiben", sagt sein Anwalt Johannes Driendl. Dennoch hofft der Jurist, dass Deutschland von den Straßburger Richtern abermals verurteilt wird, im "Interesse anderer Betroffener".

Sollte dies geschehen, könnte mit dem Urteil die erst vor kurzem in Kraft getretene Reform der Sicherungsverwahrung in Deutschland schon wieder in Frage stehen. Demnach darf diese Maßnahme weiterhin bei schweren Sexual- und Gewaltverbrechen angeordnet werden, aber nicht mehr nachträglich, sondern direkt mit dem Urteil. Bereits vor der Reform verurteilte und als besonders gefährlich eingestufte Verbrecher können aber im Interesse der öffentlichen Sicherheit weiter hinter Gittern gehalten werden - selbst wenn in ihrem Fall die Maßnahme nachträglich beschlossen wurde.

Richter rügen Gesetz von 1998

Über fünf solcher "Altfälle" entscheidet der Gerichtshof für Menschenrechte. Wie Albert H. wurden auch die vier anderen Kläger, Männer im Alter von 50 bis 55 Jahren, wiederholt wegen Sexualverbrechen verurteilt. Sie zeigten während der Haft keine Bereitschaft zur Therapie und werden von Experten als hochgradig gefährlich eingeschätzt. Daher blieben sie nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Sicherungsverwahrung - und zwar unbefristet.

Grundlage dafür ist ein Gesetz von 1998, das die bis dahin geltende zehnjährige Höchstdauer der Sicherungsverwahrung aufhob. Diese Maßnahme wurde seither in einer Reihe von Fällen rückwirkend angeordnet - eine Praxis, die der Gerichtshof für Menschenrechte bereits im Dezember 2009 als Grundrechtsverstoß gewertet hatte. Sie verstoße gegen das Rückwirkungsverbot in der Europäischen Menchenrechtskonvention ("Keine Strafe ohne Gesetz") und gegen das Grundrecht auf Freiheit, hatten die Straßburger Richter damals gerügt.

Keine Gnade in Straßburg

Rechtsanwalt Driendl hält es für wahrscheinlich, dass die Urteile ähnlich ausfallen werden. Der Gerichtshof könne sehr gut "strengere Anforderungen" stellen, als in der im vergangenen Dezember verabschiedeten Reform der Sicherungsverwahrung beschlossen wurde, meint der Jurist.

Auch der deutsche Gesetzgeber schließt das offenbar nicht aus. Für den Fall, dass die nachträgliche Verhängung einer Sicherheitsverwahrung vor dem Gerichtshof für Menschenrechte abermals keine Gnade finden sollte, ergebe sich "weiterer Prüfungsbedarf", heißt es schon in der Begründung des Reformgesetzes. Die Urteile werden mit umso größerer Spannung erwartet, als noch andere folgen sollen: Insgesamt sind beim Straßburger Gerichtshof nach Angaben einer Sprecherin gut 30 ähnlich gelagerte Klagen gegen die Deutschland anhängig.

Quelle: ntv.de, Jutta Hartlieb, AFP

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