Presseschau "Kirch ist Mediengeschichte geworden"
09.04.2002, 10:52 UhrIn nahezu jeder deutschen Tageszeitung finden sich einen Tag nach Einreichung des Insolvenz-Antrags von Leo Kirch Kommentare zum "größten deutschen Konzern-Zusammenbruch der Nachkriegszeit". Die Schwerpunkte liegen auf der Person Kirch, auf dem Verhalten der Gläubigerbanken, der Konkurrenz und vor allem auf der Politik und den beiden Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber und Gerhard Schröder. n-tv.de hat die interessantesten Stimmen zusammengestellt.
"Frankfurter Allgemeine Zeitung "
"Noch ist es zu früh, aus diesem Zusammenbruch, einer der größten Pleiten der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik, schon auf das Ende der Deutschland AG auf dem Markt der elektronischen Medien zu schließen... Aus der Auffanglösung für Kirch darf daher keine Abwehrlösung werden."
"Süddeutsche Zeitung"
"Der Fall Kirch böte, ähnlich wie die Holzmann-Pleite, genügend Stoff, um grundsätzlich über die Zukunft der Deutschland AG nachzudenken, über jene heimliche und manchmal auch unheimliche Nähe von Aufsichtsräten, Bankvorständen und Politikern, die heutzutage alle für überholt halten, die aber dennoch unverändert Realität ist..."
"Handelsblatt "
"Die Karten in Deutschland werden neu gemischt... Die Pleite bietet auf der Schlussgeraden zur Einführung des digitalen Fernsehens gewaltige Wachstumsmöglichkeiten für die Konkurrenten. Pech für Kirch. Vergeblich hat er mit visionärer Sturheit und Spielerleidenschaft den Grundstein für die TV-Zukunft gelegt. Der große Profiteur des Fiaskos ist Bertelsmann... Mit der Insolvenz der Kirch Media wird Bertelsmann ohne großes Zutun zum König im deutschen TV- und Filmgeschäft."
"Frankfurter Rundschau "
"Kirch, der Medienunternehmer, ist Mediengeschichte geworden. Bittere Wahrheit auch für den allzu eilfertigen Kirch-Unterstützer, Standortpolitiker und bayerischen Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber, der seine liebe Not haben wird, die Sache weit weg von seiner Staatskanzlei zu schieben. Den Wahlkämpfer Schröder aber freut's. Bayern, das selbst ernannte Wirtschaftswunder-Dorado: ein Pleiteland. Dessen Regierungschef: kein Macher, sondern ein "unanständiger " Versager. Die Versatzstücke der Wahlkampf-Rhetorik kann man heute schon durchdeklinieren."
"Magdeburger Volksstimme"
"In Wahrheit weiß auch niemand, wohin der Kirch-Konzern steuert, welche Firmen noch in den Strudel hinein geraten und wie die deutsche Fernsehlandschaft in ein paar Monaten aussehen wird. Das Drama geht weiter. Es hat lediglich Leo Kirch und ein paar Steigbügelhalter von der Besetzungsliste gestrichen."
"Berliner Morgenpost "
"Mit Kirchs Gang zum Insolvenzrichter endet eine medienpolitische Ära. Jetzt wird sich zeigen, ob die deutsche Politik reif ist für eine moderne, globalen Spielregeln folgende Medienwirtschaft, oder ob sie die Fehler von Kirch nur als Vorwand nutzt, um in die alte, lauwarm temperierte Treibhauskultur der Staatsmedienlandschaft zurückzukehren. Da war Kirch seinem Land immer um Längen voraus..."
"Bild"-Zeitung
"Es geht um den größten Konzern-Zusammenbruch der deutschen Nachkriegs-Geschichte. Es geht um rund 10.000 Arbeitsplätze, von denen möglichst viele erhalten werden müssen. Es geht aber auch um das liebste Kind der Deutschen. Um die Zukunft unseres Fußballs... Doch jede Krise birgt auch ihre Chance. Jetzt ist die Zeit gekommen, endlich über den Millionen-Wahnsinn im Fußball nachzudenken. TV-Macher, Vereins-Bosse und Fußball-Profis haben so lange an der Geldschraube gedreht, bis es zum großen Knall kommen musste..."
"Münchner Merkur "
"Wie jeder Spieler hat Leo Kirch nicht die Kraft gehabt, rechtzeitig aufzuhören. Als er das Bezahlfernsehen in Deutschland mit brachialer Gewalt durchzusetzen versuchte, überreizte er sein Blatt... Den Schwarzen Peter im Poker um Macht und Milliarden hält jetzt die Politik in den Händen: Mit der großzügigen Gewährung von Krediten durch die Bayerische Landesbank begann die Skandalisierung des Falles Kirch... Das ist das Kapitel, das jetzt aufgearbeitet werden muss. Schonung ist nicht zu erwarten. Dafür garantiert der Wahlkampf."
"Neue Zürcher Zeitung" (Schweiz)
"Unzweifelhaft haben diese Engagements (Pay-TV, teure Einkäufe) aber dazu beigetragen, den finanziellen Bogen zu überspannen, und ebenso unzweifelhaft haben dabei einige Banken aus heutiger Sicht in fahrlässiger Weise finanzielle Hilfestellung geleistet. Mit vorsichtigem Geschäftsgebaren hatte das wenig zu tun, vielmehr glich das Vorgehen Kirchs und einiger Banken einem Pokerspiel mit hohem Einsatz - zu hohem Einsatz, wie sich nun herausgestellt hat."
"Der Standard" (Österreich)
"Zumindest grobe Fahrlässigkeit müssen sich die involvierten Institute vorwerfen lassen. Die halbstaatliche Bayerische Landesbank, die knapp zwei Milliarden Mark in Kirch investiert hat, setzte sogar Steuermittel ein. Dass sich Gläubigerbanken nun so für eine "neue KirchMedia " engagieren, liegt in ihrem eigenen Interesse. Es gilt zu retten, was noch zu retten ist... "
"La Tribune" (Frankreich)
"Die Passivität Rupert Murdochs und Silvio Berlusconis angesichts des Debakels des bayerischen Milliardärs ist schon sonderbar. Man kann doch stark darauf wetten, dass sie nicht mit der Absicht bei Kirch eingestiegen sind, Nebenrollen zu spielen. Ihre deutschen Partner können das mühelos nachvollziehen. Deshalb beeilen sie sich, rasch eine deutsche Lösung zusammenzuzimmern, um die Gruppe zu retten. Die Furcht vor einer ausländischen Vorherrschaft verkrampft unsere Nachbarn... "
"Financial Times" (Großbritannien)
"Die deutschen Politiker sind jetzt herausgefordert, Mut zu beweisen und die Wahrheit hinter dieser geheimniskrämerischen Gesellschaft zu Tage zu fördern - und nicht zu versuchen, wieder irgendeinen Deal zusammenzuschustern... Das wäre dann der traditionelle deutsche Weg - eben jener Weg, der Kirch dorthin gebracht hat, wo er nun ist, und der in Brüssel für Stirnrunzeln sorgen müsste. Kirchs Bankrott ist mehr als nur ein gescheitertes Medienimperium: Es ist ein Test dafür, wie ernsthaft sich Deutschland den Problemen seines rissigen Wirtschaftsmodells stellt."
Quelle: ntv.de