Dutzende Verletzte in Kiew Klitschko bei Straßenschlachten attackiert
19.01.2014, 22:31 Uhr
Ein Bus brannte bei den Protesten komplett aus.
(Foto: dpa)
Oppositionspolitiker Klitschko ist nur einer von ihnen: Dutzende werden bei Protesten in der Ukraine verletzt. Die Polizei setzt Blendgranaten und Wasserwerfer ein, die Demonstranten fackeln Autos ab. Präsident Janukowitsch setzt nun auf eine Kommission.
Bei Zusammenstößen zwischen Regierungsgegnern und der Polizei in der ukrainischen Hauptstadt Kiew sind mehr als 70 Sicherheitskräfte verletzt worden. Zahlreiche Milizionäre mussten in Krankenhäusern behandelt werden, wie das Innenministerium mitteilte. Wütende Anhänger der proeuropäischen Opposition setzten Einsatzfahrzeuge und Spezialtechnik in Brand. Es gab mehrere Festnahmen.
Der Oppositionspolitiker und Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko rief die Gegner des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch zur Ruhe auf. Klitschko traf sich laut einer Mitteilung der von ihm geführten Partei Udar (Schlag) noch am Sonntagabend mit Janukowitsch, um über die gespannte Lage in der Ex-Sowjetrepublik zu sprechen. Demnach habe der Staatschef zugesichert, eine Kommission mit Vertretern des Machtapparats und der Opposition zu bilden, die über einen Ausweg aus der Krise beraten soll.
Mit Masken vermummte Oppositionelle hatten zuvor versucht, Absperrungen im Regierungsviertel zu durchbrechen, um das Parlamentsgebäude zu stürmen. Einige warfen Steine auf die Polizisten und zündeten Feuerwerkskörper. Die Sicherheitskräfte setzten Blendgranaten und auch einen Wasserwerfer ein - bei etwa minus acht Grad Celsius. Unbestätigten Augenzeugenberichten zufolge gab es nach dem Einsatz von Tränengas mehrere Verletzte. Ein Bus ging in Flammen auf.
Feuerlöscher auf Klitschko gesprüht
Klitschko wurde angegriffen, als er versuchte, die wütende Menge zu beruhigen. Dabei wurde er mit einem Feuerlöscher besprüht. Klitschko forderte die Jugendlichen zur Ruhe und zu Verhandlungen mit der Polizei auf. Einige warfen Steine auf die Polizisten und zündeten Feuerwerkskörper.
Zahlreiche Demonstranten hatten kurz zuvor während einer Massenkundgebung auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz ihren Unmut darüber gezeigt, dass die Opposition nach zwei Monaten des Protestes keine Ergebnisse vorweisen könne. Zwischen 100.000 und 200.000 Menschen demonstrierten gegen demokratische Rückschritte in der Ex-Sowjetrepublik.
Klitschko wird ausgebuht
Insbesondere gegen Klitschko gab es Buhrufe bei der Kundgebung. Er steht in der Kritik, ohne Plan und unentschlossen zu handeln und die zersplitterte Opposition nicht einigen zu können. Der Boxer hatte sich immer wieder für einen friedlichen Machtwechsel ausgesprochen. Auch der prominente Oppositionspolitiker Arseni Jazenjuk warnte vor einem "blutigen Machtwechsel". Der Wandel müsse auf friedlichem Wege erreicht werden, sagte er.
Nach Meinung von Beobachtern fordern aber vor allem jüngere Demonstranten rasche Veränderungen. "Wir brauchen einen Anführer, der uns heute und jetzt zum Sieg führt. Wir brauchen einen Namen", sagte Dmitri Bulatow, einer der führenden Köpfe der Straßenproteste.
Klitschko forderte erneut vorgezogene Präsidentenwahlen, um Staatschef Viktor Janukowitsch abzulösen. Unter Protest auch der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko hatte das Parlament zuvor mehrere umstrittene Gesetze gegen Regierungsgegner verabschiedet.
Am Freitag hatte Präsident Viktor Janukowitsch ein Gesetzespaket unterzeichnet, welches das Demonstrationsrecht beschneidet. Es sieht unter anderem Geldstrafen für Demonstranten vor, die sich mit Gesichtsmasken vermummen oder Helme tragen. Für den nicht genehmigten Aufbau von Bühnen und Zelten auf öffentlichen Plätzen können 15 Tage Haft verhängt werden, bis zu fünf Jahre Gefängnis drohen für die Blockade öffentlicher Gebäude. Außerdem hatte ein Gericht am Mittwoch ohne Angaben von Gründen entschieden, dass im Zentrum von Kiew bis zum 8. März nicht mehr demonstriert werden dürfe. Erstmals seit 2001 steht wieder Verleumdung unter Strafe.
Schlag gegen grundlegende Freiheiten
Menschenrechtler kritisierten die Verschärfung der Gesetze gegen Andersdenkende als schwersten Rückschritt in der Ex-Sowjetrepublik seit Jahren. "Diese Veränderungen sind ein ernster Schlag gegen die grundlegenden Freiheiten", sagte die Ukraine-Expertin der Organisation Human Rights Watch (HRW), Julia Gorbunowa, einer Mitteilung vom Samstag zufolge.
Die Demonstranten halten seit mehr als einem Monat das Bürgermeisteramt und das Gewerkschaftshaus besetzt. Auch die Bundesregierung, die EU und die USA hatten die vom Parlament in Kiew im Eiltempo durchgepeitschten Gesetze kritisiert.
Zu den Protesten war es im November gekommen, nachdem Janukowitsch ein mit der EU sieben Jahre lang ausgehandeltes Assoziierungsabkommen auf Eis gelegt hatte. Nach Kritik Russlands an dem Abkommen verweigerte Janukowitsch Ende November die Unterschrift. Kurz danach erhielt die Ukraine von Russland Milliardenhilfen zur Rettung vor dem Staatsbankrott. Seitdem das russische Geld fließt, sinkt die Proteststimmung in dem Land.
USA und Großbritannien ermahnen Kiew
Der britische Außenminister William Hague mahnte indes Besonnenheit an. Gewalt sei nicht die Lösung, schrieb Hague über Twitter. Auch die USA riefen beide Seiten - Regierung und Opposition - zur Zurückhaltung auf. Insbesondere forderten sie aber die Führung in Kiew zum Dialog auf.
Die wachsenden Spannungen seien eine direkte Folge der Weigerung der dortigen Regierung, die berechtigten Beschwerden des Volkes anzuerkennen, erklärte die Sprecherin der Nationalen Sicherheitsrates der USA, Caitlin Hayden. Stattdessen seien friedliche Proteste kriminalisiert und Opponenten ihres "gesetzesmäßigen Schutzes" beraubt worden. Diese "antidemokratischen Schritte" müssten zurückgenommen werden.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa/AFP