"Ein einmaliger Kraftakt" Koalition beschließt Mega-Sparplan
07.06.2010, 15:32 Uhr
Die Krisenkanzlerin und ihr Vize: "Es sind ernste Zeiten, es sind schwierige Zeiten."
(Foto: REUTERS)
"Es sind ernste Zeiten, es sind schwierige Zeiten", sagt Kanzlerin Merkel. Zusammen mit Außenminister Westerwelle präsentiert sie ein Sparpaket, dass sich gewaschen hat. Bis 2014 will die Bundesregierung 80 Milliarden Euro einsparen. Westerwelle nennt das Programm ausgewogen, fair und gerecht.
Die Bundesregierung hat das größte Sparpaket in der bundesdeutschen Geschichte beschlossen. Bis 2014 sollen ungefähr 80 Milliarden Euro eingespart werden - deutlich mehr als erwartet. Die größten Einschnitte gibt es bei Sozialleistungen, aber auch die Wirtschaft muss sich auf Milliardenbelastungen einstellen. Opposition und Gewerkschaften kündigten Widerstand gegen die Sozialkürzungen an.
"Es sind ernste Zeiten, es sind schwierige Zeiten", sagte Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel in Berlin. Sie bezeichnete das Sparpaket als "einmaligen Kraftakt". Von den drastischen Einschnitten ist der Sozialbereich besonders betroffen. Eine höhere Mehrwert- und Einkommensteuer schlossen Union und FDP aus.
Weniger Soldaten und Beamte

Merkel: "Ich bin optimistisch, dass wir das schaffen können, wenn wir das jetzt auch so umsetzen."
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Die Koalition will die Bundeswehr im großen Stil umstrukturieren. Merkel kündigte eine "großangelegte Streitkräftereform" an. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wurde beauftragt, bis Anfang September zu prüfen, wie die Bundeswehr von derzeit 250.000 Soldaten um bis zu 40.000 Soldaten verkleinert werden kann. Aus dem Eckpunktepapier der Bundeswehr geht hervor, dass es dabei auch um die Zukunft der Wehrpflicht gehen soll, die FDP will diese ganz abschaffen.
Beim Bund sollen bis einschließlich 2014 bis zu 15.000 Stellen dauerhaft abgebaut werden. Im direkten öffentlichen Dienst des Bundes gibt es 129.000 Beamte und 149.000 Angestellte. Zudem sollen die Bundesbeamten 2011 auf die geplante Erhöhung des Weihnachtsgeldes verzichten. Dies bedeute eine Kürzung der Bezüge um 2,5 Prozent. Zudem wird der 400 Millionen Euro teure Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses verschoben.
Es soll nach Reform aussehen
Bei den Sozialleistungen will die Regierung besonders kräftig sparen. Hier sollen im wesentlichen Pflicht- in Ermessensleistungen umgewandelt werden. Zuschläge für Arbeitslose werden gestrichen. Bei Hartz-IV-Empfängern will der Staat die Beiträge zur Rentenversicherung einsparen. Dies soll etwa zwei Milliarden Euro im Jahr bringen.
Die Einsparungen im Sozialbereich stellte Merkel als Sozialreform dar. Die Kürzungen sollten die "Anreize für die Aufnahme von Arbeit" verbessern. Es gehe vor allem um eine effiziente Vermittlung sowie darum, Jobs für erwerbsfähige Hartz-IV-Empfänger zu schaffen.
Das Elterngeld wird insgesamt moderat gekürzt, für Hartz-IV-Empfänger aber komplett gestrichen. Der Höchstbetrag von maximal 1800 Euro im Monat wird nicht angetastet. Allerdings werden künftig nur 65 statt 67 Prozent des Nettoeinkommens als Berechnungsgrundlage genommen.
Mehr Geld für Bildung und Forschung
Ausgenommen von den Kürzungen sind die Bereiche Bildung und Forschung sowie Ausgaben für Infrastruktur. Hier sollen bis 2013 zusätzliche zwölf Milliarden Euro bereitgestellt werden. Auch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) bekommt im nächsten Jahr einmalig zwei Milliarden Euro zusätzlich, um einen Sozialausgleich zu finanzieren.
Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent, der für zahlreiche Produkte und Dienstleistungen gilt, soll erhalten bleiben. Merkel sagte, die Koalition werde sich wie verabredet aber die Ausnahmetatbestände ansehen. Allerdings gehe es hier im gesamten Mehrwertsteueraufkommen um einen untergeordneten Betrag.
Brennelementesteuer und Luftfahrtabgabe
Die Koalition will auch die Wirtschaft zur Kasse bitten. Die Atomkonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW müssen künftig eine neue Brennelementesteuer von jährlich 2,3 Milliarden Euro zahlen. Damit soll ein Teil der Zusatzgewinne der Konzerne bei längeren Atomlaufzeiten abgeschöpft werden. Zudem beansprucht der Staat eine höhere Dividende des Staatskonzerns Deutsche Bahn im Volumen von 500 Millionen Euro.
Im Luftverkehr plant die Bundesregierung eine neue "ökologische Luftverkehrsabgabe". Sie soll für alle Passagiere erhoben werden, die von einem deutschen Flughafen starten. Außerdem soll sich der Bankensektor an den Kosten für die Wirtschaftskrise beteiligen. Die Bundesregierung werde sich deswegen für eine Finanzmarkttransaktionssteuer auf globaler, mindestens aber auf europäischer Ebene einsetzen, kündigte Merkel an. Spätestens 2012 soll eine neue Abgabe kommen, falls es zuvor in Europa und weltweit keine Lösung gibt.
"Auch über unsere Verhältnisse gelebt"
Merkel hält den Sparkurs für alternativlos. "Wir können uns nicht all das, was wir uns wünschen, leisten, wenn wir die Zukunft gestalten wollen", sagte die Kanzlerin. Die Koalition sei bis an die Grenzen gegangen: "Ich darf sagen, dass die letzten Stunden, so denke ich, schon ein einmaliger Kraftakt waren." Die Situation Griechenlands und anderer Euro-Staaten hätte aber gezeigt, von welch großer Bedeutung solide Finanzen seien.
FDP-Chef Guido Westerwelle sagte, vor Deutschland liege eine große Kraftanstrengung. "Wir haben in den letzten Jahren auch über unsere Verhältnisse gelebt." Es sei ein ehrgeiziges, umfassendes und solides Sparpaket. Gleichzeitig seien die Einschnitte ausgewogen, fair und gerecht. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der nach Abschluss der Klausur direkt nach Luxemburg reiste, sagte, "wir haben ein Ergebnis erzielt, mit dem wir die Schuldengrenzen für diese Legislatur erfüllen können ohne Tricks."
Das Kabinett beriet seit Sonntagmittag streng abgeschirmt im Kanzleramt über den Bundesetat 2011 und die mittelfristige Finanzplanung bis 2014. Ab 2013 muss Deutschland wieder den Euro-Stabilitätspakt einhalten, zudem greift ab 2011 die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse.
Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP/rts