Streit um Atommeiler Koalition plant längere Laufzeiten
08.08.2010, 12:51 UhrIm Streit um die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken zeichnet sich eine deutliche Tendenz ab: Die Reaktoren sollen im Schnitt 14 Jahre länger laufen. Umweltminister Röttgen kann sich mit seiner Forderung nach kürzeren Fristen offenbar nicht durchsetzen. SPD-Chef Gabriel kritisiert ihn scharf und koppelt die Frage dessen politischen Zukunft.

"Die Laufzeitverlängerung ist keine Brücke, sondern der Abgrund für die Erneuerbaren Energien", sagt Grünen-Vorsitzende Claudia Roth.
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In der schwarz-gelben Koalition zeichnet sich nach Informationen des "Spiegel" eine deutliche Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken ab. Ein Bündnis von Bundestags-Abgeordneten, süddeutschen Ländern und Bundeswirtschaftsministerium wolle die Reaktoren im Schnitt um 14 Jahre länger laufen zu lassen, berichtet das Magazin.
CDU-Bundesumweltminister Norbert Röttgen strebt dagegen kürzere Fristen an. Joachim Pfeiffer, der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, sagte: "Röttgen sollte anerkennen, dass die Mehrheit in Partei und Fraktion Kernkraft für eine längere Zeit als er für absolut nötig hält, um eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten."
Pfeiffer fügte hinzu, die Fraktion werde der von der Koalition beschlossenen Brennelementesteuer nicht zustimmen, "ohne dass die Gesamtfrage in diesem Sinn gelöst ist". Mit der Brennelementesteuer sollen die Kraftwerksbetreiber nach den aktuellen Plänen der Koalition im Gegenzug für eine Laufzeitverlängerung belastet werden. Wie das Magazin berichtet, verhandelt die Bundesregierung nun aber mit den vier Kernkraftwerksbetreibern über Alternativen zur neuen Brennelementesteuer.
Energiekonzerne wollen Vertrag
E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW wollten eine steuerliche Belastung unbedingt vermeiden. Sie schlagen dem "Spiegel" zufolge einen Vertrag zwischen Regierung und Unternehmen vor, in dem nicht nur die längeren Laufzeiten geregelt sind, sondern auch die Zahlungen der Unternehmen an den Bund, mit denen die zusätzlichen Gewinne zum Teil abgeschöpft werden sollen.
Die Gespräche unter Federführung von Finanz-Staatssekretär Werner Gatzer seien "schon weit gediehen", berichtet das Magazin. Derzeit arbeite eine namhafte Rechtsanwaltskanzlei unter Hochdruck an einem Vertragsentwurf. Ob sich der Bund schließlich auf die Pläne der Wirtschaft einlasse, sei aber noch völlig offen. Ihr Entgegenkommen würde sich die Politik durch einen Aufschlag bezahlen lassen. Parallel zu den Verhandlungen verfolgt die Bundesregierung demnach die Brennelementesteuer weiter.
"Unverantwortliches Atom-Roulette"

Umweltminister Röttgen steht von allen Seiten in der Kritik. SPD-Chef Gabriel wirft ihm mangelndes Durchsetzungsvermögen vor.
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Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth hat der Atomindustrie verantwortungslose Tricksereien vorgeworfen, um alte Atomkraftwerke vor der fälligen Abschaltung zu bewahren. "In der Energiepolitik wird ein unverantwortliches Atom-Roulette gespielt", sagte Roth der dpa. Die Energiekonzerne gefährdeten mit der Übertragung von Reststrommengen auf alte Atomkraftwerke und der Drosselung der Leistung bei von der Abschaltung bedrohten Anlagen die Energiewende in Deutschland.
Tricksereien seien fast eine Untertreibung, sagte Roth. "Reststrommengen des Eon-Kraftwerks Stade wurden an den Atommeiler Biblis A des Konkurrenten RWE verschachert. Atomkonzerne, die mit überhöhten Strompreisen die Verbraucher abzocken, wollen ihre Monopolstellung für die nächsten 28 Jahren zementieren." Das schade dem Wettbewerb und führe sogar dazu, dass Windparks abgeschaltet werden müssen, wenn es zu viel Atomstrom gebe.
"Die Laufzeitverlängerung ist keine Brücke, sondern der Abgrund für die Erneuerbaren Energien." Längere Laufzeiten für einen abgeschriebenen Altmeiler bedeuteten nicht nur pro Tag eine Million Euro mehr in den Taschen der Energiekonzerne, sondern auch, dass die Bevölkerung zunehmenden Sicherheitsgefahren ausgesetzt sei, sagt Roth.
"Es geht um Röttgens Schicksal"
Für SPD-Chef Sigmar Gabriel warf Röttgen unterdessen mangelndes Durchsetzungsvermögen vor. "Entweder ist Herr Röttgen zu schwach, um sich gegen die Atom-Fans in seiner Partei durchzusetzen. Oder der Wiedereinstieg in die Atomwirtschaft ist allen Sonntagsreden zum Trotz sein persönliches Ziel", sagte Gabriel dem "Spiegel". "In beidem Fällen wäre er als Bundesumweltminister ungeeignet."
Seiner Ansicht nach geht es bei der Debatte um längere Laufzeiten auch um das politische Schicksal von Röttgen. "Wenn sich die Hardliner in Fraktion und Ländern wirklich durchsetzen und die Laufzeit von alten Atomkraftwerken um 14 Jahre verlängert wird, ist Herr Röttgen auf ganzer Linie gescheitert", sagte der SPD-Vorsitzende.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa