Politik

"Ich tue es mit Lust" Koalitionszoff um Schwan

Der Kampf um das Amt des Bundespräsidenten hat begonnen. Trotz heftiger Proteste aus der Union hat die SPD die Hochschulprofessorin Gesine Schwan als eigene Kandidatin für das höchste Staatsamt nominiert. Unionspolitiker sehen das Vertrauensverhältnis in der Koalition zerstört. SPD-Chef Kurt Beck warf der Union vor, mit Kritik am Vorgehen der SPD mutwillig eine Belastung der Koalition herbeizureden. "Wo steht denn in einem Koalitionsvertrag, dass wir gemeinsam einen Bundespräsidenten wählen", fragte Beck in der ARD. Die Unionskritik sei nur "Getöse".

Doch trotz etlicher Forderungen aus CDU und CSU, über ein Ende der Großen Koalition wenigstens nachzudenken, wagt den offenen Bruch derzeit keine der Parteien. In einer CDU-Präsidiumssitzung sprachen sich nahezu alle Mitglieder des Gremiums für den Kurs von Bundeskanzlerin und Parteichefin Angela Merkel aus, nicht aus der Koalition auszusteigen. Wie weiter aus Teilnehmerkreisen verlautete, wurde die Entscheidung der SPD aber als schwere Belastungsprobe für die Zusammenarbeit kritisiert.

Auch die CSU verständigte sich darauf, jetzt nicht das Bündnis zu verlassen. "Ich erkläre ausdrücklich: Die CSU ist vertragstreu", sagte Parteichef Erwin Huber in München. Die CSU sei bereit, die schwarz-rote Koalition nicht nur weiterzuführen, sondern auch zu weiteren Erfolgen zu bringen. Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) allerdings sieht einen derart eklatanten Vertrauensbruch, dass die Große Koalition wohl nicht mehr viel zustande bringen werde.

Merkel ist sauer

Merkel bedauerte die Nominierung der derzeitigen Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), die in den nächsten zwölf Monaten bis zur Wahl des Bundespräsidenten in Konkurrenz zu Amtsinhaber Horst Köhler treten wird. Damit gebe sich die SPD in der Bundesversammlung, wo über den Bundespräsidenten am 23. Mai 2008 entschieden wird, in die Hände der Partei Die Linke. Dies sei nicht erfolgsversprechend, sagte Merkel.

Bundespräsident Köhler sei ein in der Welt hoch geschätzter und hoch geachteter Präsident. Deutschland könne froh darüber sein, dass sich Köhler für eine zweite Amtszeit zur Verfügung gestellt habe, sagte Merkel. Sie sei sicher, dass Köhler im Mai kommenden Jahres wiedergewählt werde.

Ähnlich äußerte sich Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach. Die schwierige Zusammenarbeit mit der SPD werde möglicherweise "noch etwas schwieriger", sagte er bei n-tv. Er glaube aber nicht, "dass die Koalition vorzeitig ihre Arbeit beenden wird". Bosbach warnte zugleich vor einem Machtduell zwischen Köhler und Schwan. Es sei sehr schlecht, "wenn wir jetzt in einen Dauerwahlstreit von 16 Monaten geraten", sagte der CDU-Politiker weiter.

Schwan hat Lust

Schwan selbst betonte, es werde keine Absprachen mit der Linken geben, allerdings wolle sie auch um deren Stimmen werben. Sie wolle deren Anhänger ermutigen, sich zu entscheiden "zwischen einer konstruktiven Politik und einer demagogischen Polemik", sagte Schwan. "Wer mich von den Linken wählt, hat sich entschieden für eine konstruktive Politik und für Demokratie." Sie räumte ein, ohne Linken-Stimmen in der Bundesversammlung sei ihre Wahl zur Präsidentin nicht möglich.

Die Politikwissenschaftlerin war bereits vor vier Jahren Köhlers Gegenkandidatin und war ihm nur knapp unterlegen. Mindestens zehn Stimmen hatte sie aus dem konservativen Lager bekommen. Auch beim zweiten Mal hat Schwan nach eigenem Bekunden Freude an dem Kandidatendasein nicht verloren: "Ich tue es mit Lust."

Beck sieht Belebung

SPD-Chef Beck sagte, die von der Führung einstimmig beschlossene Aufstellung Schwans solle aber kein Signal für eine Zusammenarbeit mit der Linken im Bund sein. Beck nannte die Nominierung Schwans ein Signal der Eigenständigkeit der SPD, die seit Monaten in Umfragen schlechte Werte erzielt und deutlich hinter der Union zurückliegt. "Mit der Kandidatur demonstrieren wir als Sozialdemokraten das Selbstbewusstsein, das uns zusteht." Dies dürfe aber kein Grund für eine Belastung des Koalitionsklimas sein.

"In der Union haben sich einige kräftig verirrt", sagte er zu Vorwürfen aus CDU und CSU, die SPD gefährde das Regierungsbündnis. Zwischen ihm und Merkel gebe es dadurch keine Probleme, sagte Beck. Die Nominierung Schwans sei ein Beitrag zur Belebung der politischen Diskussion. Die SPD werde selbstverständlich keinen Wahlkampf führen gegen den amtierenden Bundespräsidenten Köhler.

Linke denkt noch nach

Unterdessen lotet die Linke ihr Machtpotential bei der Wahl des nächsten Staatsoberhauptes aus. Die stellvertretende Parteivorsitzende Katja Kipping sagte bei n-tv, in der Bundesversammlung gebe es zwei Optionen. Entweder wähle die Linke die SPD-Kandidatin mit oder sie werde die Gelegenheit nutzen, "um einer Kandidatin Öffentlichkeit zu verschaffen, die entweder für antifaschistische oder für soziale Projekte werben wird".

Kipping erklärte weiter: "Für Frau Schwan spricht einiges, auch für sie als Frau der Wissenschaft." Bundespräsident Köhler zu wählen, sei für die Linke dagegen "unvorstellbar". Viele seiner Reden seien eine "Anweisung zum Sozialabbau" gewesen. Eine Entscheidung will die Linke erst nach der bayerischen Landtagswahl im September treffen, wenn die genaue Zusammensetzung der Bundesversammlung fest steht.

Nach den Worten von Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch will die Linke Schwan aber nicht zum "Nulltarif" ins Amt verhelfen. Absprachen seien das Mindeste, so Bartsch. Er nannte es "Quark", dass die jetzige Debatte eine Weichenstellung für eine rot-rot-grüne Koalition im Bund sein könne.

Grüner Seitenhieb gegen FDP

Auch die Grünen wollen trotz Sympathiebekundungen für Schwan ihr Verhalten bei der Präsidentenwahl erst nach der bayerischen Landtagswahl im Herbst festlegen. Allerdings: Wer, wie FDP-Chef Guido Westerwelle eine Wiederwahl des Bundespräsidenten als Richtungswahl für Schwarz-Gelb ausgebe, mache Köhler für viele Grüne praktisch unwählbar, sagte Parteichefin Claudia Roth. Westerwelle hatte Merkel den Bruch der Koalition empfohlen; SPD, Grüne und Die Linke wollten mit der Wahl von Schwan "ein Koalitionssignal" setzen.

Historische Parallelen

Es ist nicht das erste Mal, dass die Partner einer Regierungskoalition konkurrierende Bewerber ernennen. Bereits während des schwarz-gelben Bündnisses 1964 schickte die FDP Ewald Bucher gegen den CDU-Kandidaten Heinrich Lübke ins Rennen. Die Wahl leitete das Ende der Koalition ein - und Lübke wurde mit den Stimmen des späteren Bündnispartners SPD zum Bundespräsidenten gewählt.

1969 leitete der Wahlkampf zwischen dem SPD-Kandidaten Gustav Heinemann und dem Unionskandidaten Gerhard Schröder um das Bundespräsidentenamt ebenfalls den Machtwechsel im Bundestag ein: Die FDP unterstütze Heinemann, und wenige Monate später stand auch die sozialliberale Koalition im Parlament.

Quelle: ntv.de

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