Hilfsregierung für Hessen Kochs Charmeoffensive
05.04.2008, 17:00 UhrHessens CDU-Landesregierung unter Ministerpräsident Roland Koch ist jetzt nur noch geschäftsführend im Amt. Zwei Monate nach der turbulenten Landtagswahl vom 27. Januar fand sich in der konstituierenden Sitzung des Landtages in Wiesbaden erwartungsgemäß kein Nachfolger für den Posten des Regierungschefs. Die Landesverfassung sieht vor, dass damit Koch und seine Minister geschäftsführend im Amt bleiben. Dieser Fall trat erst zum zweiten Mal seit der Landesgründung vor mehr als 60 Jahren ein. In der Landtagssitzung gelobten die Regierung und die Fraktionen Bereitschaft zur Kooperation in dieser politisch heiklen Phase.
Koch kündigte nach fünf Jahren CDU-Alleinherrschaft einen neuen Regierungsstil der "offenen Türen" an. "Diese Trennlinien werden in diesen Tagen, Wochen und Monaten anders verlaufen, sie verwischen sich ein Stück mehr und sind nicht so geradlinig"", sagte er. Einen klaren Strich zog er indes gegenüber der erstmals in den Landtag eingezogenen Linken. SPD-Fraktionschefin Andrea Ypsilanti äußerte die Erwartung, "dass die Regierung dem Parlamentswillen folgt".
Kein Wille, kein Weg
Die Landtagswahl hatte keine eindeutigen Mehrheitsverhältnisse für die zuvor angestrebten Koalitionen von CDU und FDP oder SPD und Grünen gebracht, was auch am Wahlerfolg der Linken lag. Den Parteien war es seither nicht gelungen, eine Regierungsmehrheit zu finden. Zuletzt legte SPD-Chefin Ypsilanti ihr Vorhaben auf Eis, sich mit den Stimmen der Linken zur Ministerpräsidentin einer rot-grünen Minderheitsregierung wählen zu lassen. Eine Abgeordnete aus der eigenen Fraktion hatte ihr die Gefolgschaft für diesen Plan verweigert. Allerdings will die rechnerische Mehrheit der drei linken Parteien im Landtag umstrittene Maßnahmen der CDU-Regierung wie die Einführung von Studiengebühren rückgängig machen.
Koch ganz offen
Koch sagte, er wolle alle Fraktionen künftig gleichermaßen über die Arbeit der Regierung unterrichten. Neue Initiativen werde er allerdings nur mit den Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD, FDP und Grünen besprechen - nicht mit der Linken. Zugleich warnte der geschäftsführende Ministerpräsident mit Blick auf die schwierigen Mehrheitsverhältnisse vor einem Stillstand für das Land Hessen. Alle Abgeordneten hätten eine besondere gemeinsame Verantwortung. "Wenn sich das Parlament außerstande sieht eine neue Regierung zu wählen, können sich seine Abgeordneten nicht einfach in die Oppositionsrolle zurückfallen lassen."
Die geschäftsführende Regierung sehe sich als Partner des Parlaments, sagte Koch. "Wir bekennen uns im vollen Umfang zu unseren Loyalitätspflichten gegenüber diesem Haus. Wir sind uns dabei bewusst, dass wir nicht mehr die Exekutive verkörpern, die sich bestimmten politischen Mehrheiten im Parlament sicher sein kann."
Entgegenkommen
SPD-Chefin Ypsilanti sagte Koch zu, die Vorschläge der geschäftsführenden Landesregierung offen entgegenzunehmen, sie aber auch zu verbessern. Sie hoffe auf einen Wettstreit der Ideen statt Grabenkämpfen im Landtag. Es werde darum gehen, Mehrheiten in Sachfragen zu finden, sagte sie. Die SPD werde darüber mit allen Fraktionen sprechen und keine ausschließen.
Der Grünen-Landes- und Fraktionsvorsitzende Tarek Al-Wazir fragte Koch, ob ein Ignorieren der demokratisch gewählten Linken wirklich "der Weisheit letzter Schluss" sei. Auch sein FDP-Kollege Jörg-Uwe Hahn riet dazu, die Linke formal gleichzubehandeln, sich aber inhaltlich mit ihr auseinanderzusetzen. Hahn rief alle Fraktionen zu Verantwortlichkeit bei politischen Projekten wie der Abschaffung der Studiengebühren auf. "Alles, was man beschließt, muss finanzierbar sein", sagte er.
Die Linke verstehe sich als Teil außerparlamentarischer sozialer Bewegungen, sagte ihr Fraktionschef Willi van Ooyen in seiner ersten Rede: "Deshalb müssen soziale Ungerechtigkeit, Armut und Not bekämpft werden, das ist unser Verfassungsauftrag."
Ruf nach Neuwahlen
Eine deutliche Mehrheit der Hessen hat sich unterdessen für Neuwahlen ausgesprochen. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid im Auftrag der "Bild am Sonntag" ergab, dass 65 Prozent der Befragten eine vorgezogene Landtagswahl als richtigen Ausweg aus dem Patt nach der Wahl von Ende Januar sehen. 26 Prozent sind dagegen. Bei den CDU-Anhängern seien sogar 71 Prozent für Neuwahlen, bei den SPD-Wählern 65 Prozent.
Quelle: ntv.de