"Angriffe waren ungeheuerlich" Köhler erklärt seinen Rücktritt
08.06.2011, 11:53 Uhr
		                      Köhler übt scharfe Kritik an der politischen Instrumentalisierung.
(Foto: dpa)
Der frühere Bundespräsident Köhler nennt in einem Interview erstmals genauer die Gründe für seinen Rücktritt. Auslöser sei die "ungeheuerliche" Kritik an seinen Äußerungen zu den sicherheitspolitischen Interessen gewesen. Diese seien "bewusst missverstanden und für parteipolitische - auch innerparteiliche - Ziele instrumentalisiert" worden.
Der frühere Bundespräsident Horst Köhler hat ein Jahr nach seinem Rücktritt sein Schweigen gebrochen und um Verständnis für seine Entscheidung gebeten. "Ich bin zurückgetreten, um Schaden vom Amt abzuwenden", sagte Köhler in einem Interview mit der "Zeit". "Die Angriffe auf mich im Zusammenhang mit meinen Äußerungen über sicherheitspolitische Interessen Deutschlands waren ungeheuerlich und durch nichts gerechtfertigt", kritisierte Köhler. "Es war die Rede von der Befürwortung von Wirtschaftskriegen und möglichem Verfassungsbruch", sagte er. "Kann man einem Bundespräsidenten angesichts der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts Schlimmeres vorwerfen?"
Köhler war am 31. Mai 2010 nach sechsjähriger Amtszeit überraschend zurückgetreten und hatte sich daraufhin weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Er hatte den Rücktritt bereits damals mit der Kritik an seinen Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr begründet. In dem Interview sagte er nun, seine Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr seien "bewusst missverstanden und für parteipolitische - auch innerparteiliche - Ziele instrumentalisiert" worden.
Respekt vor dem Amt
Mit seinem Rücktritt habe er die Konsequenzen aus der Kritik an seiner Amtsführung ziehen wollen: "Es ging mir um Respekt und Wahrhaftigkeit in der politischen Kultur unseres Landes." Er habe sich nicht in das Amt des Bundespräsidenten gedrängt, sagte Köhler. "Ich habe mich für das Amt des Bundespräsidenten in die Pflicht nehmen lassen. Die Anfrage schmeichelte mir, aber 80 Prozent war Pflichtgefühl."
Seit seinem Rücktritt führe er wieder "ein normales Bürgerleben", sagte Köhler. "Ich bin mit mir im Reinen und genieße manche Dinge, die ich vorher nicht hatte." Sein Plan sei, in Ruhe seine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Köhler hat derzeit unter anderem eine Honorarprofessur an der Universität Tübingen inne.
Kritik an EU-Flüchtlingspolitik
Der ehemalige Bundespräsident plädierte des Weiteren dafür, dass Europa mehr afrikanische Flüchtlinge aufnimmt. "Wir können eindeutig mehr verkraften", sagte er der Zeitung. Zwar könne eine nachhaltige Lösung des Flüchtlingsproblems nur darin bestehen, "dass die Menschen Arbeit und Einkommen in ihren Heimatländern bekommen. Aber natürlich wären wir auch stark genug, in der unmittelbaren Notsituation mehr Flüchtlinge aufzunehmen."
Köhler kritisierte die Flüchtlingspolitik: "Europa ist in der Gefahr, sich selbst zu verraten." Dabei würden langfristige Interessen missachtet. Köhler: "Die Rebellion in Nordafrika ist die letzte Warnung, dass es uns mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Afrika wirklich ernst sein muss."
Quelle: ntv.de, dpa/AFP