Lissabon-Vertrag auf Eis Köhler unterschreibt nicht
30.06.2008, 20:13 UhrDer EU-Reformvertrag liegt in Deutschland vorerst auf Eis. Bundespräsident Horst Köhler will bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über Klagen gegen den Vertrag die Ratifikationsurkunde nicht unterzeichnen. "Angesichts vorliegender Anträge auf einstweilige Anordnung folgt der Bundespräsident damit einer Bitte des Bundesverfassungsgerichts", teilte das Präsidialamt in Berlin mit. Aus den Reihen von Union und SPD kam Kritik an Köhler. Die Linke sprach dagegen von einem "ersten Erfolg".
Das Bundesverfassungsgericht will das Verfahren zum sogenannten Lissabon-Vertrag beschleunigt betreiben. Noch sei nicht entschieden, ob und wann eine mündliche Verhandlung angesetzt werde, hieß es in Karlsruhe. Eine Entscheidung noch in diesem Jahr gilt als unwahrscheinlich. Bundestag und Bundesrat haben den Reformvertrag jeweils mit großer Mehrheit gebilligt.
Klagen von CSU und Linken
Gegen den EU-Reformvertrag haben der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler und die Partei Die Linke Klagen eingereicht. Gauweiler sagte der "Stuttgarter Zeitung" zu Köhlers Vorgehen: "Ich freue mich darüber und habe es nicht anders erwartet." Die Linke, die nun auch eine einstweilige Verfügung beantragt hatte, um Köhler die Unterschrift bis zu einer endgültigen Entscheidung des Gerichts zu verbieten, zog die entsprechende Klage aus der Vorwoche zurück. Das Gericht habe "auf diplomatischen Wege" nun das Gleiche erreicht, erklärte Fraktionschef Gregor Gysi in Berlin. Die Linke sieht durch den Lissabon-Vertrag das Demokratieprinzip und die Rechte von Abgeordneten verletzt.
Köhler hatte schon 2006 mit derselben Begründung seine Unterschrift nicht unter den dann gescheiterten EU-Verfassungsvertrag gesetzt. Auch damals hatten Gauweiler und andere geklagt.
Kritik an Köhler
Europapolitiker von CDU und SPD betonten laut "Handelsblatt" zwar, dass der nun gewählte Weg formal korrekt sei und die Entscheidung respektiert werden müsse. "Ich hätte mir aber wegen der politischen Signalwirkung eine andere Variante gewünscht", sagte der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU). Wie der frühere Bundespräsident Roman Herzog beim Maastricht-Vertrag hätte Köhler den Vertrag unterzeichnen und dann das Dokument bis zur Klärung in Karlsruhe verwahren können.
Der SPD-Europaexperte Axel Schäfer kritisierte, Köhler gebe mit der verweigerten Unterschrift das "falsche Signal". Er fügte hinzu: "Angesichts der Debatte nach dem gescheiterten irischen Referendum ist dies Wasser auf die Mühlen der Europaskeptiker." Mit seiner Unterschrift hätte Köhler hingegen zeigen können, dass er sich klar hinter den integrationspolitischen Kurs der Bundesregierung und des Bundestages stelle.
... und Verständnis
FDP-Europapolitiker Werner Hoyer verteidigte Köhler. "Dass Bundespräsident Köhler den Vertrag von Lissabon vorerst nicht unterzeichnen will, ist ein Zeichen des Respekts vor dem Bundesverfassungsgericht und deshalb eine Selbstverständlichkeit", sagte er derselben Zeitung.
Der europapolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Rainder Steenblock, sprach in der "Frankfurter Rundschau" von einem "normalen Verfahren, das in keiner Weise die Klagen gegen den Lissabon-Vertrag in der Sache bestätigt".
Alle müssen unterzeichnen
Der Lissabon-Vertrag ist der zweite Anlauf für eine grundlegende Reform der Europäischen Union. Er soll die Institutionen und die Entscheidungsprozesse in der auf 27 Staaten erweiterten EU schlanker machen. Mit dem Grundvertrag soll die EU einen Ratspräsidenten erhalten, der für zweieinhalb Jahre gewählt wird. Außerdem soll es einen gemeinsamen Verantwortlichen für die EU-Außenpolitik, häufigere Mehrheitsentscheidungen und die Möglichkeit eines Volksbegehrens geben.
Nachdem der Vertrag kürzlich bei einer Volksabstimmung in Irland abgelehnt wurde, ist die EU in eine Krise geraten. Der Vertrag muss von allen 27 EU-Staaten ratifiziert werden, ansonsten kann er nicht wie geplant am 1. Januar 2009 in Kraft treten.
Quelle: ntv.de