Politik

Zeit für den Kassensturz Kommt heute der große Rechtsruck? Nein!

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An diesem Sonntag wird ein neuer Bundestag gewählt.

An diesem Sonntag wird ein neuer Bundestag gewählt.

(Foto: dpa)

Das politische Pendel bewegte sich schon am Ende der Ampel-Zeit von weit links in Richtung Mitte. Aber das reicht nicht. Nach der Wahl ist der Moment für einen Kassensturz und einen Effizienzcheck à la Elon Musk.

Zum Ende des brandenburgischen Landtagswahlkampfs 2024 plakatierten die Grünen Mitte des vergangenen Septembers: "Andere wollen zurück. Wir voran!" Das war gut beobachtet. Grün (und links) war bei Migration, Klimaschutz und Sozialpolitik die letzten Jahre über Mainstream, es ging in ihrem Sinne voran. Inzwischen hat sich der Wind gedreht: Die Grünen sind fürs Erste nicht mehr Mainstream, sondern erfahren mächtigen Gegenstrom. Umfragen und mehrere Wahlergebnisse belegen auf vielfältige Weise einen sogenannten "Rechtsruck" in weiten Teilen der Gesellschaft, unter anderem in der Jugend, bei den mittelalten Männern, den Arbeitern oder bei den Handwerkern. In Ostdeutschland könnten sich CDU und AfD auf komfortable Koalitionsmehrheiten stützen, wenn sie wollten. Ähnlich ist es bei der Bundestagswahl heute zu erwarten.

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Allerdings sollte man die bundesweite Bewegung eher "Ruck in Richtung rechts" nennen, weil sie von ziemlich weit links kommt. Das Pendel kommt zurück, nachdem (oder weil) es über lange Zeit weit in die andere Richtung ausgeschlagen ist. Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hatte diesen Links-Ausschlag für gegeben genommen und sträflich missachtet, wie sich die reale und die emotionale Lage im Land seit geraumer Zeit verändert. Sie hat Wucht und Tempo des zurückkehrenden Pendels mit manchen überschießenden Vorhaben wider Willen verstärkt und zu spät und zu hastig versucht gegenzusteuern. Sobald die gesamtgesellschaftliche Stressgrenze überschritten wird oder die Regierung selbst diese Stressgrenze überschreitet und es womöglich gar nicht merkt - schafft das politische Umwälzungen. Der doppelte Aufstieg von AfD und neuerdings BSW lässt sich mindestens in Teilen als Stressreaktion und Stressabwehr lesen.

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In Wahrheit schlägt das Pendel also seit geraumer Zeit zurück. Die Frage ist: Wie weit noch?

Bei Asyl, Zuwanderung und Ausländerpolitik hat die alte Bundesregierung eine Reform der Asylverfahren an den EU-Außengrenzen in Gang gesetzt, nachdem Deutschland etliche Jahre lang genau das blockierte. Die alte Bundesregierung hat auch unter dem Druck von Attentaten die Abschiebebedingungen mehrfach verschärft. Sie hat Rückführungsabkommen mit mehreren Ländern geschlossen, nicht allerdings mit den beiden wirklich wichtigen: Syrien und Afghanistan. Die Leistungen für Asylsuchende wurden eingeschränkt. Auch beim Klimaschutz füllt der hochmoralische Kammerton fürs Erste nicht mehr jedweden Winkel der Politik. Der Ehrgeiz der Grünen, Land und Leute mit neuen Verteuerungen zu überziehen, scheint erlahmt. Das verkorkste Heizungsgesetz gilt als der politische Wendepunkt zum Schlechteren für die Partei. Große neue Gesetze oder Volkserziehungsversuche sind bis auf Weiteres nicht zu erwarten.

Ein Signal der Einkehr musste die alte Bundesregierung auch schon in Sachen sozialer Gerechtigkeit zeigen: Beim Bürgergeld wurden manche gerade erst entschärften Bedingungen wieder verschärft: Sanktionen gegen Arbeitsverweigerer gelten wieder, 30-prozentige Leistungskürzungen werden wieder möglich, bestimmte Prüfverfahren und Zumutbarkeiten wie die Länge des Fahrtweges zu einer neuen Arbeitsstelle ebenso.

Frontbegradigung erst nach großem Druck

Aber niemand möge sich täuschen. Die Verteidiger der überwiegend linken Glaubenssätze und falschen Wahrheiten haben lediglich die Front begradigt, als der Druck zu groß wurde.

Wenn wir die erwähnten Großfelder Asyl, Bürgergeld, Arbeit, Klimaschutz also betrachten, muss man sagen: An den Grundsätzen gemessen bleibt das Meiste beim Alten. Es gibt darum (noch) keine ernsthafte Debatte um eine Grundgesetzänderung bei Asyl, die den Magneten abschalten könnte, der weiterhin überwiegend junge Männer nach Deutschland zieht, die auf ein Bleiberecht hoffen dürfen, wenn sie es bis ins gelobte Land schaffen. Alle gesetzlichen Verschärfungen bis an den Rand des ethisch Vertretbaren zielen nur darauf ab, die Flüchtenden abzuschrecken oder im Falle der Ablehnung ihres Antrages schneller wieder loszuwerden. Das deutsche Asylrecht, ob man es mag oder nicht, ist nach wie vor überholte End-of-Pipe-Technologie. Aber seine Herleitung aus der Schuld, welche die Deutschen in der Nazizeit auf sich geladen haben, ist stärker.

Auch der deutsche Sozialstaat hat den politischen Umschwung bislang weitgehend abgewettert, und große Angst vor einem Generalangriff der Konservativen braucht niemand zu haben. Möglichst schnell jemanden in Arbeit zu bringen, ist auch nach den Verschärfungen durch die Ampel-Regierung nicht wieder zum obersten Ziel der Vermittlung geworden. Die Sätze, dass die meisten Arbeitslosen so, wie sie sind, nicht arbeiten können, werden wir weiter hören.

In Sachen Klimaschutz schließlich, deutsch wie weltweit, mag sich ein Jahr wie das "Fridays for Future"-Jahr 2019 so bald nicht wiederholen und Greta Thunberg vergessen sein. Das Pendel ist tatsächlich in die andere Richtung unterwegs, zurück in die Mitte, wo ein gewisser operativer Pragmatismus herrscht. Aber reicht das?

Neue Regierung muss nüchterne Prüfung vornehmen

Wenn man sich etwas wünschen darf, dann möge die nächste Regierung gleich zu Beginn einmal nüchtern prüfen, was im Sozialstaat, in der Bildung, bei Klimaschutz, Arbeitsmarkt und Zuwanderung funktioniert. Und was nicht. Das meint nicht den üblichen politischen Kassensturz, der wenig überraschend jedes Mal belegen soll, was für pflichtvergessene Trantüten in der Vorgängerregierung ihr Unwesen getrieben haben. Nein, es geht um die Frage der Wähler als Kunden der Demokratie: Was konkret kaufen wir mit all den Gesetzen und den Milliarden, die der Steuerzahler aufbringt? Effiziente Hilfe für die Bedürftigen? Ausreichenden Klimaschutz? Weniger Arbeitslose und eine Zuwanderungssteuerung, die den Namen verdient?

Selbst wenn das nach dem genial oder gefährlich verrückten Libertären Elon Musk und seiner neuen US-Effizienz-Behörde klingt: So eine Bilanz für Deutschland würde viele Menschen interessieren. Denn sie ist nirgendwo zu finden. Im Gegenteil: Viele der objektiven Fakten muss man in den öffentlich zugänglichen Unterlagen und Daten verdächtig lange suchen. Dabei gilt doch: Politik beginnt mit dem unverstellten Betrachten der Realität. Auch dann, wenn die Politik diese Realität in weiten Teilen selbst geschaffen hat. Auch dann, wenn die Realität in größeren Teilen gar nicht mehr so ist, wie wir gewohnt waren, sie zu sehen, weil wir gewohnt sind, sie uns so zu wünschen.

Daraus folgt: "Das stimmt doch gar nicht" ist der neue Satz der Freiheit. Es ist, vernünftig und seriös grundiert, die Freiheit, sich nicht länger von einem Dutzend überwiegend linker Glaubenssätze leiten zu lassen. "Das stimmt doch gar nicht" ist das Ende aller falschen Wahrheiten. Von da an ist der Rest ein Klacks.

Quelle: ntv.de

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