Protestwahl in Europa Konservative klar vorn
08.06.2009, 07:15 UhrNoch nicht einmal jeder zweite EU-Wähler ging ins Wahllokal. In vielen Ländern erhielt die Opposition deutlich mehr Zustimmung als die Regierungsparteien. Die Grünen sind viertstärkste Kraft im neuen EU-Parlament. Die Sozialdemokraten überstehen die Wahl im freien Fall.

Die Zusammensetzung des neuen EU-Parlaments ändert sich kaum.
(Foto: AP)
Viele EU-Bürger haben bei der Abstimmung zum Europaparlament ihre nationalen Regierungen abgestraft. In zahlreichen Ländern erhielten die Oppositionskräfte deutlich mehr Zustimmung als die Regierungsparteien. Die Wahlbeteiligung fiel im EU-weiten Schnitt auf ein Rekordtief: Mit 43,55 Prozent (2004: 45,47) ging nicht einmal jeder zweite Wahlberechtigte ins Stimmlokal.
Sozialdemokraten im freien Fall
Stärkste Kraft im Europaparlament bleiben die Konservativen. Wie in Deutschland erlebten die Sozialdemokraten in Frankreich, Großbritannien, Österreich und anderen Ländern ein Debakel. Zu den Gewinnern gehörten die Grünen sowie rechtspopulistische Parteien.
Machtgefüge bleibt

Durch den EVP-Wahlsieg kann Kommissionspräsident Barroso auf eine zweite Amtszeit hoffen.
(Foto: REUTERS)
Die Europäische Volkspartei EVP, der auch CDU und CSU angehören, stellt nach aktualisierten Angaben vom frühen Montagmorgen 267 Abgeordnete für das neue Parlament, das insgesamt 736 Abgeordnete umfasst. Das würde einen Anteil von 36,3 Prozent nach 36,7 Prozent zuvor bedeuten. Die Sozialisten errangen demnach 159 Mandate und sind damit neuerlich zweitstärkste Kraft. Ihr Anteil liegt bei 21,6 Prozent. Mit mehr als 375 Millionen Wahlberechtigten handelte es sich um die größte länderübergreifende Wahl aller Zeiten.
Der Abstand der EVP zu den Sozialdemokraten vergrößerte sich auf über 100 Mandate. "Das ist ganz sicher ein sehr trauriger Abend für die Sozialdemokratie in Europa", sagte der SPE-Fraktionschef und deutsche SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz. Hingegen zeigte sich der CDU-Spitzenkandidat, der bisherige Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering, trotz der Verluste der Unionsparteien hochzufrieden, bedauerte aber das neue Rekordtief bei der Wahlbeteiligung.
Die Liberalen können mit 81 Sitzen rechnen, das ist ein Anteil von 11 (zuvor: 12,7) Prozent. Die Grünen errangen 54 Mandate und legten damit um knapp zwei Punkte auf 7,3 Prozent zu. Die Linken bekamen 34 Sitze. Damit würde sich am Machtgefüge in dem Abgeordnetenhaus grundsätzlich wenig ändern. Insgesamt dürfte sich die Parteienlandschaft im neuen Parlament aber zersplitterter zeigen als in der vergangenen Wahlperiode.
Bürger strafen nationale Regierungen ab
Den Bürgern brennt derzeit die Wirtschaftskrise und die Angst vor Arbeitslosigkeit auf den Nägeln. Doch im Kampf gegen die Krise stehen die nationalen Regierungen an vorderster Front, die Koordination auf EU-Ebene spielt nur eine geringe Rolle. Bei der Europawahl stehen zudem traditionell nationale Themen im Vordergrund. So war das schlechte Abschneiden der britischen Labour-Partei nach dem Spesenskandal keine Überraschung.
Rechtspopulisten punkten
In einigen Ländern konnten rechtspopulistische Parteien mit Parolen gegen die Einwanderung und mit fundamentaler EU-Kritik punkten. In Österreich konnte die Freiheitliche Partei ihr Ergebnis mehr als verdoppeln. In den Niederlanden ging die rechtsextreme Freiheitspartei des Islamkritikers Geert Wilders als zweitstärkste Partei aus der Wahl hervor.
Sarkozy gestärkt
Gestärkt aus der Europawahl geht Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hervor. Wegen der Wirtschaftskrise hatte er erheblich an Popularität einbüßen müssen. Doch seine konservative UMP siegte laut Wahlnachfragen klar vor den Sozialisten. Für die große Überraschung sorgten die von dem deutsch-französischen Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit geführten Grünen (Europe Ecologie). Sie kamen der Prognose zufolge auf 15,7 Prozent und wurden drittstärkste Kraft in Frankreich. Auch europaweit legten die Grünen zu und sind im neuen Parlament, das um 49 Sitze verkleinert wird, zehn Sitze hinzu.
Berlusconi lächelt weiter
Trotz der Skandale war am frühen Montagmorgen ein Sieg des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi abzusehen. Nach Auszählung von über der Hälfte der Wahlbezirke kam seine PDL auf 33,7 Prozent der Stimmen - nur etwa 3,7 Prozentpunkte weniger als noch bei den Parlamentswahlen 2008. Als eigentlicher Sieger der Abstimmung erschien neben der ausländerfeindlichen Regierungspartei Lega Nord, die im Vergleich zum Vorjahr fast zwei Prozentpunkte gewann und auf rund 10,5 Prozent stieg, die Anti-Korruptionspartei IDV des ehemaligen Tangentopoli-Ermittlers Antonio di Pietro aus dem linken Flügel.
Quelle: ntv.de, dpa/rts