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Der Kriegstag im Überblick Kreml-Truppen bereiten sich auf "schmutzige Bombe" vor - Selenskyj liest Israel die Leviten

Ein russischer Soldat im umkämpften Cherson bereitet ein Geschoss vor.

Ein russischer Soldat im umkämpften Cherson bereitet ein Geschoss vor.

(Foto: IMAGO/SNA)

Vor dem nächsten russischen Rückschlag im Süden der Ukraine eskaliert Präsident Putin weiter: Warnungen des Kremls zu vermeintlichen Nuklearplänen Kiews weist die NATO als Falschmeldung zurück. Während die Moskauer Führung telefoniert und die eigenen Truppen alarmiert, meldet die ukrainische Armee in Cherson und im Nordosten Gebietsgewinne. Der 243. Kriegstag im Überblick.

Radioaktiv versetzter Sprengsatz: Moskau versetzt Truppen in Alarm

Russland hat seine Warnung vor einem Einsatz einer sogenannten schmutzigen Bombe durch die Ukraine intensiviert. Die russischen Streitkräfte in der Ukraine bereiteten sich auf einen Einsatz nach der Explosion eines mit radioaktivem Material versetzten Sprengsatzes vor, sagte der Leiter der russischen nuklearen, biologischen und chemischen Schutztruppen, Generalleutnant Igor Kirillow, am Abend. Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte bereits am Wochenende in Gesprächen mit Verteidigungsminister mehrerer NATO-Länder erklärt, die Ukraine könnte zu diesem Mittel greifen, was die Regierung in Kiew zurückwies.

Die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und der USA bezeichneten die russische Anschuldigung in einer gemeinsamen Erklärung als Falschbehauptung. Russland wolle sie als Vorwand für eine weitere Eskalation des Ukraine-Krieges nutzen. Ähnlich äußerte sich der britische Generalstabschef Tony Radakin, nachdem er das Thema mit seinem russischen Kollegen Waleri Gerassimow diskutiert hatte. Russischen Nachrichtenagenturen zufolge kontaktierte Gerassimow auch die USA in dieser Frage.

NATO warnt vor Vorwand für Eskalation

Auch NATO-Generalsekretär Stoltenberg warnte Russland davor, die "falschen Behauptungen" von einer schmutzigen Bombe als Vorwand für eine Eskalation zu nutzen. "Wir bleiben standhaft in unserer Unterstützung für die Ukraine", schrieb Stoltenberg auf Twitter. Beobachter gehen davon aus, dass Russland vor allem daran interessiert ist, mit immer neuen Bedrohungsszenarien die Unterstützung des Westens für die Ukraine zu untergraben.

Frühere russische Behauptungen, die Ukraine könnte auf biologische Waffen zurückgreifen, hatten im Westen die Sorge geweckt, dass Moskau unter einer falschen Identität Taten begehen und dann Kiew dafür verantwortlich machen könnte. "Wenn Russland anruft und sagt, dass die Ukraine angeblich etwas vorbereitet, dann bedeutet das nur eines: Russland hat das alles schon vorbereitet", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Russland wies dies seinerseits zurück: Diese Anschuldigung sei "keine seriöse Unterhaltung", zitierte die Nachrichtenagentur Interfax den russischen Außenminister Sergej Lawrow.

Lawrow legt manipulierte Beweise vor

Das russische Außenministerium legte unterdessen vermeintliche Beweise für die behauptete ukrainische Absicht vor, eine schmutzige Bombe zu benutzen - bebilderte diese Behauptung aber mit einem Foto, das mindestens sieben Jahre alt ist. Die Abbildung von Säcken mit Atommüll wurde bereits 2015 verwendet. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sagte, die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) werde Experten in die "friedlichen Anlagen in der Ukraine" senden, denen Russland "betrügerischerweise vorwirft, schmutzige Bomben zu entwickeln".

90 Ortschaften in Cherson befreit

Die ukrainische Armee befreite nach eigenen Angaben in der Region Cherson mehr als 90 Ortschaften, in denen über 12.000 Menschen leben. Das schrieb das ukrainische Verteidigungsministerium auf seinem Telegram-Kanal. Auf welchen Zeitraum sich die Mitteilung bezieht, blieb unklar. Der ukrainische Militärgeheimdienst erwartet derweil keinen Abzug russischer Truppen aus der besetzten Stadt Cherson im Süden der Ukraine. Im Gegenteil bereite sich die russische Armee auf eine Verteidigung der Stadt vor, sagte der Leiter des Geheimdienstes, Kyrylo Budanow. "Die russischen Besatzer erwecken nur die Illusion, dass sie Cherson verlassen, tatsächlich bringen sie aber neue Militäreinheiten dorthin", sagte er der "Ukrajinska Prawda".

Separatisten bilden lokale Milizen

Die von Russland eingesetzte Verwaltung in der südukrainischen Region Cherson bildet eine lokale Miliz. Alle Männer, die noch in der gleichnamigen Regionalhauptstadt seien, könnten sich der Miliz anschließen. Die Verwaltung hatte zuvor die Zivilbevölkerung aufgefordert, die Region zu verlassen, da die ukrainischen Streitkräfte im Süden des Landes vorrücken.

Besatzer-Vize ruft zum Durchhalten auf

Der Vizechef der russischen Besatzungsverwaltung von Cherson, Kirill Stremoussow, verbreitete auf seinem Telegram-Kanal Durchhalteparolen, ist aber selbst längst aus Cherson geflohen. Ein Foto, das ihn mit seiner Familie zeigt und das er auf Telegram gepostet hatte, wurde in einem Tierpark auf der Krim aufgenommen, wie das Verifizierungsteam von ntv bestätigte.

Staudamm-Sprengung würde Vormarsch nur verzögern

Russland würde mit einer Sprengung des Kachowka-Staudammes nach Angaben des ukrainischen Geheimdienstes eine Umweltkatastrophe hervorrufen, den Vormarsch der ukrainischen Truppen im Süden aber nur wenig verlangsamen. Die von Russland besetzten Gebiete würden überflutet werden, sagte Kyrylo Budanow, der Chef des Militärgeheimdienstes, der "Ukrainska Prawda". Zudem ginge ein für die annektierte Halbinsel lebenswichtiger Kanal mit der Damm-Sprengung verloren. "Natürlich würden sie unseren Vormarsch für eine gewisse Zeit erschweren. Und das ist übrigens keine sehr lange Zeitspanne, etwa zwei Wochen oder so."

Auch Vorstöße im Nordosten der Ukraine

Das ukrainische Militär meldete zudem, russische Einheiten aus mehreren Dörfern im Nordosten des Landes vertrieben zu haben. "Dank erfolgreicher Aktionen haben unsere Soldaten den Feind aus den Ortschaften Karmasynikwa, Mjasoschariwka und Newske in der Region Luhansk sowie Nowosadowe in der Donezk-Region gedrängt", hieß es in einer Erklärung.

Selenskyj macht Druck auf Israel

Der ukrainische Präsident warf vor dem Hintergrund anhaltender russischer Drohnenangriffe auf Städte in der Ukraine Israel vor, eine "Allianz" zwischen Russland und dem Iran ermöglicht zu haben. Ein solches Bündnis hätte ohne die neutrale Haltung der israelischen Regierung zum russischen Angriffskrieg gegen sein Land "schlicht nicht existiert", sagte Selenskyj.

Der Iran dementierte erneut, Drohnen an Russland zu verkaufen. "Wir haben Russland nicht mit irgendwelchen Waffen oder Drohnen für den Krieg gegen die Ukraine beliefert", sagte Außenminister Hossein Amir-Abdollahian in einem von örtlichen Medien veröffentlichten Video.

Scholz kündigt Wiederaufbau nach EU-Standards an

Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte an, den Wiederaufbau der Ukraine nach einem Ende des Krieges ganz auf eine EU-Mitgliedschaft des Landes auszurichten. "Wenn wir die Ukraine wieder aufbauen, dann tun wir das mit dem Ziel der Ukraine als EU-Mitglied im Kopf", sagte der SPD-Politiker auf einem deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum in Berlin. Die Verkehrsinfrastruktur sowie der Logistik- und Transportsektor müssten so aufgebaut werden, dass das Land problemlos an die EU angebunden werden könne. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal bezifferte den Finanzbedarf für den Wiederaufbau auf 750 Milliarden Dollar.

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Quelle: ntv.de, mau/rts/AFP

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