Grüner ist Bundesratspräsident Kretschmann als erster Nr. 4
02.11.2012, 17:19 Uhr
Winfried Kretschmann im Bundesrat.
(Foto: dpa)
Der erste grüne Ministerpräsident ist ab sofort erster grüner Bundesratspräsident. Winfried Kretschmann will für frischen Wind in der Länderkammer sorgen. Bei der Suche nach einem bundesweiten Atommüll-Endlager will er Moderator sein. Er ist "selber gespannt, wie ich das hinbekomme".
Wer die Sitzungen des Bundesrates verfolgt, kann daran sehr schnell die Lust verlieren. In Windeseile werden Tagesordnungspunkte und Ziffern aufgerufen, über die die Länder entscheiden. Manchmal sind die Abstimmungen so komplex, dass selbst Kenner der Materie genau in das Gedruckte schauen müssen, um zu erkennen, was die Länderkammer jetzt eigentlich beschlossen hat und wie sich dabei die "A-Seite" - also die SPD-geführten Länder - und die "B-Seite" - die unionsgeführten Länder - verhalten haben.
An diesem Freitag übernahm hier einer das Zepter, dem diese Intransparenz ein Graus ist und der selbst weder "A" noch "B" ist: Winfried Kretschmann - grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg und erster grüner Regierungschef in einem Bundesland überhaupt - hat für ein Jahr turnusgemäß den Posten des Bundesratspräsidenten inne. Damit ist er wieder einmal Erster und steht so automatisch unter besonderer Beobachtung. Wie verhält sich ein Grüner auf dem Posten, der - protokollarisch - die Nummer vier im Staat nach Bundespräsident, Bundestagspräsident und Bundeskanzlerin ist?
"In der Wolle gefärbter Föderalist"
Kretschmann ist im Bundesrat sichtlich zufrieden. "Ich bin ein in Wolle gefärbter Föderalist. Insofern gefällt mir das Amt", spricht er in die Kameras. In seiner rund zehnminütigen Rede plädierte der 64-Jährige für ein selbstbewusstes Auftreten der Länder gegenüber dem Bund und für mehr Engagement der Länder. Dass nur elf Prozent der Gesetzesinitiativen auf sie zurückgehen, kann er nicht verstehen. Denn die Länder sind - so seine Argumentation - näher dran am Bürger.
Bürgernähe - mit dem Argument wünscht sich Kretschmann auch lebendigere Debatten im Bundesrat und ein transparenteres Arbeiten. "Die Verfahren und Abläufe im Bundesrat sind für Außenstehende oft schwer oder gar nicht verständlich", stellt er fest. Tatsächlich führt die Länderkammer in den alltäglichen Fernsehnachrichten im Vergleich zum Bundestag ein Schattendasein und kommt vor allem dann vor, wenn die Länder ein Gesetzesvorhaben blockieren.
Energiewende verspricht Konflikte
Auch jetzt verspricht die anstehende politische Agenda viel Konfliktpotenzial. Themen wie die Umsetzung der Energiewende und die Suche nach einem bundesweiten Atommüll-Endlager treiben Bund und Länder um. Kretschmann will hier Moderator sein - gerade bei diesen Themen, die beide auch zu seinen eigenen Schwerpunkten gehören. Zugleich mahnt er weniger parteitaktische Spielchen an. "Unser gemeinsames Ziel muss es sein, dass der Ausgleich der Interessen der Länder und des Bundes nicht hauptsächlich entlang der politischen Farbenlehre sortiert wird." Ihm gehe es erklärtermaßen um die Sache.
Doch schon die Verfahrensfragen im Bundesrat werden in einer einjährigen Amtszeit als Präsident wohl schwer zu reformieren sein - wenigstens anschieben will er das. "Der Zeitpunkt ist natürlich nicht gerade günstig vor der Bundestagswahl", räumt Kretschmann mit Blick auf die Wahl im Herbst 2013 ein. Aber es gehe ihm nicht darum, dass solche Vorhaben dann alleine auf sein Konto gehen. Möglicherweise müssten seine Nachfolger dann vollenden, was er einleiten will.
Kretschmann ist grüner Solitär im Bundesrat - und sieht das nun im Präsidentenamt durchaus als Vorteil. "Da hat man schon auch gewisse Brückenbauermöglichkeiten." Ob das alles aber auch so funktionieren wird, wie er es sich vorstellt, weiß Kretschmann selbst noch nicht genau. Er räumt ein: "Die Gefahr ist natürlich, dass man zum Schluss zwischen allen Stühlen sitzt. Das ist eine gewisse Gratwanderung. Da bin ich selber gespannt, wie ich das hinbekomme."
Quelle: ntv.de, Bettina Grachtrup, dpa