Politik

Pakistan am Abgrund Krise im Weißen Haus

US-Präsident George W. Bush hat an diesem Wochenende einen herben Rückschlag in seinem Kampf gegen den Terror hinnehmen müssen: Seit sechs Jahren mit Milliarden von US-Dollar gefüttert hat der pakistanische Präsident Pervez Musharraf dem Ausnahmezustand ausgerufen, die Parlamentswahlen gekippt, zahlreiche Richter abgesetzt, Rundfunk und Fernsehen abgeschaltet, Telefone gekappt und hunderte Oppositionelle verhaften lassen – alles nur, um seine von mehreren Seiten bedrohte Macht zu sichern. Damit haben sich ganz offensichtlich die Hoffnungen auf eine demokratische Entwicklung in dem Land vorerst zerschlagen.

Der General begründete seine Entscheidungen mit dem Kampf gegen islamische Extremisten im Grenzgebiet gegen Afghanistan und mit dem Widerstand der Oppositionsparteien.

In Washington gab sich derweil niemand mehr die Mühe, den Geisteswandel des pakistanischen Präsidenten diplomatisch zu kommentieren. Bush Sprecher Gordon Johndroe nannte die Notstandsentscheidung "sehr enttäuschend". Die "Washington Post" geht freilich einen Schritt weiter und spricht von einem "absoluten Alptraum-Szenario" für Bush. Schließlich sei der islamische Staat Atommacht. Die "Washington Times" verweist darauf, dass Pakistan in "wachsendem Maße Hochburg und Basis islamistischer und terroristischer Organisationen" sei.

Zentraler Baustein zerbröckelt

Mit der dramatischen Entwicklung in Pakistan zerbröckelt zugleich für Bush ein weiterer zentraler Baustein für die Schaffung einer neuen Weltordnung unter der Führung der USA. Lange hatte Bush auf die "strategische Partnerschaft" zum Verbündeten Musharraf gesetzt. Mit zehn Milliarden US-Dollar seit 2001 versuchte er den General zu stützen, in der Hoffnung, er werde das Land zur Demokratie zurückführen und zum "Bollwerk gegen islamische Extremisten machen." Die "New York Times" analysiert: "In Wirklichkeit geht es Musharraf vor allem um die Sicherung seiner Macht. Ein Erstarken der Taliban und der El Kaida in den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan nahm er dabei billigend in Kauf." Kurzum: Das Weiße Haus sitzt in der Patsche. Der von Bushs Vordenkern sorgsam erarbeitete Plan ist spektakulär gescheitert.

Der ehemalige US-Regierungsberater Bruce Riedel sprach von der Ironie der Geschichte, denn Pakistan sei nun zum Beleg für Bushs These geworden, nach der Diktaturen Nährboden für wachsenden Extremismus seien.

Noch am Freitag hatte US-Außenministerin Condoleezza Rice vergeblich telefonisch versucht, Musharraf von seinem Plan abzubringen. Rice ließ sich denn auch im Flugzeug von Istanbul nach Israel vor Reportern ihre Verbitterung über die Eigenwilligkeit des pakistanischen Generals deutlich anmerken, sprach mit verkniffenem Mund von einer "höchst bedauerlichen" Entscheidung. Ihr Sprecher Sean McCormack wurde noch deutlicher und kritisierte den "gravierenden Rückschritt" bei der Demokratisierung Pakistans.

De facto Kriegsrecht verhängt

In Islamabad blockierten am Sonntagabend paramilitärische Truppen die Zugänge zum Obersten Gerichtshof und zum Parlament. In anderen Teilen der Stadt herrschte gespannte Ruhe. Das am Vortag abgeschaltete Telefonnetz wurde wieder in Betrieb genommen. Im Fernsehen war aber allein der staatliche Sender noch zu empfangen, private Sender blieben abgeschaltet.
Bis zu 500 Menschen wurden nach Angaben von Ministerpräsident Aziz seit Samstag festgenommen. Zu den Opfern der Verhaftungswelle gehört der amtierende Vorsitzende der Pakistanischen Moslemliga (PML), Javed Hashmi. Die PML ist die Partei des früheren Ministerpräsidenten Nawaz Sharif, der am 10. September unmittelbar nach seiner Rückkehr aus dem Exil abgeschoben wurde. In Lahore wurden am Sonntag mehr als 30 Menschenrechtsaktivisten verhaftet, darunter der Leiter des Büros, I.A. Rahman. Er gilt als entschiedener Kritiker Musharrafs. Zuvor war in Lahore bereits der Vorsitzende der Pakistanischen Menschenrechtskommission, Asma Jehangir, festgenommen worden.

Die Vorsitzende der Pakistanischen Volkspartei (PPP), Benazir Bhutto, warf Musharraf vor, de facto das Kriegsrecht eingeführt zu haben. Dies sei der "schwärzeste Tag" in der Geschichte des Landes. Die frühere Regierungschefin eilte am Samstag aus Dubai kommend nach Pakistan zurück. Sie war erst am 18. Oktober aus dem Exil zurückgekehrt. Dabei wurde ein Anschlag auf ihren Konvoi in Karachi verübt; mehr als 130 Menschen wurden dabei getötet.

Internationale Besorgnis

Die internationale Gemeinschaft reagierte mit Kritik und Besorgnis auf die Entwicklung in Pakistan. Rice rief in Jerusalem zu einer raschen Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung auf und forderte Zusicherungen, dass Pakistan an der im Januar geplanten Parlamentswahl festhalten werde. Ähnlich äußerte sich die EU-Kommission. Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier verlangte von der pakistanischen Führung die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung.

Quelle: ntv.de

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