Streit quer durch die ParteienKubicki kritisiert Lindner für Schuldenbremse-Plan

Die Schuldenbremse soll 2023 ausgesetzt werden. Das kündigt Finanzminister Lindner an. Dafür wird er aus der eigenen Partei kritisiert. FDP-Vize Kubicki spricht von "Vertrauensproblemen". Der Streit um die Zukunft der Maßnahme geht munter weiter.
Nach der von Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner angekündigten Aussetzung der Schuldenbremse für 2023 hat FDP-Vize Wolfgang Kubicki diesen Schritt kritisiert. "Ein solcher Schritt ist aus meiner Sicht schwer vermittelbar", sagte Kubicki der Funke Mediengruppe. Eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse sei zwar rechtlich möglich, doch schaffe sie "erhebliche Vertrauensprobleme".
Kubicki, der auch Vizepräsident des Bundestags ist, forderte stattdessen einen Paradigmenwechsel in der Haushaltspolitik. Es müsse zwingend über eine Reduzierung bestimmter Staatsausgaben gesprochen werden. "Dass wir zum Beispiel deutlich über 30 Milliarden Euro für Entwicklungshilfe zahlen, ist angesichts der Schwere des haushalterischen Problems schwer vermittelbar."
Gegen die geplante Aussetzung der Schuldenbremse in diesem Jahr wandte sich auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei. "Die koalitionsinternen Konflikte dürfen nicht länger mit Geld zugekleistert werden", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Eine seriöse Haushaltsführung ist schließlich auch eine Frage der Generationengerechtigkeit." In Zeiten von "Rekordeinnahmen des Staates" sei nicht die Schuldenbremse das Problem, sondern das verfassungswidrige Wirtschaften der Ampelkoalition, kritisierte der CDU-Politiker. "Die Regierung ist offenkundig nicht in der Lage, Prioritäten zu setzen."
Umstritten ist aber auch eine mögliche Aussetzung der Schuldenbremse über 2023 hinaus. SPD-Chefin Saskia Esken bekräftigte ihre Forderung, den Schritt auch 2024 zu gehen. "Wir befinden uns weiterhin in einer krisenhaften Situation, deren Auswirkungen auch im kommenden Jahr zu spüren sein werden", sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Daher werde es notwendig sein, die Ausnahmeregelung auch für 2024 zu ziehen, so Esken. Den von Lindner für 2023 verkündeten Schritt begrüßte sie. Es sei ein Fehler gewesen, das nicht bereits zu Beginn des Haushaltsjahres 2023 getan zu haben.
SPD und Grüne fordern Schuldenbremsen-Reform
Esken sprach sich zugleich für eine Reform der Schuldenbremse aus. Diese dürfe nicht zur "Zukunftsbremse" werden. Sie müsse so reformiert werden, dass in Zeiten multipler Umbrüche dringend benötigte Investitionen in eine moderne und klimaneutrale Zukunft möglich seien.
Grünen-Chefin Ricarda Lang äußerte sich ähnlich. "Wir werden für die nächsten Jahre weiterhin über Investitionsspielräume sprechen müssen und natürlich auch weiterhin über die Schuldenbremse", sagte sie im ZDF-"heute journal". Es stellten sich zwei Fragen: "Die eine ist die Frage der Aussetzung, also zum Beispiel auch für 2024 oder 2025. Die müssen wir jetzt innerhalb der Regierung diskutieren", so Lang. Die zweite Frage betreffe eine grundlegende Reform der Schuldenbremse, für die es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag brauche. Finanzminister Lindner hat eine Reform der Schuldenbremse wiederholt abgelehnt.
Zuvor hatte auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner von der CDU eine Reform der Schuldenbremse gefordert - und kassiert dafür Kritik aus der eigenen Partei. "Die Schuldenbremse ist in die Verfassung gegossene Nachhaltigkeit - deshalb bin ich gegen eine Aufweichung", sagte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Andreas Jung dem "Tagesspiegel". "Die Schuldenbremse bietet genug Flexibilität, um auf schwierige Situationen zu reagieren", sagte CSU-Generalsekretär Martin Huber der Zeitung. Eine Reform sei nicht notwendig.
Nachtragshaushalt mit 40 Milliarden
"Wir müssen in der Union sehr gut aufpassen, in der Finanzpolitik nicht Rhetorik und Inhalte der politischen Linken zu übernehmen", sagte der Chef der Jungen Union, Johannes Winkel, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) mit Blick auf Wegners Forderung. "Fakt ist, dass der Staat mit circa 900 Milliarden Euro Steuereinnahmen mehr Geld zur Verfügung hat als jemals zuvor - ein Plus von 33 Prozent im Zehn-Jahres-Vergleich", betonte der CDU-Politiker.
Winkel forderte stattdessen Einsparungen im Bundeshaushalt und im Haushalt der Berliner Landesregierung. Die Schuldenbremse sei der einzige Hebel für eine Finanzpolitik, die nicht völlig zu Lasten der jungen Generation gehe. "Die Boomer-Generation muss verstehen: Das Prinzip Gießkanne ist vorbei!"
Wegen des Karlsruher Haushaltsurteils will die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP für dieses Jahr die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse nutzen. Finanzminister Lindner kündigte an, er werde dem Kabinett in der kommenden Woche einen Nachtragshaushalt vorlegen. Eine Ministeriumssprecherin fügte hinzu, die Bundesregierung werde dem Bundestag vorschlagen, eine außergewöhnliche Notlage zu erklären. Auf diesem Weg sollen Kredite nachträglich rechtlich abgesichert werden, die in diesem Jahr bereits genutzt wurden. Der Nachtragshaushalt soll laut einem Bericht des "Spiegels" 40 Milliarden Euro umfassen. Damit steige die Neuverschuldung des Bundes in diesem Jahr auf insgesamt mehr als 85 Milliarden Euro.
Nach der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse wird dem Bund eine Nettokreditaufnahme in Höhe von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestattet. Er kann aber eine Ausnahmeregelung in Anspruch nehmen bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen. Solche waren mit der Corona-Pandemie und den Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gegeben.