Nach der Rückkehr Kurnaz wurde observiert
26.01.2007, 06:34 UhrDer frühere Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz ist offenbar nach seiner Rückkehr vom Verfassungsschutz beobachtet worden. Dies berichten "ARD" und "Spiegel". So sei bei Kurnaz' Ankunft am 24. August 2006 auf der US-Flugbasis in Ramstein der Geheimdienst bereits vor Ort gewesen. Da Kurnaz nicht mehr als Sicherheitsrisiko gelte, sei die Beobachtung inzwischen eingestellt worden.
Offenbar hatte der Verfassungsschutz befürchtet, dass sich Kurnaz in Guantanamo radikalisiert hatte. Hätte er einen Anschlag verübt und wäre er nicht beobachtet worden, hätte niemand dafür Verständnis gehabt. Der Geheimdienst wollte dem Medienbericht zufolge außerdem herausfinden, ob Kurnaz als Märtyrer Radikalisierungsprozesse unter Muslimen in Deutschland förderte.
Steinmeier verteidigt sich
Unterdessen wächst der Druck auf Außenminister Frank-Walter Steinmeier, seine bisherigen Erklärungen reichen weder der Opposition noch der Union. Steinmeier habe zwar wichtige Fragen angesprochen, sie aber nicht beantwortet, kritisierte CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach.
Auch FDP und Linkspartei zeigten sich nicht überzeugt. "Selbstverständlich waren Sicherheitsinteressen abzuwägen", sagte der FDP-Innenexperte Max Stadler bei n-tv. Dabei hätte man jedoch "einen Weg finden müssen, Herrn Kurnaz gerecht zu werden", so Stadler, der auch Obmann im BND-Untersuchungsausschuss ist. "Es überzeugt mich noch nicht, was Herr Steinmeier dazu sagt."
Die Vertreterin der Linksfraktion im BND-Ausschuss, Petra Pau, nannte es zynisch, wenn Steinmeier sage, man habe sich intensiv um Kurnaz gekümmert. "Nach meinem bisherigen Wissen und aus den Akten sehe ich nur, dass man sich intensiv darum gekümmert hat, dass Herr Kurnaz keinesfalls nach Deutschland und Europa zurückkommen kann", sagte Pau bei n-tv.
"Schlechtes Krisenmanagement"
Aus den eigenen Reihen wurde dem SPD-Minister schlechtes Krisenmanagement vorgeworfen. "Man hätte nach den ersten Berichten über die BND-Aktivitäten aus Sicht der Bundesregierung die Dinge selbstkritisch reflektieren und so auch besser argumentieren können", sagte SPD-Außenexperte Rolf Mützenich dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Es komme nun "etwas in Bewegung, was nicht frühzeitig aus eigenem Interesse aufgeklärt wurde".
Steinmeier wies den Vorwurf zurück, die alte Regierung habe mit einer Einreisesperre Kurnaz' Freilassung aus Guantanamo verhindert. Er verwies darauf, dass auch seine Ausreise in die Türkei eine Option gewesen sei.
"Was sprach denn gegen die Türkei?"
Mit Blick auf ein Treffen der Sicherheitsdienste im Kanzleramt im Herbst 2002, das sich gegen eine Rückkehr des Deutsch-Türken nach Deutschland aussprach, sagte er der "Bild "-Zeitung: "Die Alternative lautete doch nicht Deutschland oder Guantanamo. Was sprach denn gegen seine Entlassung in die Türkei, wo seine Ehefrau und weitere Familienangehörige leben?"
Zentraler Streitpunkt ist die Frage, ob es im Herbst 2002 ein akzeptables US-Angebot zur Rückkehr Kurnaz' nach Deutschland gab. Steinmeier sagte, er habe kein "offizielles" Angebot gekannt. Kurnaz war Ende 2001 in Pakistan festgenommen worden, wo er nach eigenen Angaben den Koran studieren wollte. Er wurde dann in Afghanistan und in Guantanamo festgehalten und nach eigenen Angaben gefoltert, bis er im August 2006 freikam.
Steinmeier war dabei
Das Auswärtige Amt bestätigte unterdessen, dass Steinmeier als Kanzleramtschef Ende Oktober 2002 laut Terminkalender an einem möglicherweise entscheidenden Treffen mit den Chefs von Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden teilnahm. Die so genannte Präsidentenrunde sprach sich damals gegen Kurnaz' Wiedereinreise aus, wie aus einem vertraulichen Regierungsbericht hervorgeht. BND, Kanzleramt und Innenministerium sprachen sich danach in der Präsidentenrunde am 29. Oktober 2002 für eine Abschiebung in die Türkei aus.
"Regierung voll handlungsfähig "
Regierungssprecher Ulrich Wilhelm wandte sich unterdessen gegen die Annahme, Steinmeier und die Regierung seien durch die Vorwürfe nicht voll handlungsfähig: "Ich teile die Bewertung in keiner Weise, dass der Außenminister eine eingeschränkte Handlungsfähigkeit hat. "
Anwalt fordert eine Entschuldigung
Kurnaz' Rechtsanwalt Bernhard Docke forderte Steinmeier auf, sich für rechtsstaatliches Fehlverhalten zu entschuldigen. "Mir geht es nicht darum, politische Köpfe rollen zu sehen. Mir geht es darum, dass die Verantwortlichen dazu stehen, dass Herr Kurnaz Opfer einer schreienden Ungerechtigkeit wurde", sagte Docke der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Dazu gehört auch, dass man auf das Opfer zugeht. Herr Steinmeier aber vertritt die Position, dass sich die damalige Regierung nichts vorzuwerfen habe. Das ist bedauerlich."
Die Regierung verfolge jetzt die Verteidigungslinie, Kurnaz sei gefährlich gewesen. "Es gab im Herbst 2001 Indizien, die den Verdacht nahe legen konnten, dass Murat Kurnaz Kontakte in die islamistische Szene habe." Diesem Verdacht sei die Bremer Staatsanwaltschaft nachgegangen und vor der Weichenstellung im Bundeskanzleramt im Oktober 2002 gegen Kurnaz zum Ergebnis gekommen: "Da ist nichts dran." Auch die deutschen und amerikanischen Geheimdienstexperten hätten Kurnaz bereits damals als unschuldig und naiv bezeichnet.
Quelle: ntv.de