"Rückzug in Raten" Lafontaine schockt Linke
09.10.2009, 16:09 UhrDer Linksparteichef zieht sich völlig überraschend vom Amt des Bundestagsfraktionsvorsitzenden zurück. Seine Begründung: Jahrelang sei ihm Machtbesessenheit vorgeworfen worden. Nun wolle er seinen Chefsessel in der Fraktion für eine Frau aus dem Westen freimachen - als Co-Vorsitzende von Gregor Gysi.
Nach ihrem Erfolg bei der Bundestagswahl steht die Linke mit dem Rückzug von Oskar Lafontaine als Fraktionschef vor tiefgreifenden Veränderungen. Der 66-Jährige teilte den Abgeordneten in Rheinsberg kurz vor der Fraktionsvorstandswahl mit, dass er nicht mehr kandidiert. Der frühere SPD-Vorsitzende will aber Parteichef der Linken bleiben und auch sein Bundestagsmandat behalten.
Nach seinem Willen sollte es sowohl für die Fraktion als auch für die Partei weiterhin eine Doppelspitze geben. Seine Entscheidung habe etwas mit der Notwendigkeit zu tun, die Partei langfristig aufstellen zu müssen, sagte Lafontaine. "Jahrelang hat man thematisiert, was für ein Machtbesessener Mensch ich bin." Künftig solle sowohl die Frauenquote als auch der Ost-West-Proporz berücksichtigt werden. Er wies zurück, dass dies ein Rückzug aus der Politik in Raten sei und er den Fraktionsvorsitz aufgebe, um sich auf die Landespartei im Saarland zu konzentrieren. Dort ist er ebenfalls Fraktionschef und setzt auf eine rot-rot-grüne Regierung.
Gysi alleiniger Chef
Die Partei muss für eine weitere Doppelspitze ihre Satzung ändern, weil es ein Führungsduo nur bis 2010 geben sollte. In der Fraktion sei das Thema bereits positiv erörtert worden, sagte Lafontaine. Offenbar ist die bisherige Fraktionsvize Gesine Lötzsch als Parteichefin neben ihm im Gespräch. Bis 2010 will der langjährige Vorsitzende Lothar Bisky im Amt bleiben.

"Ohne ihn wäre vieles nicht geworden, was die Partei heute ist": Gysi über Lafontaine.
(Foto: REUTERS)
Lafontaines bisheriger Co-Fraktionschef Gregor Gysi wurde am Freitagnachmittag mit 94,7 Prozent der Stimmen zunächst zum alleinigen Vorsitzenden der Fraktion gewählt. In einigen Monaten soll es eine Nachwahl geben, um die Doppelspitze mit Gysi und einer Abgeordneten aus dem Westen fortzuführen. Gysi sagte: "Heute wird es hier noch keine Doppelspitze geben. Das zaubert man nicht aus dem Hut." Er galt auch noch nicht als absehbar, welche Frau aus dem Westen an Gysis Seite rücken könnte. Viele profilierte West- Politikerinnen hat die Partei nicht.
Lafontaine könne als Parteichef weiter "zünftige Reden im Bundestag halten, sagte Gysi. Er würdigte Lafontaines Leistungen für die Partei, die erst vor zwei Jahren aus der westdeutschen Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) und der ostdeutschen Linkspartei gegründet worden war. "Ohne ihn wäre vieles nicht geworden, was die Partei heute ist", sagte Gysi. Die Abgeordneten hätten ihm da zugestimmt. Beide betonten, dass sie eng und kameradschaftlich zusammenarbeiteten.
"Auf eine Aufgabe konzentrieren"
Lafontaine sagte, seine Entscheidung habe nichts mit der Situation im Saarland zu tun, wo die Linke bei der Landtagswahl Ende August auf 21,3 Prozent gekommen war und auch Chancen auf eine Regierungsbeteiligung hat. Die Grünen haben sich dort aber noch nicht zu einem solchen Bündnis bekannt, am Sonntag stimmt die Partei ab, ob sie ein Bündnis mit CDU und FDP oder mit SPD und Linken eingeht.
"Es wäre völlig fahrlässig, eine solche Entscheidung abhängig zu machen von einer Entscheidung, die noch nicht getroffen ist im Saarland", sagte Lafontaine über seinen Entschluss. Er äußerte sich nicht zu den Chancen einer Regierungsbeteiligung im Saarland. Er sagte nur: "Die inhaltlichen Fragen sind geklärt."
Lafontaine schilderte. "Seit mehreren Jahren gibt es die Diskussion, dass ich die Funktion des Parteivorsitzenden und die Funktion des Fraktionsvorsitzenden gleichzeitig ausübe. Und ich habe deshalb seit langem die Absicht gehabt, nach der Bundestagswahl mich auf eine dieser Aufgaben zu konzentrieren und ich werde mich daher zukünftig auf die Aufgabe des Parteivorsitzenden konzentrieren und daher nicht mehr für die Funktion des Fraktionsvorsitzenden kandidieren." Im kleinen Führungszirkel habe er das "schon länger besprochen". Und es habe ihn gewundert, dass es erst so spät bekannt wurde.
Quelle: ntv.de, dpa