Türkisches Konsulat gestürmt Lage im Irak offenbar außer Kontrolle
11.06.2014, 21:58 Uhr
Die islamistischen Rebellen der Isis haben bereits weite Teile des Landes unter ihrer Kontrolle.
(Foto: AP)
Im Irak nimmt die Terrorgruppe Isis weite Teile des Landes ein. Dutzende türkische Botschaftsangehörige sind als Geiseln in ihrer Gewalt. Die Regierung schlägt zurück. Im Ausland herrschen Entsetzen und Besorgnis.
Die Terrorgruppe Isis hat weite Teile Iraks unter ihre Kontrolle gebracht und das Land in eine schwere innenpolitische Krise gestürzt. Innerhalb weniger Stunden bewegten sich Kämpfer der islamistischen Organisation von Nordwesten aus durch das Land Richtung Bagdad. Der Vormarsch der Islamisten löste international Entsetzen und Besorgnis aus. Die irakische Regierung versuchte, mit Kampfhubschraubern den Vormarsch der islamistischen Rebellen in dem Land zu stoppen. Helikopter hätten Stellungen der Extremisten in der Provinz Salah al-Din bombardiert, berichtete das Staatsfernsehen.
Nachdem die Kämpfer am Dienstag zunächst die nordirakische Millionenmetropole Mossul kampflos eingenommen hatten, rückten sie bis Samara, rund 130 Kilometer nördlich von Bagdad vor. Unterwegs wurden die Regionen Ninive, Anbar und Salah ad-Din erobert, mit den strategisch wichtigen Städten Baidschi und Tikrit.
Bis zu 80 Türken in Hand der Aufständischen
Nach dem Sturm auf Mossul wurde dort der türkische Konsul als Geisel genommen. Insgesamt seien 48 Menschen in der Gewalt von Terroristen, berichteten türkische Medien. Unter ihnen seien auch Kinder und Konsulatsmitarbeiter. Nach Angaben des Außenministeriums in Ankara sind insgesamt 80 türkische Staatsbürger in der Gewalt der Gruppe Islamischer Staat im Irak und in der Levante (Isis).
Den Kidnappern drohte die Türkei mit ernsten Konsequenzen. Jeder, der in die Geiselnahme verstrickt ist, müsse mit "scharfer Vergeltung" rechnen, sollte den türkischen Staatsbürgern etwas passieren, erklärte Außenminister Ahmet Davutoglu. Dann brach er seine USA-Reise ab und kehrte zurück in die Heimat.
Wegen der Kämpfe sind inzwischen rund eine halbe Million Einwohner auf der Flucht. Durch Kämpfe habe es unter der Zivilbevölkerung "eine hohe Zahl von Opfern" gegeben, berichtete Internationale Organisation für Migration (IOM).
USA sichern Türkei Hilfe zu
Angesichts der Eskalation der Lage haben die USA der irakischen Regierung ihre Unterstützung zugesichert. Washington arbeitete mit den Partnern im Irak an einem "geeinten Vorgehen" gegen die radikalen Islamisten, sagte Außenamtssprecherin Jen Psaki. Die Lage vor Ort sei sehr ernst. "Wir sind bereit, jede angemessene Unterstützung zur Verfügung zu stellen." Psaki verwies aber darauf, dass die USA in diesem Jahr bereits Waffen an den Irak geliefert und die Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte verstärkt habe.
US-Präsident George W. Bush hatte den Irak im März 2003 ohne UN-Mandat angegriffen. Bushs Regierung hatte den Einmarsch mit der Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen sowie Kontakten des Irak zu Al-Kaida gerechtfertigt. Beides stellte sich später als falsch heraus. Die letzten US-Soldaten verließen den Irak Ende 2011.
Der britische Außenminister William Hague sagte, die Entsendung von Truppen in den Irak käme "nicht in Frage". Zwar sei die Situation in dem Land sehr besorgniserregend, doch habe der Irak ausreichend Truppen, um der Bedrohung zu begegnen. Großbritannien war der wichtigste Verbündete der USA beim Angriff auf den Irak.
Ban fordert Solidarität mit dem Irak
Derweil ist die Nato einem Insider zufolge auf Antrag der Türkei zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengekommen. Die Regierung in Ankara habe die Verbündeten über die Entwicklung informiert. Es habe sich ausdrücklich nicht um ein Treffen nach Artikel 4 des Nordatlantikvertrags gehandelt, der eine Bedrohung der Sicherheit eines Bündnismitglieds regelt. Auch Vertreter des türkischen Außenministeriums sprachen von dem Treffen.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, hat den Vormarsch der Islamisten scharf verurteilt und die internationale Gemeinschaft zu Solidarität mit Bagdad aufgerufen. Die Terroristen müssten daran gehindert werden, "den Weg zur Demokratie im Irak zunichte zu machen", erklärte Bans Sprecher in New York.
Zugleich mahnte er aber an, beim Kampf gegen "Terrorismus und Gewalt" internationales Recht und die Menschenrechte zu beachten. Die Weltgemeinschaft müsse sich zusammenschließen und Solidarität mit dem Irak zeigen, der von einer ernsten Herausforderung stehe.
Iran bietet Unterstützung an
Angesichts des Vormarsches der Dschihadisten hat der Iran seinem Nachbarland seine Unterstützung im Kampf gegen den "Terrorismus" zugesichert. "Die Islamische Republik Iran verurteilt die Ermordung irakischer Bürger und unterstützt die Regierung und das irakische Volk beim Kampf gegen den Terrorismus", sagte Außenminister Mohammed Dschawad Sarif laut Nachrichtenagentur Irna. Er betonte die Notwendigkeit, "einer effizienten internationalen Unterstützung" für den Irak. Der Iran ist ein enger Verbündeter von Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki, der der schiitischen Bevölkerungsmehrheit angehört.
Die Isis ist eine der radikalsten islamistischen Gruppen im Nahen Osten. Als "Islamischer Staat im Irak und Syrien" kämpft die Gruppe für einen sunnitischen Großstaat zwischen Mittelmeer und Euphrat.
Laut Human Rights Watch (HRW) erbeuteten die Kämpfer auf ihrem Feldzug große Waffenarsenale der irakischen Armee. Die Waffen könne Isil nun in das Bürgerkriegsland Syrien einschleusen.
Städte zurückerobert?
Örtlichen Medien zufolge brachte die Gruppierung in Baidschi, rund 200 Kilometer nördlich von Bagdad, die Ölraffinerie und das Elektrizitätswerk unter ihre Kontrolle. Wie das Staatsfernsehen unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtete, gelang es den Regierungstruppen indes, die Stadt zurückzuerobern. Auch aus Baidschi seien die Extremisten vertrieben worden.
Regierungschef al-Maliki bezeichnete indes Berichte über das Vordringen als "Verschwörungen und Falschmeldungen". Die Armee sorge für eine Stabilisierung der Region. Al-Maliki regte zudem die Bildung einer neuen Brigade aus Soldaten und Zivilisten an, die die Terroristen zurückschlagen soll, berichtete die Nachrichtenseite "Al-Sumaria News".
Am Donnerstag soll das irakische Parlament über die Forderung Al-Malikis beraten, den Notstand zu verhängen. Damit hätte der umstrittene schiitische Regierungschef mehr Befugnisse, um in den Konflikt mit den sunnitischen Aufständischen einzugreifen. Viele Sunniten fühlen sich benachteiligt durch die schiitisch dominierte Regierung. Schon nach dem Abzug der Amerikaner im Dezember 2011 hatte eine Welle der Gewalt zwischen Schiiten und Sunniten den Irak erschüttert.
Quelle: ntv.de, jwu/dpa/AFP/rts