Stunde der Kremlastrologen Löst sich Medwedew von Putin?
17.03.2009, 15:19 UhrRusslands Präsident Dmitri Medwedew bringt die Opposition ins Fernsehen, macht einen Kremlkritiker zum Gouverneur und kritisiert die Regierung von Wladimir Putin. Mit solchen Vorstößen zeigt der Jurist gut ein Jahr nach seiner Wahl immer häufiger, dass er andere Akzente setzt als sein Ziehvater Putin. Noch sind Medwedews Schritte für mehr Rechtstaatlichkeit in Russland eher klein. Seine Initiativen wie der Kampf gegen die Korruption ringen aber selbst Menschenrechtlern vorsichtiges Lob ab.
Die einen sehen in Medwedews Politik den Beginn einer Loslösung von Putin, andere sogar einen Bruch zwischen beiden. Doch die Machtelite beteuert: Das Führungstandem Putin/Medwedew halte fest zusammen. In Rüstungsfragen etwa wandelt Medwedew treu auf Putins Pfaden. Für 2011 kündigte der neue Kremlchef ungeachtet aller Geldsorgen eine Modernisierung der Atomwaffen an.
Sogar Putins Erzfeind, der Ex-Öl-Milliardär Michail Chodorkowski, sah zuletzt "positive institutionelle Veränderungen" und ein neues "Selbstbewusstsein" der russischen Justiz. Es gebe "Ansätze einer vernünftigen Reaktion auf die internationalen Ereignisse bei einem Teil der Machteliten", sagte der frühere Chef des inzwischen zerschlagenen Yukos-Konzerns. Dass sich Chodorkowski derzeit zum zweiten Mal vor Gericht wegen dubioser Geschäfte mit Milliardenschäden verantworten muss, sehen manche Experten auch als eine von Putins Anhängern gesteuerte Intrige gegen Medwedew.
Medwedew prangert Missstände an
Sollte Chodorkowski erneut verurteilt werden, wäre dies aus Sicht russischer Kommentatoren eine Niederlage für den Präsidenten, der immer wieder vor Justizwillkür warnt. In seiner neuen Fernsehsendung "Gespräch mit dem Präsidenten" prangert Medwedew offen Missstände an. Er kritisiert Wahlverstöße, "kriminelle Strukturen" in kommunalen Verwaltungen, fordert die Bestrafung korrupter Staatsdiener und schwört die Bevölkerung auf schwere Krisenzeiten ein. Medwedew stoppte auch die von Putins Partei Geeintes Russland angestrebte Verschärfung der Medien-, der Extremismus- und Spionagegesetze - und er empfing sogar den Chefredakteur der extrem kremlkritischen Zeitung "Nowaja Gaseta".
Doch der große Wurf des mutmaßlich liberalen Reformers blieb bisher aus. Die Politologin Olga Kryschtanowskaja hat Zweifel an einer "Selbstständigkeit" Medwedews. In schwierigen Situationen wie dem August-Krieg gegen Georgien oder dem jüngsten Gasstreit schien Putins Handschrift deutlich durch. Laut Umfragen lenkt Putin als "nationaler Führer" auch nach seinem Abschied aus dem Kreml das Tandem. Medwedew strampelt auf dem Sitz hinter ihm. Zudem findet sich Medwedew in russischen Zeitschriften wie "The New Times" als Marionette wieder. Der Kremlchef sei ein Präsident ohne Machtbasis, meint Kryschtanowskaja. Ihre Analyse der Machtelite zeigt, dass Putins Leute 84 Prozent der wichtigen Positionen innehaben.
Medwedews jüngst vorgelegte Liste seiner "Kaderreserve" mit 100 potenziellen Führungskräften zeigt, dass er selbst Handlungsbedarf sieht. Nicht Putins Freunde oder Ex-Geheimdienstler dominieren dort, sondern junge, liberale Russen. In solchen Initiativen sehen Beobachter Anzeichen eines möglichen Machtkampfes zwischen Anhängern Putins und Medwedews. Als Alarmsignal werten sie die gestiegene Zahl von Attentaten in den Regionen auf Politiker und Unternehmer. Dies seien Hinweise auf Verteilungskämpfe der Machtlager.
Krise nützt Medwedew
Die schlimmste Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 1990ern spiele eher Medwedew in die Hand, meint der Chef der Zeitschrift "Russland in der globalen Politik", Fjodor Lukjanow. Angesichts von Rubelverfall und steigender Arbeitslosigkeit wächst die Kritik an Regierungschef Putin, der wegen niedriger Rohstoffpreise nicht mehr aus dem Vollen schöpfen kann. Bei ihren Straßenprotesten fordern Unzufriedene immer häufiger die Absetzung Putins.
Medwedew sei im Gegensatz zu Putin bereit zu Gesprächen auch mit unbequemen Menschen, lobt die Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa von der Moskauer Helsinki-Gruppe. Die radikale Opposition um Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow warnt allerdings weiter, dass Medwedews angeblich liberale Politik nur ein weiteres Täuschungsmanöver für den Westen sei. Über seinen Sprecher Dmitri Peskow ließ Putin nun einen möglichen Machtkampf mit Medwedew dementieren: "Das ist wie die Suche nach einer schwarzen Katze in einer Dunkelkammer, die es dort gar nicht gibt."
Ulf Mauder, dpa
Quelle: ntv.de