Der Kriegstag im Überblick London: Russischen Truppen "geht bald die Luft aus" - Gazprom liefert wieder Gas
21.07.2022, 21:43 Uhr
Die Kämpfe in der Ostukraine gehen unvermindert weiter. Hier feuern ukrainische Soldaten eine Haubitze ab.
(Foto: dpa)
Mit Erleichterung, aber auch Skepsis wird zur Kenntnis genommen, dass wieder Gas durch Nord Stream 1 fließt. Wirtschaftminister Habeck nennt Russland aber einen "unsicheren Kantonisten". Derweil bombardiert Russland flächendeckend den Donbass - kommt aber doch kaum voran. Einig sind sich CIA und Kreml, dass Putin kerngesund ist. Und eine gute Nachricht: Es könnte eine Einigung zu den Getreidelieferungen geben. Der 147. Kriegstag im Überblick.
Russland bombardiert weiter Charkiw - und kommt kaum voran
Bei einem russischen Bombenangriff auf Charkiw im Nordosten der Ukraine werden nach ukrainischen Angaben zwei Menschen getötet und 19 weitere verletzt, darunter auch ein Kind. Laut dem Gouverneur der Region, Oleg Synegubow, befanden sich vier der Verletzten in ernstem Zustand. Seit Kriegsbeginn Ende Februar nimmt Russland die Stadt unter Beschuss - konnte sie bisher aber nicht komplett einnehmen. Ukrainische Behörden berichten auch über schwere Angriffe im Donbass. "In der Region Luhansk gibt es wahrscheinlich keinen einzigen Quadratmeter Land, der von russischer Artillerie verschont geblieben ist", schreibt Gouverneur Serhij Hajdaj bei Telegram. "Der Beschuss ist sehr intensiv."
Das "Institute for the Study of War" (ISW) sah "keine nennenswerten Fortschritte" bei der russischen Offensive auf die Städte Bachmut, Siwersk und Slowjansk im Osten der Ukraine. Vielmehr nutze die russische Armee ihre Kampfkraft in Gefechten "um kleine und relativ unbedeutende Siedlungen im gesamten Gebiet Donezk" weiter ab. "Die Bemühungen um einen Vormarsch auf Slowjansk sind weitgehend zum Stillstand gekommen", heißt es.
Nach eigenen Angaben hat Russlands Militär mehrere Ziele im Süden und im Osten der Ukraine beschossen. In den Gebieten Mykolajiw und Donezk seien innerhalb der vergangenen 24 Stunden insgesamt neun Kommandoposten getroffen worden, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau, Igor Konaschenkow. Zudem seien sechs Waffenlager zerstört und ein Kampfflugzeug sowie ein -hubschrauber abgeschossen worden. Unabhängig überprüfen ließ sich das nicht.
Britischer Geheimdienst erwartet russische Einsatzpause
Der britische Geheimdienst erwartet in den kommenden Wochen eine Art Einsatzpause des russischen Militärs. Damit bekomme die Ukraine eine Gelegenheit zum Gegenschlag, sagt MI6-Chef Richard Moore. Denn bislang seien konservativen Schätzungen zufolge etwa 15.000 russische Soldaten im Krieg in der Ukraine getötet worden. Es werde für das russische Militär in den nächsten Wochen immer schwerer werden, Personal und Material zu bekommen. "Ich glaube, dass ihnen bald die Luft ausgeht", so Moore.
Gazprom liefert wieder Gas durch Nord Stream 1
Nach der Wartung fließt wieder Gas durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1. Netzdaten zufolge hat der Gasfluss am Morgen das angekündigte Niveau erreicht. Zwischen 7 und 8 Uhr wurden nach Daten der Nord Stream AG mehr als 29 Gigawattstunden geliefert und damit in etwa so viel Gas, wie auf der Seite zuvor angekündigt wurde. Später ging die Bundesnetzagentur davon aus, dass die Pipeline wie vor der zehntägigen Wartung zu etwa 40 Prozent ausgelastet wird. Trotz der Wiederaufnahme der Lieferungen sah der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, keine Entwarnung: "Es ist nicht das schlimmste Szenario eingetreten, aber von Entwarnung kann ich noch nicht reden".
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wies jedoch russische Äußerungen zurück, das Land sei Garant der Energieversorgung in Europa. "Das ist eine Verdrehung jeder Tatsache", sagte der Grünen-Politiker. Russland nutze seine Macht, um Deutschland und Europa zu erpressen. "Und erweist sich jeden Tag als unsicherer Kantonist bei der Energieversorgung in Europa."
Habeck kündigt weiteres Energieeinspar-Paket an
Habeck kündigte außerdem ein weiteres Paket zur Energiesicherung an. Dazu gehören schärfere Vorgaben zur Befüllung der Gasspeicher und eine Aktivierung der Braunkohlereserve, wie Habeck in Berlin sagt. Weiter geht es um Einsparmaßnahmen in öffentlichen Gebäuden und einen verbindlichen "Heizungscheck".
Ungarn will mehr Gas in Russland kaufen
Während die Europäische Union unabhängiger von russischen Energielieferungen werden will, plant Ungarn, mehr Gas in Moskau zu kaufen. Dazu reiste der ungarische Außenminister Peter Szijjarto überraschend nach Moskau. Zusätzlich zu den bereits vereinbarten Mengen wolle sein Land in diesem Jahr 700 Millionen Kubikmeter russisches Gas kaufen, sagte er. Es gehe um die Energiesicherheit Ungarns. Sein russischer Kollege Sergej Lawrow erklärte: "Diese Anfrage wird umgehend vermeldet und geprüft."
Hoffnung auf Getreidedeal
Nach wochenlangen Verhandlungen über die russische Getreideblockade im Schwarzen Meer reist UN-Generalsekretär António Guterres nach Istanbul. Eine Einigung über ein Abkommen mit Moskau und der Ukraine zur Ausfuhr von Millionen Tonnen ukrainischen Getreides sei aber noch nicht vollständig ausgehandelt, sagt UN-Sprecher Farhan Haq in New York. "Wir können dieses Problem lösen und möglicherweise Hunderttausende, möglicherweise Millionen von Menschen davor bewahren, dass der Preis für Lebensmittel außerhalb ihrer Reichweite liegt", so Haq. Das türkische Präsidialamt teilt mit, dass Guterres, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sowie Vertreter aus Russland und der Ukraine am morgigen Freitag in Istanbul eine Vereinbarung unterschreiben werden.
London liefert weitere Waffen
Großbritannien unterstützt die Ukraine erneut mit Waffen. In den kommenden Wochen würden Hunderte Drohnen sowie Panzerabwehrwaffen und Artilleriegeschütze geliefert, kündigte das Verteidigungsministerium in London an. Dazu zählen mehr als 20 Panzerhaubitzen vom Typ M109 sowie 36 Geschütze vom Typ L119, an denen ukrainische Soldaten derzeit in Großbritannien ausgebildet werden. Hinzu kommen Artillerieaufklärungsradar und 50.000 Schuss Munition für alte Artilleriegeschütze aus Sowjetzeiten. "Der Umfang und die Bandbreite der von uns bereitgestellten Ausrüstung demonstrieren die Stärke unserer Entschlossenheit", sagte Verteidigungsminister Ben Wallace.
Union kritisiert Bundesregierung
Derweil forderte Unionsfraktionsvize Johann Wadephul von der CDU die Bundesregierung zu mehr Tempo und Entschlossenheit bei Rüstungshilfe für die Ukraine auf. "Die Zweifel, dass Deutschland steht, wenn es darauf ankommt, eine harte Konfrontation mit Russland zu führen, die wachsen und das ist Gift für die EU und das ist Gift für die NATO und das ist Gift für unser Bündnis", sagte Wadephul in Berlin. "Wir sind in einer Phase des Krieges, wo man nicht verhandeln muss, sondern wo man handeln muss. Das ist schlicht der Punkt, und das macht die Bundesregierung nicht." Die Union werde dies im Falle weiterer Untätigkeit bei einer schon im August möglichen Sondersitzung des Bundestages zum Thema machen und behalte sich einen Missbilligungsantrag vor, so Wadephul.
Europol geht Hinweisen auf Waffenschmuggel nach
Die europäische Polizeibehörde Europol berichtet von Hinweisen auf Waffenschmuggel aus der Ukraine. Es gebe Fälle von Schwarzmarkthandel mit Schusswaffen und militärischen Gütern, bestätigt ein Europol-Sprecher in Den Haag. Ermittler aus den EU-Mitgliedsstaaten hätten auch Hinweise auf den Handel mit schweren militärischen Waffen. "Das Risiko besteht, dass diese in die Hände des organisierten Verbrechens oder von Terroristen fallen", sagt der Sprecher.
Medwedew stellt ukrainische Souveränität in Frage
Der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew stellt einmal mehr das Fortbestehen der Ukraine als souveränen Staat infrage. Der Vizechef des russischen Sicherheitsrates veröffentlichte eine Liste von Dingen, "an denen Russland nicht schuld ist". Ein Punkt lautet: "Daran, dass die Ukraine infolge aller Geschehnisse die Reste staatlicher Souveränität verlieren und von der Weltkarte verschwinden könnte." Das Nachbarland habe bereits 2014 den Großteil seiner Souveränität eingebüßt, als es sich unter die "direkte Kontrolle des kollektiven Westens" begeben habe, behauptete Medwedew.
Merz rüffelt Kretschmer
CDU-Chef Friedrich Merz verteidigt die Sanktionspolitik Deutschlands und der EU gegen Russland gegen jede Kritik aus der Union. "Ich möchte, dass CDU und CSU auf diesem Kurs bleiben, der da lautet A: Sanktionen waren richtig, B: Sanktionen sind richtig und C: Sanktionen bleiben richtig, solange dieser Angriffskrieg in der Ukraine tobt", sagte Merz zum Abschluss der Sommerklausur der CSU-Bundestagsabgeordneten im oberfränkischen Kloster Banz. Es gebe bei der Bewertung der Sanktionspolitik in der Union kein Umdenken.
Für die Ukraine sei auch militärische Hilfe und Unterstützung notwendig, und die Bundesregierung müsse nun endlich das umsetzen, was der Bundestag bereits Ende April beschlossen habe - die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine, sagte Merz weiter. Damit distanzierte er sich von Aussagen des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, der erklärt hatte, Deutschland müsse im Krieg zwischen Russland und der Ukraine vermitteln und erwirken, "dass dieser Krieg eingefroren wird".
Putin ist "offenbar kerngesund"
Das russische Präsidialamt wies Berichte über angebliche Gesundheitsprobleme von Staatschef Wladimir Putin zurück. In den vergangenen Monaten seien im Westen Spekulationen über den Gesundheitszustand Putins aufgekommenen, sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow. Berichte, Putin sei krank, seien "nichts als Falschmeldungen". Auch der Direktor des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, William Burns, weiß nichts von einer ernsthaften Erkrankung Putins. "Es gibt viele Gerüchte über den Gesundheitszustand von Präsident Putin, und soweit wir das beurteilen können, ist er offenbar kerngesund", sagt Burns.
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Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP