Zu groß für einen Zwergstaat Luxemburgs Juncker verlässt den Raum
11.07.2013, 12:46 Uhr
(Foto: AP)
Jean-Claude Juncker kennen die meisten als Strippenzieher auf der großen europäischen Bühne: als Eurogruppen-Chef, Mitbegründer der gemeinsamen Währung und beinahe-Ratspräsidenten. Dass er nebenbei auch Regierungschef in Luxemburg war, wird erst jetzt so richtig zur Kenntnis genommen. Zu klein war der Job für den großen Europäer.
Der langjährige luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker strebt nach dem Bruch seiner Regierungskoalition eine Neuwahl im kommenden Herbst an. Das kommt einem aufgeschobenen Rücktritt gleich. "Mr. Euro", wie er in der EU genannt wird, stolperte über einen Geheimdienstskandal, der ihn eigentlich gar nicht interessiert hat. Juncker steht seit 18 Jahren an der Spitze der luxemburgischen Regierung, gestaltete aber über die gesamte Zeit das Gesicht der Europäischen Union mit und gilt als Mitbegründer der europäischen Währung. Seine Kritiker meinen heute, dass darunter seine eigentliche Arbeit, die des Regierungschefs in dem kleinen Land, erheblich litt. Tatsächlich ist Jean-Claude Juncker eher auf der ganz großen europäischen Bühne zu Hause als in dem Zwergstaat.
Der Christdemokrat Juncker war wegen einer Geheimdienstaffäre in Bedrängnis geraten und wird nun aller Voraussicht nach seinen sozialistischen Koalitionspartner einbüßen. "Der Regierungschef muss die Verantwortung übernehmen - nicht, weil er unaufrichtig oder inkompetent ist, sondern weil er falsche Entscheidungen getroffen hat", sagte Sozialisten-Chef Alex Bodry. "Es hat schwere Versäumnisse gegeben."
Juncker erwiderte, dann gebe es "keine andere Wahl als den Rücktritt der Regierung". Die geordnete Abwicklung spricht für den Mann, der einräumte, dass die Beaufsichtigung des Geheimdienstes nicht zu seinen "Prioritäten" gezählt habe. "Das Dilemma, wie sich ein Geheimdienst kontrollieren lässt, dessen primäre Aufgabe es ist, im Geheimen zu arbeiten, hat noch kein Land gelöst. Ich kann es auch nicht", sagte Juncker. Seine Kritiker sehen das anders.
Der parlamentarische Untersuchungsausschuss war nach Dutzenden Sitzungen zu dem Schluss gekommen, dass der Regierungschef von Amts wegen die Verantwortung für Luxemburgs Schlapphüte trägt. Und die sind alles andere als zimperlich. Die Vorwürfe, der Geheimdienst habe sich Informationen und Erkenntnisse nicht immer auf legalem Wege besorgt, reichen bis in die 1980er Jahre zurück. Von niemals aufgeklärten Verwicklungen in Bombenattentate ist die Rede, von einer gesetzlosen "Parallelpolizei", von nicht genehmigten Abhöraktionen und Schnüffeleien bis in die oberste politische Ebene und die Belange der erzherzöglichen Familie. Als Juncker selbst abgehört wurde - und zwar vom Geheimdienstchef selbst - griff er erneut nicht durch. War es mangelndes Interesse? In Wirklichkeit ging es wohl darum, involvierte Nachrichtendienste nicht zu outen. Juncker ist eben bescheiden. "Nicht durchsetzungsfähig", meinen seine Kritiker. "Nicht interessiert" und mit "wichtigeren Dingen beschäftigt", meint Juncker selbst.
Standpauke für Merkel

Juncker wirft Merkel vor, die Euro-Krise für die Innenpolitik genutzt zu haben.
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Für die EU hat Juncker indes Großes geleistet. Unter seiner Verhandlungsführung waren die Hilfspakete für Griechenland, Irland, Portugal und Spanien geschnürt, der dauerhafte Euro-Rettungsfonds ESM aus der Taufe gehoben sowie zahlreiche Konflikte der Euro-Länder um den richtigen Krisenkurs ausgetragen worden.
Als "Mister Euro" hatte er sich für die Einheitswährung und die Solidarität mit den Krisenländern eingesetzt. Berlin war ihm dabei ein Dorn im Auge. Er warf der Bundesregierung vor, mit der Eurokrise "andauernd Innenpolitik" zu machen. Die deutsche Debatte über einen Austritt Griechenlands kritisierte er als "Geschwätz".
Sohn aus einfachen Verhältnissen
Geboren am 9. Dezember 1954 im luxemburgischen Redingen, wuchs Juncker in eher bescheidenen Verhältnissen als Sohn eines christlich geprägten Stahlarbeiters auf. Für das Jurastudium zog es den fließend Deutsch, Französisch, Englisch und natürlich Letzeburgisch sprechenden Juncker nach Straßburg.
Im Anschluss legte er eine Blitzkarriere hin, wurde mit nicht einmal 30 Jahren Minister für Arbeit und Haushalt für seine christlich-soziale Partei CSV und rückte Anfang 1995 an die Spitze der nunmehr zerbrochenen luxemburgischen Regierung.
Die Sozialisten wittern indes Morgenluft. Denn nach 18 Jahren Juncker malen sie sich unter ihrem populären Außenminister Jean Asselborn eine Chance auf einen Wechsel aus. Dabei stehen die Luxemburger heute wie die Deutschen Anfang der 90er Jahre da. Nach dem Christdemokraten Kohl schwächelte die CDU lange. Auf Junckers potenziellen Nachfolger, Finanzminister Luc Frieden und die Vize-Chefin der EU-Kommission Viviane Reding, will derzeit ebenfalls niemand setzen.
Kenner der Brüsseler Szene können sich indes gut vorstellen, dass der 58-Jährige genau dorthin ziehen könnte. Schon im kommenden Jahr wird nämlich ein Nachfolger für den wenig charismatischen EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy gesucht.
Quelle: ntv.de, mit dpa