
Haseloff will die in seiner Partei ungeliebte Koalition retten.
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Auch wenn alle Parteien ihren Kompromisswillen betonen, ist ein Ende des Koalitionsstreits in Sachsen-Anhalt nicht absehbar. Kurz vor einer entscheidenden Ausschusssitzung gehen Gespräche zwischen CDU, SPD und Grünen ergebnislos zu Ende. Der Konflikt sorgt für Spannungen bis nach Berlin.
Sachsen-Anhalt ist öfter mal für eine politische Sensation gut. Angefangen beim "Magdeburger Modell" - das 1994 erstmals zu einer Machtbeteiligung der SED-Nachfolgepartei PDS führte - über die erste Landesregierung aus CDU, SPD und Grünen bis hin zu einem CDU-Ministerpräsidenten, der seinen eigenen Parteichef aus dem Kabinett schmeißt. Das nächste Spektakel rückt scheinbar immer näher: das Platzen des Regierungsbündnisses ein halbes Jahr vor der Landtagswahl. Und all das wegen 86 Cent.
Am vergangenen Mittwoch hatten die Koalitionspartner die Sitzung des Medienausschusses im Landtag um eine Woche vertagt, in der über eine Empfehlung über die Annahme des neuen Rundfunkstaatsvertrags entschieden werden soll. Bis dahin wollten die Parteien einen Ausweg aus dem Streit um eine Erhöhung der Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk finden. Ein Krisentreffen am Montag ging indes ergebnislos zu Ende, wie die Fraktionschefs von SPD und Grünen mitteilten. Beide Seiten betonten aber ihre Entschlossenheit, einen Ausweg zu finden.
Die CDU-Landtagsfraktion lehnt die Erhöhung ab und verweist auf das im Koalitionsvertrag festgelegte Ziel der Beitragsstabilität. SPD und Grüne verweisen darauf, dass die Erhöhung nicht einmal die Inflation ausgleiche und dass alle anderen 15 Bundesländer bereits zugestimmt haben sowie sämtliche Länderchefs, einschließlich des christdemokratischen Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff. Hinzu kommt der Vorwurf, die CDU mache sich mit der in Sachsen-Anhalt starken AfD gemein, wenn ihre Fraktion mit den Rechtsradikalen eine Mehrheit gegen den Rundfunkstaatsvertrag formiert.
Haseloff will Koalition retten
Ministerpräsident Haseloff versucht sich an der Quadratur des Kreises, indem er die Koalition unbedingt retten und zugleich der Verweigerungshaltung seiner Fraktion Rechnung tragen will. Am Freitag hatte Haseloff - quasi als Symbol seiner Zuneigung - den Koalitionspartnern den Skalp von Innenminister Holger Stahlknecht dargebracht. Dieser hatte zuvor in einem Interview alle Brücken zu einer Einigung abzureißen und sich selbst an die Macht zu putschen versucht - so die allgemeine Lesart.
Die Entlassung des Innenministers und CDU-Chefs von Sachsen-Anhalt war zugleich eine Machtdemonstration des im Land beliebten Ministerpräsidenten. Da der im Sommer erneut als Spitzenkandidat antretende Haseloff aber auch die CDU befrieden muss, kann er die eigenen Leute nicht einfach zu einem Durchwinken des Rundfunkstaatsvertrags drängen. Zumal Haseloff die Kritik seiner Landespartei an den Kosten der Öffentlich-Rechtlichen und ihrer als einseitig wahrgenommen Berichterstattung über Deutschlands Osten teilt.
Keiner weicht zurück
Nun bekräftigte der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Siegfried Borgwardt, eine Erhöhung unbedingt verhindern zu wollen. Die von ihm präsentierten Kompromissvorschläge liefen darauf hinaus, erst einmal nicht über den Rundfunkstaatsvertrag abstimmen zu lassen. Das lehnen die Grünen laut "Mitteldeutscher Zeitung" als "Geschäftsordnungstricks" ab. Sie bieten stattdessen an, die Gebührenerhöhung zu beschließen, ihr Inkrafttreten aber zu verzögern, um in der Zwischenzeit Strukturreformen anzustreben. Stimmt Sachsen-Anhalt nicht bis Ende des Jahres zu, muss laut Nachrichtenagentur dpa der ganze Vertrag zwischen den 16 Bundesländern neu ausgehandelt werden.
Ein für alle gesichtswahrender Kompromiss ist nicht abzusehen. Zu verhärtet sind die Fronten, nachdem sich die Beteiligten mit ihren öffentlichen Äußerungen kaum noch Manövrierraum gelassen haben. Für viele Abgeordnete der CDU, die in Sachsen-Anhalt konservativer ist als andere Landesverbände, war die Kenia-Koalition ohnehin ein Betriebsunfall. Nicht wenige in der Landespartei zweifeln am von der Bundespartei vorgeschriebenen Kurs der strikten Abgrenzung zur AfD. Deshalb wäre es für sie erst recht untragbar, sich in der Frage der Gebührenerhöhung von SPD und Grünen vor sich hertreiben zu lassen.
Dass die CDU-Fraktion überhaupt das Schicksal der Regierung mit einem Streit um die eher klein ausfallende Gebührenerhöhung verknüpft, spricht aus Sicht von SPD und Grünen Bände über den Rechtsdrall der Landes-CDU. Der Grünen-Co-Vorsitzende Robert Habeck warf der Fraktion im Interview mit ntv.de vor, die Erzählung rechtspopulistischer Parteien übernommen zu haben, wonach linke Eliten die Öffentlich-Rechtlichen steuern würden. Die Rechtspopulisten versuchten, sich die Medien gefügig zu machen.
Streit erreicht Bundesparteien
Der SPD-Co-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans sagte mit Blick auf die AfD, es dürfe "keine Zusammenarbeit mit Rechtspopulisten und Rechtsextremisten geben". Stahlknecht hatte im Interview mit der "Magdeburger Volksstimme" eine CDU-Minderheitsregierung bis zum Wahltermin angedroht und dafür Applaus in den eigenen Reihen erhalten. Walter-Borjans warnte, eine "Duldung durch die AfD komme nicht in Frage".
Tatsächlich will Haseloff das genauso wenig wie die Führung der Bundes-CDU. So dient die Sachsen-Anhalt-Krise auch SPD und Grünen, um auf Bundesebene auf das anhaltende Machtvakuum bei den Christdemokraten hinzuweisen. Die scheidende Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer zeigte sich im Umgang mit dem rechtskonservativen Landesverband bislang ähnlich ratlos wie Anfang des Jahres in der Thüringer Regierungskrise. Sie warf indes Grünen und SPD vor, die Magdeburger Misere zu missbrauchen, um die CDU in AfD-Nähe zu rücken.
Die drei Kandidaten für ihre Nachfolge halten sich mit Ordnungsrufen ebenfalls zurück. Der im Osten besonders populäre Friedrich Merz zeigte gar Verständnis. Es wäre spannend zu sehen gewesen, wie Merz dieses Dilemma gelöst hätte, wäre er - wie ursprünglich geplant - am vergangenen Sonntag zum neuen Vorsitzenden gewählt worden. Möglicherweise verspürt er aber in diesen Tagen zum ersten Mal so etwas wie Erleichterung über die Verschiebung des CDU-Bundesparteitags auf den Januar. Wer dann mit wem in Magdeburg regiert, ist völlig offen.
Quelle: ntv.de, mit dpa