Nachhilfe in Europafragen Mateusz lobt die Kanzlerin
31.03.2014, 18:21 Uhr
"Die ist doch ein ganz normaler Mensch", hatten die Schüler gesagt, bevor Angela Merkel kam. Aber dann wollten doch alle ein Foto mit ihr.
(Foto: dpa)
Angela Merkel will Jugendlichen erklären, warum Europa so wichtig ist. Bei den Schülern an der Robert-Jungk-Schule wäre das gar nicht nötig gewesen. Die Kanzlerin kann noch etwas lernen.
Als der Schulchor "Ein bisschen Frieden" anstimmt, weiß Angela Merkel nicht so recht, was sie tun soll. Mal wippt sie leicht im Takt, mal unterhält sie sich und mal bemüht sie sich, möglichst interessiert auszusehen. Dabei knetet sie mit ihrer rechten Hand den linken Zeigefinger. Was will diese Generation von ihr? Als der Chor fertig ist, erinnert sich Angela Merkel an das, was sie für ihre Wahlkämpfe gelernt hat: Sie stellt sich zwischen die jungen Menschen, macht ein paar Scherze und posiert für die Kameras. Die Jugend ist erst einmal zufrieden.

An der Robert-Jungk-Schule gibt es eine "Willkommensklasse", die neu nach Deutschland gezogene Schüler aufnimmt. Das europäische Sprachengewirr ist hier Alltag.
Was aber wollen Schüler heute wirklich von der Politik? Und was denken sie über Europa? Es ist EU-Projekttag an deutschen Schulen, und das ist nicht der schlechteste Termin, um eine Antwort auf diese Fragen zu finden. Viele Minister sind an diesem Tag in Mensen und Klassenzimmern zu Gast, um über Europapolitik zu sprechen. Die Kanzlerin hat sich die deutsch-polnische Europaschule in Berlin-Charlottenburg ausgesucht.
Auf dem Podium in der Schulaula sitzt sie zwischen sieben Schülern der Jahrgangsstufe 13. Vor einem Monat haben sie von dem Besuch erfahren und sich daraufhin in den Politik-Kursen ihrer Schule umgehört. Was sie die Kanzlerin fragen, soll das Interesse der ganzen Schule widerspiegeln. Der deutliche Schwerpunkt liegt dann auf der Ukraine. Die Schüler fragen kritisch: Müsste Deutschland nicht deeskalierend wirken? War es nicht ungerecht, dass Chruschtschow die Krim der Ukraine schenkte? Müsste Deutschland nicht eine stärkere Führungsrolle übernehmen, wie es Polen fordert? Wie genau die Jugendlichen nachfragen, scheint Merkel zu überraschen. Manchmal guckt sie sogar etwas genervt.
Die meisten Fragen trägt Mateusz Lewandowski vor, der schon seit Jahren im Kinder- und Jugendparlament seines Bezirks sitzt. Er hätte auch gerne mehr über die Europawahlen gesprochen, aber die Gefahr eines Krieges macht ihm große Sorgen. "Ich dachte, so etwas passiert nur in Afrika", sagt er. "Und nicht hier bei uns. Die Ukraine ist nur 700 Kilometer entfernt." Merkel erklärt geduldig ihre Politik, spricht vom Völkerrecht, einzelnen Bestimmungen in der ukrainischen Verfassung und dem Budapester Memorandum. Als sie meint, dass das nun doch etwas kompliziert wird, setzt sie noch einmal an: "Die Ukraine hatte Atomwaffen. Wenn man Atomwaffen hat, haben alle Angst vor einem …" Aber die Schüler kommen durchaus mit. Sie sind an internationaler Politik mindestens so sehr interessiert wie an Gesetzen in Deutschland. Während vorne die Schüler über Geopolitik diskutieren, sitzen in der letzten Reihe zwei Lehrerinnen und tuscheln. Sie sind vor allem stolz darauf, wie souverän die Jugendlichen auf der Bühne auftreten.

Angela Merkel lässt sich die Schul-Projekte vorstellen. Unter anderem gibt es einen Austausch mit Polen.
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Dass Europa zusammengehört und man ohneeinander nicht mehr auskommt, muss man den jungen Leuten nicht mehr beibringen. Merkel versucht es trotzdem: "Von hundert Menschen auf der Welt leben gerade einmal sieben in Europa", sagt sie. "Und diese sieben verbrauchen die Hälfte aller Sozialleistungen." Deshalb sei Europa so wichtig. "Wenn man Deutschland alleine betrachtet, lebt dort gerade einmal einer von hundert." Sie spricht davon, dass man sich in Brüssel ja viel streite, dass es aber viel Wert sei, nicht über Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit verhandeln zu müssen. Das ist den Schülern im Prinzip nicht neu, aber dass Merkel so rational argumentiert, kommt gut an. Als Lewandowski die Bühne verlassen hat, lobt er die Kanzlerin: Sie halte keine hochtrabenden Reden, sondern erreiche viel durch ihre ruhige Art.
"Die Jungen sind heute sehr pragmatisch, nicht ideologisch", sagte der Jugendforscher Klaus Hurrelmann neulich einem Blog der "Süddeutschen Zeitung". "Das ist eine sehr realitätsorientierte und reaktionsschnelle Generation." Man solle nicht erwarten, dass diese Generation noch das romantische Europa-Bild der vergangenen Jahrzehnte pflege. "Alle die, die mit zu träumerischen Vorstellungen an Europa herangegangen sind, sind immerhin sehr enttäuscht worden." Angela Merkel ist fast genauso pragmatisch wie diese Generation. Auch den Auftritt an der Schule inszeniert sie so unprätentiös, wie es nur möglich ist.
Viele Schüler hätten sich das Thema Jugendarbeitslosigkeit gewünscht, sagt Moderator Lewandowski. Dabei ist das in Deutschland gerade ein eher geringes Problem - könnte man meinen. "Ich als Europäerin möchte vielleicht auch mal in Spanien leben", sagt eine Schülerin. Sie sieht es in erster Linie nicht als Chance, dass gerade so viele Akademiker nach Deutschland ziehen. "Wir rauben Spanien seine Intelligenz", sagt sie. "Treiben wir damit nicht ein europäisches Land in den Ruin?"
Später, am Schultor, lassen zwei Klassenkameraden den Termin Revue passieren. "Ich als Europäerin" - die Formulierung fanden sie übertrieben. "Das hört sich so angeberisch an", sagt ein Mädchen. Als was fühlt sie sich denn? Eher als Deutsche oder als Europäerin? "Also, in der Türkei sehen mich alle als Deutsche", sagt sie. "Hier bin ich eher Türkin." Ein Klassenkamerad sagt: "Also, ganz eigentlich bin ich ja Araber." Und überhaupt: Die Frage ist ihnen viel zu emotional.
Quelle: ntv.de