Politik

Italiens letzte Patrone Matteo Renzi oder Chaos

Bisher Bürgermeister von Florenz, jetzt Chef der Demokratischen Partei: Matteo Renzi.

Bisher Bürgermeister von Florenz, jetzt Chef der Demokratischen Partei: Matteo Renzi.

(Foto: dpa)

Italiens Regierung hat nichts getan, um die Misere des Landes anzugehen. Eine Chance, eine letzte, hat das Land noch. Sie heißt Matteo Renzi.

Er ist die letzte Patrone im Lauf. Matteo Renzi, 38 Jahre alt, Bürgermeister von Florenz, ist die letzte Chance seiner Demokratischen Partei (PD), das Land aus der tiefen Krise herauszuführen, Italien mit einer eigenen, politisch klaren Mehrheit zu regieren. Das klingt nun wie ein seltsamer Widerspruch zur Regierung in Rom, die doch von einem Parteifreund Renzis, Enrico Letta, geführt wird.

Aber die Regierung Letta ist nicht politisch handlungsfähig, sondern das das Relikt der "Großen Übereinstimmung" zwischen dem PD und der Berlusconi-Partei PDL: eine Regierung der "larghese intese", der großen Abmachung, die es seit zwei Wochen auch formal gar nicht mehr gibt, weil Silvio Berlusconi sie gekündigt und mit der großen Mehrheit seiner Abgeordneten die neue-alte Partei "Forza Italia" wieder gegründet hat und nun auf Opposition macht.

Lettas Mehrheit stützt sich im Abgeordnetenhaus und im Senat auf abtrünnige Berlusconi-Abgeordnete und Senatoren, die bisher mehr wankelmütig als stabil seine Regierung unterstützen. Bei den Italienern hat die Regierung Letta enorm an Ansehen verloren, weil sie seit ihrem Antritt vor neun Monaten keines ihrer Versprechen eingelöst hat.

Vor allem hat das Parlament kein neues Wahlrecht verabschiedet. Das hat nun das Oberste Verfassungsgericht "Consulta" besorgt und die Politik in Panik versetzt. Die Obersten Richter haben einfach zwei der wesentlichen Punkte des alten Wahlrechtes für verfassungsfeindlich erklärt und außer Kraft gesetzt. Zum Einen die Mehrheitsprämie, die die relativ stärkste Partei bekommt, ungeachtet ihres Wahlergebnisses. So konnte bislang eine Partei mit 27 Prozent der Stimmen 55 Prozent der Sitze in der Kammer bekommen. Gleichfalls verfassungsfeindlich ist die Abschaffung der einzelnen Wahlkreise, dass alle Abgeordneten - wie zu Zeiten des Faschismus - auf einer Blockliste stehen, die nach Ergebnis dann abgearbeitet wird, ohne jede Möglichkeit für den Wähler, einen einzelnen Abgeordneten direkt zu wählen. Wohlgemerkt: Dies ist ein Wahlrecht, nach dem in Italien seit 2006 bereits drei Parlamente gewählt wurden.

Wahlrecht ist eine "Ferkelei"

Dieses Wahlrecht war 2005 eigens vom Lega-Nord-Politiker Roberto Calderoli für Berlusconis Zwecke maßgeschneidert worden, um den für 2006 vorhersehbaren Wahlsieg von Romano Prodi kaputt zu machen, denn m zweiten Haus des Parlamentes wird der - heute für illegal erklärte - Mehrheitsbonus auf regionaler Ebene verteilt: Ein System, welches Berlusconis im Norden starke Koalition unverhältnismäßig begünstigte. Calderoli selber nannte sein Wahlrecht in einem Anflug von Ehrlichkeit "eine Ferkelei", schnell als "Porcellum" latinisiert verballhornt.

Das Porcellum ist nun ungültig, dem Parlament wurde im Prinzip seine Rechtsgrundlage entzogen. Neun Monate hatte die Regierung Letta Zeit, das Wahlrecht demokratisch abzuändern, sei es auch nur, um zum vorigen Verfahren zurückzukehren, welches sehr dem deutschen System ähnelt, aber nichts geschah. Ganz einfach deswegen, weil die Regierung Letta in den Augen Berlusconis nur einen Zweck hatte: ihm, dem Mann mit den vielen Strafverfahren, einen Passepartout für die Prozesse zu organisieren. Als das schiefging, mit dem rechtskräftigen Urteil zu vier Jahren Haft wegen Steuerhinterziehung und in der Folge der Entfernung aus dem Senat, entzog Berlusconi der Regierung Letta das Vertrauen. Die steht nun da wie ein begossener Pudel, denn gebracht hat sie den Italienern nichts.

An Bord geblieben sind einige Ämter-affine Politiker aus Berlusconis Partei und eben die Demokraten, die nun den Schwarzen Peter übergeben bekommen haben. Wieder einmal geht ein Jahr vorüber, und Italiens Regierung hat nichts, aber auch wirklich gar nichts getan, um die Misere des Landes anzugehen.

Da kommt nun Matteo Renzi auf den Plan. Seit Monaten diskutierte der Partito Democratico über die Wahl eines neuen Parteichefs. Wie in der Partei statutengemäß vorgeschrieben, werden Urwahlen ausgeschrieben, an denen im Prinzip jeder Wähler teilnehmen kann. Man erwartete sich eine Wahlbeteiligung von 1,5 Millionen. Nun sind es über 2,5 Millionen Wähler gewesen, die sich an der Wahl beteiligten.

Renzi ist Pfadfinder, das macht ihn glaubwürdig

Mehr als zwei Drittel der Stimmen gingen an Renzi. Sein wichtigster Slogan, der ihn vor zwei Jahren bekannt machte: "Rottamazione", Abwracken, Verschrotten - das müsse man mit den leitenden Funktionären seiner eigenen Partei machen, mit der Politikerkaste Italiens, die "schlechteste in ganz Europa, seit 30 Jahren der Ruin des Landes". Renzi ist wirklich der Generationswechsel. Er ist der erste Parteichef der Demokraten, der nicht entweder früher Kommunist oder linker Christdemokrat war, den beiden Wurzeln der Partei. Er ist ein begnadeter Redner; man nennt ihn auch den Obama Italiens. Er findet große und kluge Worte, ist jung, witzig und sehr entschlossen, man hört ihm gerne zu.

Renzi spricht kein Funktionärsitalienisch, er kommt - und das macht ihn in Italien noch einmal besonders angesehen - aus der größten Scout-Bewegung Italiens, der Agesci, mit rund einer halben Million katholischer Scouts: Die Italiener vertrauen den Parteien nicht mehr, den Scouts aber schon. Fast jede Familie hat ein Kind bei den Scouts gehabt, das bringt Punkte. Die Herzen der Italiener sind ihm bisher zugeflogen, aber jetzt, als Chef der Regierungspartei, muss er schnell Ergebnisse liefern. "Ein neues Wahlrecht muss her, demokratisch, wir müssen in 30 Tagen die Kosten der Politik um eine Milliarde Euro senken", das waren seine ersten, populären Versprechen.

Doch wie will er das leisten? Seine eigene Partei ist voller Widerstandsnester, gebildet von den alten kommunistischen Funktionären, die verbissen um ihre Jobs kämpfen. Dies war bis Sonntag ihre Partei, und jetzt soll dieser Naseweis aus Florenz sie kampflos überlassen bekommen? Mitnichten! Renzi spricht von herben Einschnitten im Staatsapparat, von einer neuen Kultur der Verdienste, nicht des Abzockens von Staatsknete. Seine Kämpfe mit den Gewerkschaften in Florenz sind legendär.

Die große Koalition der Status-Quo-Besitzer

Bisher haben die Bürger immer zu ihm gehalten. Doch nun wird sich eine große Koalition der Status-Quo-Besitzer in allen Lagern gegen ihn zusammenschließen. Für ein neues Wahlrecht braucht er im Parlament die Stimmen anderer Parteien. Vor allem die beiden großen Demagogen Italiens, Silvio Berlusconi und der Ex-Komiker Beppe Grillo mit seiner Bewegungspartei M5S, müssen ihn fürchten. "Wie soll ich gegen meinen 'Enkel' gewinnen", stöhnte Berlusconis schon und erfand sich deshalb neu mit "Silvio-Clubs" im ganzen Lande. Beppe Grillo hat die Gefahr der Popularität Renzis erkannt schaltete sofort einen Gang härter. Seine Anhänger nannten die Urwahl die "größte Wahlfälschung" und Betrug an Italien.

Jetzt werden die Fetzen fliegen. Tatsächlich muss Renzi erst noch beweisen, dass er nicht nur ausgesprochen telegen ist, schöne Reden halten kann, sondern dass er es auch schafft, für seine Demokratischen Partei Verbündete zu finden, für das Mindestmaß an Reformen, die die Italiener dringend wollen, mitbeschließen. Auf Renzis Habenseite steht die überraschend große Beteiligung an den Urwahlen, sie sind eine plebiszitäre Unterstützung seiner Politik des "Abwrackens" der alten Politikerkaste - auch und gerade der eigenen Partei. Sie sind ein letzter Blankoscheck des Vertrauens, dass es noch eine traditionelle Partei schaffen kann, Italien zu reformieren, zu retten: Ja, genau darum geht es in den nächsten Monaten. Denn sollte Renzi danebenschießen, dann kommt die Große Anti-Euro-Koalition aus Silvios Truppen, Anti-Euro-Fanatikern der Grillo-Bewegung und der klein gewordenen, aber immer noch lauthals schreienden Lega Nord: Alle eint der Hass auf Europa, auf den Sparkurs von Angela Merkel. Meinungsumfragen zufolge will nur ein knappes Drittel der Italiener den Euro-Austritt. Unter den Parteien aber sind zwei der drei großen Meinungsblöcke, Berlusconi und Grillo plus die Lega Nord, strikt gegen den Euro, würden am liebsten morgen alle Euro-Verträge kündigen.

Bis zu den Europawahlen hat Renzi noch Zeit, die PD-Regierung unter Enrico Letta anzutreiben, doch dann ist Schluss. In sechs Monaten wird abgerechnet. Gelingt Renzi der Coup, wird es bald Neuwahlen geben, und Renzi wird der Spitzenkandidat seiner Partei. Geht die letzte Patrone daneben, dann gibt es auch Neuwahlen, aber ins Chaos.

Quelle: ntv.de

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