Fake News im Wahlkampf? Medien bezichtigen Tories in Manchester der Lüge
04.10.2023, 14:25 Uhr Artikel anhören
Auch wenn Sunak auf dem Parteitag in Manchester unbeirrt in die Kameras lächelt – die Umfragen sehen schlecht für die Tories aus.
(Foto: IMAGO/i Images)
In aktuellen Umfragen liegt die Konservative Partei weit hinter der oppositionellen Labour-Partei – und die Briten wählen 2024 ein neues Parlament. Stark unter Druck setzen einige Kollegen des britischen Regierungschefs Sunak bei einem Tory-Treffen in Manchester auf populistische Parolen. Kann sich Sunak im Amt halten?
Kommentatoren haben der Konservativen Partei des britischen Premierministers Rishi Sunak vorgeworfen, dreist zu lügen und Verschwörungstheorien zu fördern. Spitzenpolitiker behaupteten auf dem seit vier Tagen laufenden Tory-Jahrestreffen in Manchester unter anderem, Kommunen wollten Menschen daran hindern, weiter als 15 Minuten für Einkäufe oder Arztbesuche zu fahren, die oppositionelle Labour-Partei plane eine Fleischsteuer oder irreguläre Migranten gäben sich als Schwule aus, um Schutz in Großbritannien zu bekommen. All dies trifft nicht zu.
Als sie in der BBC mit drei Falschaussagen ihrer Kollegen konfrontiert wurde, beharrte Wissenschaftsministerin Michelle Donelan: "Wir sind die Partei der Fakten." Darauf antwortete Moderatorin Victoria Derbyshire: "Seid Ihr so verzweifelt, dass Ihr Sachen erfinden müsst?"
Ähnlich ruderte Energiesicherheitsministerin Claire Coutinho herum, als Sky-News-Moderatorin Sophy Ridge ihr wiederholt vorhielt, dass ihre Aussagen nicht stimmen: Die Politikerin versuchte verzweifelt, das Thema zu wechseln. "Die Geier kreisen schon über Sunak", kommentiert die Zeitung "The Guardian".
"Die Konservative Partei ist süchtig nach Lügen geworden. Es mangelt ihr an Kompetenz und Integrität, um einen ehrlichen Appell an die Wähler zu richten", schrieb der Justizprofessor Steve Peers beim Kurznachrichtendienst X. Die Zeitung "i" kommentierte: "Die Tories sind an wahnsinnige Verschwörungen verloren und moralisch veraltet (nicht, dass Rishi Sunak sich darum kümmern würde)." Der frühere Labour-Regierungssprecher Alastair Campbell betonte: "Die Tory-Partei ist in die Trump-Welt der alternativen Fakten eingetreten."
Bei seiner Rede an diesem Mittwoch auf dem Parteitag in Manchester muss er Optimismus verbreiten, obwohl manche schon darüber nachdenken, wie es nach einer Wahlschlappe im kommenden Jahr weitergehen könnte. Sunak beerdigte in seiner Rede den Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke in die nordenglische Stadt. Die Kosten für die geplante Schienenverbindung von Manchester in die mittelenglische Millionenstadt Birmingham sowie der Zeitplan seien außer Kontrolle, sagte der britische Regierungschef. "Die Fakten haben sich geändert", sagte Sunak. Er versprach, "jeden einzelnen Penny" der erwarteten Einsparung von rund 36 Milliarden Pfund in Hunderte Projekte wie den Ausbau von Straßen, Bussen und Regionalbahnen zu investieren.
Der sozialdemokratische Bürgermeister der Region Manchester, Andy Burnham, warf der konservativen Regierung vor, die Menschen im wirtschaftlich abgehängten Norden Englands als "Bürger zweiter Klasse" zu behandeln. Doch auch innerhalb Sunaks Tory-Partei hatten Gerüchte über eine drastische Reduzierung des Vorhabens bereits für Ärger gesorgt. Der frühere Premierminister Boris Johnson kritisierte, Sunak würde "den Norden des Landes betrügen". 30 Unternehmen aus der Region, darunter der englische Fußball-Rekordmeister Manchester United, warnten Sunak vor "wirtschaftlicher Selbstsabotage".
High Speed 2 (HS2) gilt als wichtigstes Infrastrukturprojekt für Nordengland. Ursprünglich war die Eröffnung für 2026 geplant. Doch der Zeitplan ist um Jahre verzögert. Die geschätzten Kosten waren bereits 2019 von rund 33 Milliarden auf 71 Milliarden Pfund gestiegen - wobei in der Summe noch nicht alle Planungsabschnitte enthalten sind. Nachdem bereits Ende 2021 der geplante Abschnitt von Birmingham nach Leeds weitgehend gestrichen worden war, wird HS2 nun fast vollständig auf die ohnehin bereits gut ausgebaute Verbindung von London nach Birmingham reduziert.
Liz Truss' kleines Comeback
Würden die Briten demnächst wählen - der 43-Jährige wäre seinen Job wieder los. Sunak war vor knapp einem Jahr in den Regierungssitz in der Londoner Downing Street eingezogen, als erster Hindu in der Geschichte des Landes. Seine Vorgängerin Liz Truss hatte nach nur wenigen Wochen wegen einer verheerenden Wirtschaftspolitik zurücktreten müssen. Dass nun ausgerechnet Truss auf dem Parteitag eine eigene Wirtschaftsagenda vorstellte, machte Schlagzeilen.

Vom 6. September 2022 bis 24. Oktober 2022 war Liz Truss britische Premierministerin.
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Schon eine Stunde vorher standen Menschen vor dem Hotelsaal an. "Für wen ist die Schlange denn? Nicht für Liz, oder?", fragte ein Mann im Vorbeigehen, der lieber an die Bar ging. Truss setzte dann zwischen hellblauen Wänden und Kameras auf den Slogan "Make Britain Grow Again", der Erinnerungen an Donald Trump weckt. Sie plädierte für Steuersenkungen, ohne zu erklären, wie die finanziert werden sollen.
"Die Partei ist alles andere als geeint"
Nach Meinung von Politikwissenschaftler Mark Garnett steht die Konservative Partei vor mehreren Streitfragen. "Eine beträchtliche Zahl von Tory-Abgeordneten findet, dass ihre Partei die Steuern zu weit nach oben getrieben hat", sagt Garnett von der Lancaster University. Viele seien zufrieden mit Sunaks Ankündigung, dass Neuwagen mit Verbrennermotor doch länger verkauft werden dürfen, bis 2035. "Andere sind entsetzt darüber, dass Großbritannien von seinem Ziel, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, offenbar abzurücken scheint." Auch der Umgang mit Asylsuchenden sorge für Diskussionen. Garnett betont: "Die Partei ist alles anderes als geeint, aber das bedeutet nicht, dass Sunaks Position gefährdet ist."
Einige hätten zwar Kampagnen begonnen, um seine Nachfolge anzutreten, aber niemand wolle vor der Wahl übernehmen, die wahrscheinlich verloren werde. Es gebe aber einen Kampf darum, welche Richtung die Partei bis zur Wahl einschlage. "Und Sunak ist offensichtlich bereit, sich ein Stück nach rechts zu bewegen bei einigen Themen."
Mögliche Nachfolgerinnen stehen weiter rechts
Wenn es um eine mögliche Nachfolge Sunaks geht, werden etwa Innenministerin Suella Braverman und Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch Ambitionen zugeschrieben. Die Hardlinerin Braverman will alle irregulären Migranten ins ostafrikanische Ruanda abschieben, unabhängig von persönlichen Umständen oder Herkunftsland. In ihrer Parteitagsrede kritisierte sie den britischen "Human Rights Act", der Menschenrechte festschreibt, als "Criminal Rights Act", und warnte, ein "Hurrikan" von "Millionen" Migranten werde bald über das Land hinwegfegen.
Politikforscher Simon Usherwood von der Open University hält es für wahrscheinlich, dass sich die Partei weiter nach rechts bewegt, wenn die Wahl verloren geht. Während der Brexit-Jahre seien viele moderate Kandidaten verdrängt worden. Der Politikwissenschaftler Anand Menon vom King's College London hingegen betonte, die künftige Richtung hänge auch daran, welche Abgeordneten es ins Parlament schaffen. Das Wählerpotenzial weiter rechts sei begrenzt.
Wie sich die oppositionelle Labour-Partei inhaltlich aufstellen will, dürfte auch von Sonntag an verhandelt werden. Dann beginnt die Parteikonferenz von Labour in Liverpool. Der Parteichef heißt Keir Starmer. Dessen Namen kann man sich schon mal merken.
Quelle: ntv.de, rwe/dpa