Auf Distanz zu Vorgänger Putin Medwedew stärkt Bürgerrechtler
15.04.2009, 17:14 UhrDer russische Präsident Dmitri Medwedew bricht demonstrativ mit dem Demokratie-Verständnis seines Vorgängers Wladimir Putin und stärkt zugleich Bürgerrechtlern öffentlich den Rücken. Es sei kein Geheimnis, dass der Begriff der Menschenrechte in Russland teilweise verzerrt worden sei, sagte Medwedew bei einem Empfang von Bürgerrechtlern im Kreml. "Es ist klar, dass Ihre Arbeit nicht leicht ist."
Zugleich stellte Medwedew nach den vom Kreml veröffentlichten Äußerungen eine Änderung des umstrittenen Gesetzes zu Nichtregierungsorganisationen in Aussicht. Dieses war von seinem Vorgänger Wladimir Putin 2006 erlassen worden und erschwert die Arbeit von NGOs in Russland enorm.
Das 2006 von Putin erlassene Gesetz schreibt unter anderem vor, dass sich jede NGO beim Staat registrieren lassen muss. Zudem wurde die Kontrolle der Finanzen enorm verschärft. "Es gibt viele Fälle, in denen die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen ohne ausreichenden Grund behindert wurden", erklärte Medwedew. Viele Behördenvertreter sähen in den NGOs "eine Bedrohung ihrer unangefochtenen Herrschaft".
Gegen "Wurst statt Freiheit"
Zuvor hatte der russische Präsident bereits in seinem ersten großen Zeitungsinterview den Willen zur weiteren Demokratisierung des Landes bekräftigt. Das starke Wirtschaftswachstum in Russland sei kein Ersatz für das Mitspracherecht der Bürger, sagte Medwedew der kremlkritischen Zeitung "Nowaja Gaseta", für die auch die 2006 ermordete Journalistin Anna Politkowskaja gearbeitet hatte. Er sei gegen das Prinzip "Wurst statt Freiheit", betonte Medwedew.
Zweifel bleiben
Beobachter streiten bislang darüber, ob Medwedews Forderungen nach mehr Rechtsstaatlichkeit in Russland ernst gemeint oder nur Zugeständnisse an den Westen ohne Aussicht auf Umsetzung sind. Der Präsident wolle mit dem ersten Interview für eine russische Zeitung seit seinem Amtsantritt im Mai 2008 die "Nowaja Gaseta" unterstützen, weil in den vergangenen Jahren mehrere Redakteure des Blattes getötet worden seien, sagte Medwedews Sprecherin Natalja Timakowa. Anteile an dem Blatt hält auch der Friedensnobelpreisträger und frühere sowjetische Präsident Michail Gorbatschow.
Der Kremlchef widersprach in dem Interview der Ansicht, dass das Urteil im zweiten Prozess gegen den inhaftierten Ex-Ölmagnaten Michail Chodorkowski angeblich bereits feststehe. "Freie Rechtsexperten können Prognosen zum Ausgang des Verfahrens abgeben, aber Staatsangestellte und besonders der Präsident haben eine solche Freiheit nicht." Die international beachtete Verhandlung gilt als Gradmesser für die von Medwedew angemahnte Rechtsstaatlichkeit und Glaubwürdigkeit der Justiz.
Kein Eintritt in Putins Partei
Im Gespräch mit der "Nowaja Gaseta" bekräftigte der Präsident zudem, vorerst nicht in die Partei Geeintes Russland von Regierungschef Wladimir Putin eintreten zu wollen. "Ich halte ein parteiloses Staatsoberhaupt für richtig, solange unser politisches System noch reifen muss."
"Nowaja Gaseta"-Chefredakteur Dmitri Muratow zeigte sich mit dem Interview zufrieden, das die Zeitung auf drei vorderen Seiten abdruckte. Medwedews Antworten seien "präzise und adäquat" gewesen, teilte der Chefredakteur mit. Medwedew hatte der Oppositionszeitung das Interview im Januar, nach dem Doppelmord an einer Journalistin der Zeitung und einem Menschenrechtsanwalt auf offener Straße in Moskau, zugesagt. Die "Nowaja Gaseta"-Redakteurin Anna Politkowskaja, die mit kritischen Berichten über die Tschetschenien-Kriege international bekanntgeworden war, wurde 2006 vor ihrer Moskauer Wohnung erschossen.
Bürgerrechtler skeptisch
Die Bürgerrechtlerin Ella Pamfilowa sagte nach Medwedews Empfang im Kreml, zahlreiche Organisationen seien bei der zuletzt vom Staat angeordneten Neuregistrierung in der "Halblegalität" verschwunden. Zudem hätten viele Razzien von Behörden, darunter auch der Geheimdienste, eine Atmosphäre des Misstrauens geschaffen. Es gebe eine regelrechte Jagd auf Menschenrechtler und Andersdenkende. Die Arbeit der Organisationen müsse daher auf eine völlig neue rechtliche Grundlage gestellt werden.
Quelle: ntv.de