Rückkehr aus Afghanistan Mehr traumatisierte Soldaten
03.02.2009, 22:41 UhrImmer mehr deutsche Soldaten kehren traumatisiert aus dem Afghanistan-Einsatz zurück. 2008 wurden in Bundeswehr-Krankenhäusern 226 Soldaten wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) behandelt, wie aus der Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine Anfrage der FDP-Abgeordneten Elke Hoff hervorgeht.
2007 gab es mit 130 behandelten Soldaten fast 100 Fälle weniger, und 2006 meldeten sich sogar nur 55 Afghanistan-Heimkehrer bei den Ärzten. Experten gehen allerdings von einer hohen Dunkelziffer aus, weil viele Betroffene versuchen, allein mit ihren Problemen fertigzuwerden. Der Bundestag befasst sich voraussichtlich nächste Woche mit dem Thema.
Kompetenzzentrum geplant
Verteidigungsminister Franz Josef Jung beobachtet die Entwicklung mit Sorge. "Ich nehme die Entwicklung sehr ernst", sagte der CDU-Minister bei einem Besuch der 13. Panzergrenadierdivison in Leipzig. Jung appellierte an betroffene Soldaten, möglichst schnell einen Arzt aufzusuchen, wenn sie Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung fühlen. "Je früher dieses Rückkehrer-Trauma behandelt wird, desto besser ist es." Der Minister kündigte an, "in der Perspektive ein Kompetenz- und Forschungszentrum" dazu einrichten zu wollen.
Laut Jung leiden "knapp über zwei Prozent" der Afghanistan-Heimkehrer unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Das sei deutlich mehr als der Gesamtdurchschnitt aller Soldaten im Einsatz. "Im Vergleich zu anderen Nationen stellt es sich immer noch ganz vernünftig dar", sagte Jung.
Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe, warf der Bundeswehr Versäumnisse bei Erkennung und Behandlung traumatisierter Soldaten vor. "Das hängt damit zusammen, dass wir in unserer Sanitätsstruktur in der Vergangenheit auch nicht unbedingt das Interesse hatten, was ich schon seit Jahren einfordere", sagte Robbe im Bayerischen Rundfunk. Die Politik müsse "eine vernünftige Prophylaxe auf die Beine stellen".
Das Problem wird zunehmen
Etwa ab 2006 hat sich die Sicherheitslage am Hindukusch zunehmend verschlechtert. Auch die Bundeswehr wurde seither immer mehr Ziel von Anschlägen. Traumatisierungen können durch Kriegserlebnisse und Gewalterfahrungen ausgelöst werden. Zu den typischen Symptomen gehören wiederkehrende Erinnerungen an das belastende Erlebnis, Depressionen, Reizbarkeit, Schlafstörungen, Angstzustände, Suchtprobleme und ein Rückzug von der Umgebung. Im Ersten Weltkrieg wurde das Syndrom als "Kriegszittern" bezeichnet. Auch aus dem Vietnam-Krieg und dem Irak-Krieg kehrten viele Soldaten traumatisiert zurück.
Wegen der verschärften Sicherheitslage in Afghanistan werde die Zahl der traumatisierten Soldaten bei der Bundeswehr weiter steigen, warnte Hoff. Die präventiven Maßnahmen und Behandlungsmöglichkeiten müssten daher deutlich verbessert werden. Besonders wichtig sei die Schaffung anonymer Hilfsangebote. In einem interfraktionellen Antrag wollen die Abgeordneten daher die Bundesregierung auffordern, ein Kompetenz- und Forschungszentrum zur Behandlung traumatisierter Soldaten zu schaffen sowie eine Hotline einzurichten, bei der sich Betroffene und Angehörige anonym Hilfe holen können.
Die FDP war 2007 mit einem ähnlichen Antrag noch gescheitert. Die Liberalen monierten damals, dass bei über 7000 Soldaten im Auslandseinsatz nur gut 30 Betten in den psychiatrischen Abteilungen der Bundeswehr-Krankenhäuser bereitstünden. Jedes Jahr müssten aber gut 200 Soldaten den Auslandseinsatz wegen des psychischen Drucks vorzeitig beenden.
Initiative der Koalition
Der Unions-Verteidigungsexperte Bernd Siebert verwies auf eine Initiative der großen Koalition, mit der die Behandlung und Betreuung traumatisierter Soldaten verbessert werden soll. Ein entsprechender Antrag war im Januar in den Bundestagsausschüssen beschlossen worden. Damit versuche die Koalition, "auch im Versorgungsbereich mit den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen Schritt zu halten", sagte CDU-Politiker Siebert.
Die Linksfraktion forderte, die Behandlung traumatisierter Soldaten müsse einer wirklichen Therapie dienen und nicht nur der Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit. Die Regierung habe diesen Notstand jahrelang ignoriert, sagte die Abgeordnete Inge Höger. Sie bekräftigte die Forderung nach dem Ende der Auslandseinsätze.
Netz aus Ansprechpartnern
Die Bundeswehr nennt zwar keine Zahlen. Es gebe aber ausreichend Behandlungsplätze für alle Betroffenen, sagte Oberfeldarzt Tobias Gamberger vom Sanitätsdienst in München. Die Aufklärung über PTBS sei in den vergangenen zwei Jahren deutlich verstärkt worden. Vom Gefreiten bis zum General werde jeder Soldat in der Ausbildung darüber informiert. Die Soldaten hätten damit ein gutes Rüstzeug, um die Symptome einer Traumatisierung bei sich selbst oder ihren Kameraden zu erkennen und Alarm zu schlagen. Einer zentralisierten Betreuung steht der Arzt skeptisch gegenüber, weil sie die Gefahr einer Stigmatisierung in sich berge.
Im Einsatz oder später zuhause gebe es ein ganzes Netz aus Ansprechpartnern, vom Truppenpsychologen über den Arzt bis hin zum Pfarrer, sagte Gamberger. Bei der Einsatz-Nachbereitung würden in der Krisenintervention geschulte Soldaten eingesetzt, um mit den Heimkehrern ihre Erlebnisse und Erfahrungen zu besprechen. Anonym könnten sich Soldaten oder Angehörige Hilfe über eine E-mail an die Homepage "Angriff auf die Seele" holen: Sie werde von einer Privatinitiative betrieben, was vielen Betroffenen den Schritt erleichtere. Die Bundeswehr unterstütze das Angebot, einer ihrer Psychiater antworte auf die Fragen und verweise auf Hilfsangebote.
Quelle: ntv.de